Ohrfeige für Präsident Macron

Sturm auf die Bastille 2.0: Lepenisten sind in Frankreich fast am Ziel

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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1.7.2024, 14:22 Uhr
Die französische Rechtsaußen-Führerin Marine Le Pen ist mit ihrer Partei "Rassemblement National" die eindeutige Wahlsiegerin

© Thomas Padilla/dpa Die französische Rechtsaußen-Führerin Marine Le Pen ist mit ihrer Partei "Rassemblement National" die eindeutige Wahlsiegerin

Ein Präsident, der stets betont, die Mitte stärken zu wollen, hat den Rechtsextremen in Frankreich Tür und Tor geöffnet: Zwar entscheidet aufgrund des Mehrheitswahlrechts erst der kommende Sonntag über die Zusammensetzung der künftigen Nationalversammlung, doch der Siegeszug von Marine Le Pen dürfte nicht zu stoppen sein.

Zu deutlich sind die Ergebnisse der ersten Runde der Parlamentswahlen ausgefallen. Über zehn Millionen Franzosen haben sich für Vertreter des Rassemblement National (RN) ausgesprochen. Selbst wenn es bei den Stichwahlen nicht für eine absolute Mehrheit der Sitze in der Assemblée Nationale reichen sollte, mit Abstand stärkste Kraft werden die Lepenisten aller Voraussicht nach.

Herzkammer der Demokratie könnte von Nationalisten mitregiert werden

Der nächste Premier unseres westlichen Nachbarn könnte also wahlweise Marine Le Pen oder ihr ideologischer Ziehsohn Jordan Bardella werden. Die vom Präsidenten Macron als kluger Schachzug gedachten Neuwahlen erweisen sich als politischer Rohrkrepierer. Frankreich, die Herzkammer der Demokratie, das bislang verlässlichste Mitglied der EU, könnte bald von Nationalisten mitregiert werden.

Gerne wird in Paris an den Sturm auf die Bastille erinnert, dieses Mal, sollte es zu einer rechtsextrem geführten Regierung kommen, würde dieser Sturm unter umgekehrten Vorzeichen erfolgen - viele Franzosen legen es offenbar auf einen solchen Machtwechsel geradezu an, weil sie den anderen politischen Kräften im Land nicht zutrauen, gegen das im Land weit verbreitete diffuse Gefühl des Abstiegs anzukämpfen.

Anders ist dieses Wahlergebnis nicht zu erklären. Macron bleibt zwar bis 2027 im Elysée-Palast, allerdings dürfte er ein schwieriges Ende seiner zweiten Amtsperiode vor Augen haben. Trotz all der Machtfülle, die die Verfassung der V. Republik dem Präsidenten einräumt, wird er in einer Cohabitation, also der drohenden Kooperation mit dem RN, ungeliebte Kompromisse schließen müssen.

Die politische Mitte Frankreichs ist nach diesen Wahlen nur mehr ein entkernter Torso. Das Land der Aufklärung wird in Kürze womöglich in Richtung Abschottung und Ausgrenzung abdriften. Der Widerspruch wird in diesem Sommer extrem krass sein: Hier Paris, die schillernde Metropole und Gastgeber der multikulturellen Olympischen Sommerspiele, dort das ländliche Frankreich mit teils satten rechtsextremen Mehrheiten und teils strukturell verankerter Fremdenfeindlichkeit.

In Frankreich geht die Saat des Rechtsextremismus auf

Für den europäischen Zusammenhalt bedeutet das nichts Gutes: Die schon bei den Europawahlen gestärkten Rechtsaußen sind nun auch im eigenen Land wirkungsmächtig. In Frankreich geht die Saat des Rechtsextremismus nach Jahrzehnten der Pflege und Hege auf. Äußerst geschickt hat Marine Le Pen die allzu offenkundigen antisemitischen, homophoben und fremdenfeindlichen Töne ihres Vaters und anderer Vertreter des RN eingefangen, sie agiert als Wolf im Schafspelz - und könnte 2027 Präsidentin werden.

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