Über 600 Kilometer Reichweite
VW ID.7: Der „Elektro-Passat“ im ersten Praxis-Check
15.11.2023, 11:50 UhrIst der ID.7 die wichtigste Volkswagen-Neuheit des Jahres? Wir fragen nach bei Markenchef Thomas Schäfer. Der denkt einen kurzen Augenblick nach. „Ja“, sagt er dann, „unter den elektrischen Modellen auf jeden Fall“.
Meistverkaufter VW bleibt vorerst zwar das Kompakt-SUV Tiguan, das ebenfalls in 2023 neu vorgestellt wurde. Doch die Elektro-Garde soll aufholen. Dazu muss sie freilich möglichst breit aufgestellt werden. Unabdingbar ist es da, dem vielfahrenden Kunden auch ein Angebot in der gehobenen Mittelklasse unterbreiten zu können – einem Segment, das im Paralleluniversum der Verbrenner der Passat besetzt. Als dessen stromkonsumierende Analogie fährt nun der ID.7 zum Händler. „Unser neues Topmodell“, sagt Schäfer, und gibt sich zuversichtlich, was die Karrierechancen der Schräghecklimousine betreffen: „Der ID.7 zeigt, wie wir Elektromobilität langstreckentauglich und komfortabel machen“.
Mit dem ID.7 stellt VW sein bislang größtes Modell auf Basis des Modularen E-Antriebsbaukastens (MEB) vor. Ja – zumindest was die Länge von knapp fünf Metern betrifft, übertrifft der Neue sogar den ID. Buzz, der es nur auf 4,71 Meter bringt. Die Höhe von 1,54 Metern weist den 7er zwar gleichzeitig als flachstes ID-Modell auf, dennoch wirkt er leibhaftig wuchtiger, als es die Durchsicht der Fotos vermuten lässt. Wohlproportioniert nimmt sich die Gesamtkomposition aus, in bester VW-Tradition eher klassisch-konservativ denn spacig-futuristisch. Die Front ist elektroautotypischerweise nahezu geschlossen, die Überhänge bleiben knackig kurz, die Dachlinie fällt coupéartig in Richtung einer stämmigen Heckpartie ab, über die sich quer eine dekorative LED-Lichtspange zieht.
Viel Platz für Passagiere und Gepäck
Anders als bei einer echten Stufenhecklimousine schwenkt die Kofferraumklappe mitsamt der Heckscheibe nach oben und eröffnet den Zugriff auf ein großzügig dimensioniertes Gepäckabteil, das 582 bis 1586 Liter aufnimmt. Jede Menge Platz stellt der ID.7 auch im Passagierbereich bereit, vor allem die fürstliche Beinfreiheit im Fond nötigt dem Sitzprobanden Anerkennung ab.
Was das Ambiente im Innenraum anbelangt, so bekommt man es mit dem bislang hochwertigsten eines ID-Modells zu tun. Von nackter Plastik-Ödnis kann keine Rede sein, die Materialauswahl wirkt flaggschifftauglich hochwertig, und es ist auch dem neuen Cockpit-Layout zu danken, dass im strikt tastenreduzierten Interieur eine aufgeräumte Atmosphäre herrscht. Dass hinterm Lenkrad nur ein vergleichsweise bescheidener Mini-Screen für die wichtigsten Basics sitzt, gehört zum System. Denn weitergehend relevante Infos bleiben nicht etwa im Verborgenen, sondern werden auf ein serienmäßiges Head-up-Display mit Augmented-Reality-Bildgebung ausgelagert. Das macht auch sicherheitstechnisch Sinn, denn so bleiben die Augen dort, wo sie hingehören, auf der Straße nämlich.
Buchstäblicher Hauptdarsteller am Armaturenträger ist ein 15-Zoll-Touchscreen, der inmitten des sonst vorherrschenden Minimalismus nur umso raumbeherrschender aussieht. Die Menüführung, die auf einer „gekachelten“ Darstellung von Inhalten wie Navi, Audio oder Klima beruht, hat bei uns keine Verwirrung gestiftet, und wenn es ganz unkompliziert abgehen soll, hilft die hellhörige Sprachassistenz („Hallo, IDA“) weiter, indem sie beispielsweise Wissensfragen recherchiert und beantwortet, Sitz- oder Lenkradheizung aktiviert, den aktuellen Verbrauch nennt, das „Smart Glas“ des (optionalen) Panoramadachs von blickdicht auf transparent umschaltet oder die Funktionen der Klimatisierung steuert. Wer etwa kalte Hände beklagt, spürt umgehend, dass sich das Lenkrad aufheizt und warme Luft gezielt in Richtung der Hände fließt.
Intelligente Luftausströmer
Apropos Klimatisierung: Mit besonderem Stolz verweist VW auf die „intelligenten Luftausströmer“, welche die Luft über eine Wedelfunktion schnell und großflächig im Innenraum verteilen. Eine weitere Funktion startet automatisch die Kühlung respektive Heizung, wenn sich der Fahrer respektive die Fahrerin dem ID.7 nähert.
Noch immer eine eher fummelige Angelegenheit sind aber die kleinen Touchflächen am Lenkrad, und auch von den vielkritisierten Slidern für Lautstärke und Temperatur mochte VW nicht lassen, inzwischen sind sie aber wenigstens beleuchtet.
Elektromotor mit 286 PS
Zzu dem, was den ID.7 antreibt: Tätig wird hier ein 210 kW/286 PS starker Elektromotor, der ein üppiges Drehmoment von 545 Newtonmetern produziert und den Hecktriebler in 6,5 Sekunden bis aufs Landstraßentempo von 100 km/h beschleunigt. Die Höchstgeschwindigkeit wird bei 180 km/h abgeregelt. So, wie man es von den anderen MEB-Modellen des Volkswagen-Konzerns schon kennt, bedarf es keines Drucks auf den Startknopf, um den Wagen in Fahrbereitschaft zu versetzen, geregelt wird dies mithilfe einer Sitzbelegungserkennung. Es genügt also, den rechts am Lenkrad installierten Satelliten auf die gewünschte Fahrstufe zu drehen – D, R oder B für verstärkte Rekuperation.
Als Energiespeicher gönnt VW dem ID.7 eine 77-kWh-Batterie, die – glaubt man der WLTP-Norm – eine Reichweite von bis zu 621 Kilometern ermöglicht. Vor unserer ersten Testfahrt stellte der Bordcomputer bei 79 Prozent Ladestand 447 Kilometer in Aussicht, hochgerechnet hätte das knapp 556 Kilometer ergeben. Den Verbrauch beziffert VW auf 14,4 bis 16,3 kWh/100 km, wir lasen nach unserer Landstraßentour 19,4 kWh ab, ein Verbrauchswunder ist der ID.7 also nicht.
Schnellladen mit bis zu 175 kW
Reichweite ist nur eine Währung, auf die es beim Elektroauto ankommt, mindestens ebenso wichtig für die Langstreckentauglichkeit ist die Ladeleistung. Über 800-Volt-Technologie wie beispielsweise Hyundai Ioniq 5/Ioniq 6 oder Kia EV6 verfügt der ID.7 zwar nicht. Doch bei einer maximalen Ladeleistung von 175 kW binnen zehn Minuten Strom für weitere 204 Kilometer nachtanken zu können, ist auch schon ein Wort. Weiterer Orientierungspunkt: Von zehn auf 80 Prozent Batterieladestand soll es am DC-Schnelllader idealerweise innerhalb einer knappen halben Stunde gehen. Standard-Laden an der Wallbox funktioniert nur mit eher bescheidenen 11 kW.
Bei der Ladesäulensuche und überhaupt bei der Laderoutenplanung hilft das Navi versiert weiter. Davon abgesehen, zeigt die Karte grundsätzlich „Stromtankstellen“ an, der rote oder grüne Punkt differenziert aber nicht, ob alle oder nur einzelne Ladepunkte besetzt beziehungsweise frei sind. Die Batterie lässt sich entweder manuell oder mithilfe des Navis auf den Ladestopp vorkonditionieren.
Fahren mit dem VW ID.7 bedeutet vor allem eines: Tiefenentspannung. Ein Sportler ist das neue elektrische Topmodell zwar nicht (wozu sollte es das auch sein?), wohl aber ein wunderbar komfortorientierter Kandidat für die relaxte Langstrecke, der Störstellen im Asphalt kundig glättet, dem es nie an Leistung gebricht und der seine Passagiere mit großer Gelassenheit, Souveränität und nicht zuletzt so leise voranbringt, dass Bordgespräche keine erhobene Stimmlage erfordern.
Einparkautomatik mit Memory-Funktion
Zum umfangreichen Aufgebot der serienmäßigen Fahrassistenten zählen eine Einparkautomatik, die bestimmte Manöver zum Wiederabruf abspeichert sowie der „Travel Assist“, ein Adaptivtempomat, der auch assistiertes Überholen ermöglicht. Darüber hinaus bringt der zum Marktstart ausschließlich in „Pro“-Ausstattung verkaufte ID.7 beispielsweise Sitz- und Lenkradheizung, Verkehrszeichenerkennung, Fernlichtassistent, Rückfahrkamera, Navi und Dreizonen-Klimaautomatik. Extra berechnet wird das Matrix-LED-Licht, leider auch die Wärmepumpe.
Der Preis von mindestens 56.995 Euro ist trotz der umfangreichen Serienausstattung durchaus eine Herausforderung, zumal auch der Umweltbonus nicht mehr verrechnet werden darf, denn ab 1. Januar 2024 gibt es ihn nur noch für E-Autos, deren Nettolistenpreis 45.000 Euro nicht übersteigt. Für Gewerbekunden ist er ohnedies bereits Geschichte.
Den Passat bietet VW inzwischen nur noch als Kombi an. Das zeigt, wie wichtig und volumenstark diese besonders ladefreudige Karosserievariante gerade in Europa ist. Auch beim ID.7 wird es nicht ohne abgehen. Allerdings trägt der Kombi nicht mehr den traditionsreichen „Variant“, sondern heißt „Tourer“. 2024 kommt er auf den Markt. Parallel dazu schiebt VW außerdem einen leistungsstärkeren ID.7 mit Dual-Motor-Konzept, Allradantrieb, 340 PS und 86-kWh-Akku für bis zu 700 Kilometer Reichweite nach.
VW ID.7 in Kürze:
Wann er kommt: Marktstart im vierten Quartal 2024.
Wen er ins Visier nimmt: Hyundai Ioniq 6, BMW i4, Tesla Model 3 etc.
Was ihn antreibt: Elektromotor mit 210 kW/286 PS. Hinterradantrieb. Batteriekapazität 77 kWh.
Was er kostet: Ab 56.995 Euro.
Was noch folgt: Kombi „Tourer“, Allradvariante mit 340 PS und 86-kWh-Batterie.
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