Macron auf Staatsbesuch

Frankreich und Deutschland: Eine Freundschaft, die mehr denn je gepflegt werden muss

Hans Böller

Redakteur der Nürnberger Nachrichten

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28.5.2024, 16:13 Uhr
Zahlreiche Besucher erwarten in Dresden Emmanuel Macron.

© Sebastian Kahnert/dpa Zahlreiche Besucher erwarten in Dresden Emmanuel Macron.

Frankreich und Deutschland sind Zwillinge, wenn auch, will man es so sagen: bei der Geburt getrennt worden. Als das Frankenreich im neunten Jahrhundert unter den Enkeln Karls des Großen aufgeteilt wurde, entstand im Osten das, was einmal Deutschland werden sollte, im Westen wuchs Frankreich heran. Ganz friedlich geschah das nicht, und es war, viel später, ein Franzose, nämlich Napoleon, der das altersschwache Gebilde des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation liquidierte. Ein geeintes Deutschland kam dann 1871 auf französischem Boden zur Welt – nach einem verlustreichen Krieg, dem weitere folgen sollten.

Aus Feindschaft wird Freundschaft

Wer nicht sehr jung ist, kennt noch den nationalistischen Begriff der Erbfeindschaft für ein deutsch-französisches Verhältnis, das nicht nur Kriege belasteten. Historiker sehen auch andere Gründe. Hier der Zentralstaat Frankreich mit seinem für die Welt stilprägenden Hof, die große Nation, dort das kleinteilige, provinzielle Deutschland – auch Neid ist menschlich und schafft Berührungsängste.

Emmanuel Macron auf Staatsbesuch.

Emmanuel Macron auf Staatsbesuch. © Jan Woitas/dpa

Die nach 1945 gewachsene deutsch-französische Freundschaft ist eine große Errungenschaft. Der Freundschaftsvertrag von 1963 ist formal unverbindlich – aber von starker Symbolkraft und über ein halbes Jahrhundert vielfältig mit Leben gefüllt worden. Mit dem Willen zu Versöhnung und Freundschaft waren und sind beide Länder Motoren eines geeinten, friedlichen Europas. Dass es 24 Jahre dauerte, ehe nun mit Emmanuel Macron wieder ein französischer Präsident zum Staatsbesuch nach Deutschland kam, mutet zwar etwas verblüffend an – aber die Beziehungen sind jenseits aller institutionellen Ebenen so eng geworden, dass es solcher Formalitäten gar nicht dringend bedurfte.

Das Interesse lässt nach

Allerdings: Das Interesse aneinander, das belegen Umfragen, lässt nach. Laut einer aktuellen Allensbach-Erhebung wächst die Zahl der Menschen, die sich kaum für das Geschehen im jeweiligen Nachbarland interessieren; in den Klassenzimmern lernen immer weniger junge Menschen dessen Sprache. Und das alles hat nichts mit naturgemäß oft unterschiedlichen politischen Ansichten über Friedens- und Finanzpolitik oder die Ausrichtung der Europäischen Union zu tun – es ist eine eher emotionale Beziehungskrise, die große Mehrheit hält ein Miteinander weiterhin für wichtig.

Macrons Besuch darf deshalb vor allem eine symbolische Bedeutung haben – als Erinnerung an eine gemeinsame Verpflichtung in Zeiten eines wachsenden antieuropäischen Nationalismus, der, auch, Neid und Berührungsängste schürt und angebliche kulturelle Fremdheiten betont. Das "Couple franco-allemand", das französisch-deutsche Paar, hat 1963 eine Vernunftehe geschlossen, aus der eine tiefe Zuneigung wuchs – eine, die besonders zu pflegen vielleicht mehr denn je wichtig ist.

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