Handwerker in der Region

Mit feinen Strichen gegen das Aussterben ihres Berufs

12.3.2022, 05:55 Uhr
Porzellanmalerin Annette Heller.

© Nici Schwab Porzellanmalerin Annette Heller.

Ein feiner Strich. Ein weiterer. Zwei Augen blicken einem entgegen. Die Feder in die Farbe eintauchen, in Pompadour-Rot. Wieder ansetzen. Mit etwas Fantasie erkennt man, dass dieses Netz aus einzelnen kurzen Linien den Körper einer Person bildet.

Annette Heller legt die Feder zur Seite und greift zur Arbeitslampe. Sie braucht mehr Licht. Sie beugt sich etwas tiefer über ihre Werkbank. Heller dreht die Vase in ihrer Hand minimal weiter nach rechts.

Es ist ein altes Handwerk, das die Emskirchnerin ausübt: die Porzellanmalerei. Heller startete in dieses Berufsfeld, als es in der Porzellanindustrie zunehmend ungemütlicher wurde. Das war 1987. Viele große Marken mussten sich zusammenschließen oder wurden von anderen Wettbewerbern aufgekauft.

Sie selbst war zu Beginn ihrer Karriere Teil dieser Industrie. Sie hat den Niedergang miterlebt. Die Porzellanherstellung im Inland lohnte sich zu dieser Zeit wirtschaftlich fast nicht mehr, die Rohstoffe waren im angrenzenden Ausland billiger. Manufakturen versuchten, sich gegen diesen Wandel aufzubäumen. Der Zeit und diesem Umschwung geschuldet, ließ die Arbeit dort aber einiges vermissen. "Die eigene Kreativität konnte man beim Betreten der Werkstatt mit der Jacke zusammen an der Garderobe abgeben", erzählt Heller, während sie ihre Brille zurechtrückt und sich wieder über ihre Arbeit beugt. "Es wird gemalt, was jemand anderes entworfen hat und das gleich hunderte Male." Fließbandarbeit. "Wir haben uns damals den ein oder anderen Scherz erlaubt. Da wurde eine gestreifte Hose, ab und zu, zu einer Gepunkteten."

Heute steht ihre Werkbank nicht mehr in einer der wenigen Manufakturen. Die gepunkteten Hosen hat sie hinter sich gelassen. Ihr Arbeitsplatz befindet sich jetzt in ihrem eigenen kleinen Atelier. Das Atelier hat zwei Räume und niedrige Decken. Es strahlt Gemütlichkeit aus, vielleicht auch wegen des Sessels, der neben dem Schaufenster steht.

Ein Mann läuft an diesem vorbei. Er bleibt stehen, schaut sich im Raum um und läuft dann weiter. Auf der Werkbank, an der die Emskirchnerin sitzt, stehen ihre aktuellen Arbeiten. Dort liegt ein zerbrochener Deckel, der von ihr nach der alten japanischen Kintsugi-Methode restauriert wird. Daneben zwei Espressotassen. Sie wurden von einem Mann aus Frankfurt bestellt. Für seine Frau. Fein bemalt mit zwei Nymphensittichen und fertig für den Versand. Mit der Arbeit von vor über 20 Jahren hat es nicht mehr viel gemein. Massenfertigung getauscht mit Individualität und dem Ausleben der eigenen Kreativität.

Geblieben ist das Handwerk, das Wissen über Farben, Techniken und verschiedene Arten von Porzellan. Heller greift zu einem kleinen Fläschchen mit kobaltblauem Pulver. Die Farben sind in Pigmentform. Für die Porzellanmalerei werden sie mit Quarz angereichert. "Das brauchen wir, damit die Farben eins werden mit dem Porzellan. Das verschmilzt beim Brennen dann richtig", erklärt die Kunsthandwerkerin. Damit die Farben flüssig werden, fügt sie ein spezielles Malöl hinzu. Etwas verrühren und schon ist das Kobaltblau einsatzbereit. Auf der Porzellanfliese, auf der sie die Pigmente anrührt, finden sich noch Pompadour-Rot, Purpur, Seladongrün und Sepia.

Diese Farben braucht sie für ihr aktuelles Projekt, eine weitere Vase. Von der Form her eher schlicht, unauffällig, modern. Sie ist mit drei eleganten Frauen bemalt. "Das bin ich mit meinen Schwestern", sagt die Emskirchnerin. Diese Vase und die zweite, an der sie gerade arbeitet, werden ihr Beitrag für eine Kunstausstellung in Schwabach sein. Das Motto: Evas Töchter. Initiiert von der GEDOK Franken – der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfördernden.

Dort ist die Handwerkerin Mitglied, denn sie sucht den Austausch, das Netzwerken mit anderen Frauen. "Das fehlt mir. Allein im Kämmerchen arbeiten ist schön und gut. Aber den Blick von draußen, von anderen auf die eigene Arbeit, das ist wichtig." Sie wirft einen Blick in den Laden. Schweigt. Ihr entschlossener Gesichtsausdruck zeigt, wie ernst sie die folgenden Worte meint. "Ich bin stolz darauf, was ich erreicht habe. Doch ich weiß auch, das hier", sie zeigt um sich, "das ist nur ein weiterer Zwischenschritt. Ich möchte immer Neues lernen, mehr erleben. Und das wirkt sich natürlich auf meine Arbeit aus."

Heller erzählt, dass sie schon einmal an dem Punkt war, alles aufzugeben, ihre Malsachen zu verkaufen und sich komplett neu zu erfinden. Wenn man sich in ihrem Atelier umschaut, die einzelnen Arbeiten betrachtet, ist das unvorstellbar. "In dem Moment wusste ich, ich brauch eine Pause. Ich habe ein halbes Jahr in einer Gärtnerei gearbeitet. Sie wollten sogar, dass ich bleibe und mich um das Hortensien-Treibhaus kümmere. Und da kam es mir: Was mache ich hier eigentlich, pflüge Rosenbeete, obwohl ich doch etwas ganz anders wirklich gut kann und eine ganz andere Leidenschaft habe."

Das war 2018. Direkt danach hat sie den Schritt zum eigenen Atelier gewagt. Aktuell ist sie glücklich, wie es ist. Auftragsarbeiten, Werke für Kunstausstellungen, Restaurationen – es ist von allem etwas dabei.

Demnächst, so erzählt sie beim Gespräch im Januar, bekommt sie eine Praktikantin, eine gelernte Kunstlehrerin aus Syrien. Wie sich ihre Eindrücke auf die Kunst der Handwerkerin auswirken werden? Das weiß sie noch nicht. "Was ich weiß, ist, dass ich liebend gerne mein Handwerk weitergebe, es nicht aussterben lassen möchte." Sie lächelt, nimmt die Feder wieder in die Hand und setzt zur nächsten feinen Linie in Pompadour-Rot an.

Weitere Folgen aus der Handwerkerserie: Die Flechterin - Der Glasmacher - Der Käseveredeler oder Affineur - Der Kuttler - Der Instrumentenbauer - Die Porzellanmalerin - Der Schneider

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