Handwerker in der Region

Peter Wieder ist der Herr der Därme im Fürther Schlachthof

16.2.2022, 05:58 Uhr
Peter Wieder ist der Herr der Därme im Fürther Schlachthof

© Jonas Volland

Fürth, Metzgerschlachthof, 6 Uhr. Im schneeweißen Overall geht es hinein. Männer mit Messern bearbeiten Schweinekörper, die kopfüber im Raum hängen. Ist die Bauchdecke geöffnet, rutscht ein Teil der Innereien, das Darmpaket, durch eine Plastikklappe in einen eher unbekannten Bereich des Betriebs: die Kuttelei.

Über das dortige Handwerk liefert auch das Internet kaum Informationen. Im Mittelalter kümmerten sich sogenannte Flecksieder um Därme und Mägen von Schlachttieren, heißt es dort. Wegen der vermeintlichen "Unreinlichkeit" ihres Berufes mussten sie, wie die Gerber, außerhalb der Stadtmauern siedeln.

Schnelle Schnitte

In der Gegenwart steht Peter Wieder hinter der Klappe. Mit bloßen Händen schiebt der 60-Jährige unbrauchbare Pakete nach links, die guten nach rechts. Schnelle Schnitte trennen den schleimigen Magen ab, eine Hand greift nach dem Dickdarm. Mit den Gummistiefeln steht er in einer gelbbräunlichen Masse. "Mageninhalt vom Schwein", sagt er seelenruhig.

Der Geruch trifft den Besucher mit voller Wucht, es riecht wie eine Mischung aus gärender Silage und verdorbenem Joghurt. Nach zwei, drei Würgereflexen empfiehlt sich die Atmung durch den Mund. Wieder macht das nichts mehr aus: "Da gewöhnt man sich dran."

Peter Wieder ist der Herr der Därme im Fürther Schlachthof

© Jonas Volland

Etwa 1300 Schweine, 95 Rinder und rund 25 Schafe werden wöchentlich in der Halle nebenan getötet. Geschäftig geht es dort zu, wenn an verschiedenen Stationen abgestochen, gebrüht, zerlegt wird, bis das Fleisch in der Ruhe des Kühlraumes hängt.

Viel Handarbeit

Wieders Material kann nur schlachtwarm richtig verarbeitet werden. Wenige Maschinen helfen ihm, etwa beim Ausquetschen der Dünndärme, der Rest ist Handarbeit. "Da brauchst du schon eine gewisse Fingerfertigkeit." Ansonsten können schnell Löcher entstehen, durch die Kot den Darm verschmutzt.

Diesen dreht Peter jetzt um, die saubere Außenseite kommt nach Innen. Sie ummantelt später die Wurst. Werktags von 5 bis 13 Uhr arbeitet Peter hier, montags schon ab 2 Uhr, dann wird am meisten geschlachtet.

Der erste Bolzenschuss

Mittlerweile ist es draußen hell. Ein fern klingendes Muhen kündigt die Großviehschlachtung an. Bald hallt der erste Bolzenschuss im Nebenraum. "Steaks wachsen nicht auf Bäumen", meint ein Angestellter.

Rechts neben ihm landet eine Rinderkeule in einer grauen Box. Wer noch nie in einem Schlachthof war, mag das alles hier abstoßend finden. "Das ist ein Job wie jeder andere. Jemand muss das halt machen", findet hingegen der junge Mann.

Familiäre Zustände

Und hier in Fürth steht kein industrieller Großbetrieb, keine Schlachtfabrik, in der sich das Leid der Tiere aus Massenhaltung mit den prekären Arbeitsbedingungen von Beschäftigten mischt, wie sie im ersten Pandemie-Jahr in den Fokus gerückt sind. Begrüßungen und Abschied sind freundlich, ja, herzlich. Auch Zulieferer und Kunden kennen sich untereinander.

Peter Wieder hat alle Hände voll zu tun. Treffen keine Schweine mehr ein, macht er sauber, putzt seine Arbeitsflächen und dann "beginnt das Veredeln".

Sorgfältige Arbeit

Därme werden erneut gespült, zum Teil gesalzen. Die Mägen kommen in die sogenannte Pansenschleuder, eine Art Waschmaschine, wie Wieder erläutert, während er Magen um Magen in den großen schwarzen Bottich fallen lässt.

Zweimal werden sie gereinigt, Wieder kontrolliert alle einzeln. "Das macht woanders kaum jemand, aber dadurch gibt es die beste Qualität und keine Reklamationen."

Zwei Bindfäden kommen noch an das Verdauungsorgan, dann präsentiert er es auf einem Edelstahltisch. "Der ist fertig, der Metzger braucht nur noch Presssack einfüllen und kochen."

Die Kundschaft wartet schon

Dann und wann kommen Menschen mit Eimern in den Händen zum Tor, empfangen fertige Ware. Wieders Kundschaft sind Metzgereien, Wirte und Hausschlachter. Für einen Schweinedickdarm, im Fachjargon Krause genannt, erhält er etwa drei Euro, für einen Magen zwei.

Egal ob Brat-, Blut- oder Gelb-, seine Produkte dienen fast alle der Wurstherstellung. Schon Peters Vater öffnete nach seiner Metzgerlehre – eine eigene Ausbildung gibt es nicht – einen Kutteleibetrieb im damals noch aktiven Ansbacher Schlachthof.

Noch heute hilft der 85-Jährige ab und an seinem Sohn. Kuttler will Peter Wieder nicht genannt werden: "Das ist ein Naturdarmverarbeitungsbetrieb", sagt er.

Das Sterben der Metzger

Früher hatte er in Fürth, wo er seit 31 Jahren arbeitet, noch vier Angestellte. Heute macht er fast alles allein. "Das liegt am Metzgerei- und Gastronomiesterben. Die Nachfrage sinkt."

Blutwurst und Leberwurst hätten vor 20 Jahren auch noch die jungen Leute gegessen. "Heute ist mehr Fastfood und fleischlos gefragt." Doch wer sein Fleisch bewusst und nachhaltig konsumieren wolle, müsse eben so viel wie möglich vom Tier verzehren.

Nach fast sechs Stunden sinkt der nun rot gesprenkelte Overall zu Boden, die Frischluft ruft. Doch ohne Schlachthof und die Kuttelei mit ihrem Geruch gibt es eben auch keine Bratwort oder anderen fränkischen Genuss.

Weitere Folgen aus der Handwerkerserie: Die Flechterin - Der Glasmacher - Der Käseveredeler oder Affineur - Der Kuttler - Der Instrumentenbauer - Die Porzellanmalerin - Der Schneider

Keine Kommentare