Flechtkunst

Die Retterin der Stühle: "Ich mache Handwerk Plus"

Vanessa Neuß

Volontärin

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14.2.2022, 14:51 Uhr
Flechterin Stefania Küble trennt in ihrer Werkstatt in Fürth Rattan von einem alten Stuhl ab.

© Vanessa Neuß, ARC Flechterin Stefania Küble trennt in ihrer Werkstatt in Fürth Rattan von einem alten Stuhl ab.

Ein klappriger Stuhl steht auf dem Tisch. Richtig, er steht nicht etwa neben oder am Tisch, sondern auf dem Tisch. Die Beine wackeln, wenn Stefanie Küble ein wenig daran rüttelt. Die Sitzfläche ist komplett rausgelöst. Die Lehne des Stuhls dagegen ist noch da.

Rattanstreben schlängeln sich übereinandergelegt von Holzleiste zu Holzleiste. Doch bei genauerem Hinsehen wirkt auch dieses Konstrukt eher spröde und fransig. Stefania Küble steht mit einer Zange in der Hand in ihrer Werkstatt und trennt nach und nach den Rattan ab. „Rauspopeln ist angesagt“, sagt die Flechterin.

Rarität in der Region

Kübles Hände sind hartes Arbeiten gewohnt. Sie packen zu, haben Kraft und weisen auch die ein oder andere Schramme auf. "In der Ausbildung gab es eine junge Frau, die ewig lange künstliche Nägel hatte. Bis zum Schluss habe ich mich gefragt, wie sie das schafft", sagt die gelernte Erzieherin. Seit über zehn Jahren hat sie ihre Flechtwerkstatt in Fürth. Sie ist die einzige Flechtwerkgestalterin im Städtedreieck Nürnberg, Fürth und Erlangen.

Stefania Kübles Hände sind gezeichnet von Handarbeit über viele Jahre hinweg.

Stefania Kübles Hände sind gezeichnet von Handarbeit über viele Jahre hinweg. © Vanessa Neuß, ARC

Die Werkstatt in der Nürnberger Straße ist kühl. Eine Fließjacke hält Küble warm. Anna hingegen ist es hier zu kalt. Sie sitzt nicht auf ihrem Platz in der Werkstatt, sie hat sich in der Wohnung eine Etage tiefer verkrochen. Da ist es wärmer für die schwarze Katze. In der Ecke stehen zusammengebundene Weidenruten. Helle und dunkle, dünne und dicke Ruten. Daneben stehen drei Stühle. Sie sehen aus wie neu. "Tecta Stühle sind gerade im Trend oder besser gesagt wieder", sagt die Flechterin, "schon im 18. Jahrhundert waren die Stühle beliebt."

Der Stuhl mit den wackeligen Beinen und ohne Sitzfläche steht immer noch auf dem Tisch. Er muss erstmal von seiner alten Rattan-Flechtung befreit werden. Danach beginnt Küble dem sehr alten Stuhl neues Leben einzuhauchen. Neues Rattan, neu geflochten - bereit für ein neues Leben. Wenn so ein Stuhl reden könnte, was würde er nur alles erzählen, gerade jetzt in der weltweiten Pandemie, die vielen Menschen sehr viel Zeit Zuhause beschert hat. Zeit, um sich unliebsamen Aufgaben zu widmen, wie zum Beispiel den Keller aufzuräumen.

In Vergessenheit geraten

Dann steht da so ein Stuhl. Er hat nur noch drei Beine und ein dickes Loch in der geflochtenen Rückenlehne. Die fehlende linke Armlehne wird schon fast nicht wahrgenommen, wegen der anderen noch offensichtlicheren Blessuren. Ein trostloser Anblick, dieser lädierte Stuhl. Von einem in Vergessenheit geratenem Leben würde er wohl erzählen, wenn er nur könnte. Und vielleicht auch davon, wie wenig Menschen sich ihm und seinen Brüdern und Schwestern annehmen. Stefanie Küble ist allerdings eine Verbündete - die Retterin der Stühle.

Für ihren Ruf als Stuhl-Retterin muss die Flechterin nicht werben. Es habe sich rumgesprochen, sagt Küble. Die Nachfrage ist - vor allem, aber nicht nur wegen des Corona-Virus - hoch. Für Küble ist das auch leicht zu begründen: "Alle sind gleich – alle müssen sitzen." Hauptsächlich arbeitet sie mit Rattan, aber auch mit Peddigrohr und Weiden. Das Material Rattan hat vor allem einen Vorteil: es ist nachhaltig und verhindert den Anbau von Palmöl.

Alles von Hand gemacht

Die Rattanfäden sind fein säuberlich, elegant über- und untereinander gelegt. Sorgsam schmiegen sie sich aneinander, aber schlängeln sich ebenso aneinander vorbei, bis sich ein regelmäßiges Flechtmuster ergibt. Das Holzgestell der Stühle ist frisch abgeschliffen und neu lackiert. Über 100 Jahre haben die Drei auf dem Buckel. Die drei Tecta-Stühle sehen aus als kämen sie gerade erst aus dem Laden. Dabei ist es Stefania Kübles Handarbeit, ohne Strom, ohne Maschinen. "Ich kann mit meinen Händen, einer Schere und einem Messer etwas entstehen lassen", sagt die Flechterin sichtbar stolz.

Als kleines Mädchen war sie oft mit ihrem Onkel in der Werkstatt - er war Schreiner. Ihre Faszination für das Handwerk war schon immer da, sagt die gelernte Erzieherin. "Aber flechten ist einfach ganz besonders. Ich sage immer: Ich mache Handwerk Plus." Denn sie ist nicht nur handwerklich gefordert, auch Kreativität ist gefragt.

Handwerk plus

Einige Weiden, ausgerollte Kassenrollen aus Papier und zwei Holzrahmen hängen an der Wand. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, wie viele Gedanken sich die Künstlerin bei der Komposition gemacht hat. Verschiedene Strukturen, verschiedene Formen - jedes Material ist besonders und einzigartig in der Komposition. Seit November stellt Stefania Küble ihre Kunst im Babylon Kino am Stadtpark in Fürth aus. In jedem Kunstwerk finden sich Materialien, Strukturen oder Einflüsse aus dem Flechthandwerk.

Und nun die Frage, die sich sicherlich viele stellen: "Kann man denn davon leben?" Diese Frage hört Küble scheinbar oft. Denn ihre Antwort wirkt bestimmt und beinahe mantraartig mit einem leicht genervten Unterton. "Natürlich kann man davon leben! Mein Auftragsbuch ist für drei Monate im Voraus voll." Während der Pandemie habe sie sogar teilweise das Telefon ausstecken müssen.

Weitere Folgen aus der Handwerkerserie: Die Flechterin - Der Glasmacher - Der Käseveredeler oder Affineur - Der Kuttler - Der Instrumentenbauer - Die Porzellanmalerin - Der Schneider

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