Viel zu frühe Schuldzuweisungen
Der Anschlag von Magdeburg macht fassungslos - und viele Reaktionen darauf leider ebenso
21.12.2024, 06:30 UhrEs ist der blanke Horror. Wer Menschen, wer eine Stadt, wer ein Land in seinen Grundfesten erschüttern will, der muss genau dies tun: einen Weihnachtsmarkt mit Terror, mit blutiger Gewalt überziehen. Viele dachten nach den ersten Meldungen von der Amokfahrt in Magdeburg an den Anschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin vor acht Jahren. Damals steuerte ein Islamist einen Lkw in den Markt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, 13 Menschen starben.
Oh Gott. Bitte nicht schon wieder: Ja, das geht einem durch den Kopf bei solchen Meldungen und Schlagzeilen, das waren bei vielen die ersten Gedanken.
So eine Tat macht erst einmal fassungslos. Der Schmerz und die Trauer schnüren einem das Herz zu. Unsere Gedanken müssen den Todesopfern gelten, den Verletzten, den Angehörigen, einer Stadt in Schock und Trauer. Das Land ist ins Mark getroffen kurz vor Weihnachten, dem Fest des Friedens und der Liebe.
Trauern, mitfühlen, still sein, bitte. Inzwischen sehen die Reaktionen aufs Unfassbare aber anders aus. Da war am Freitag abend noch kaum etwas bekannt über den Täter und seine Motive - aber prompt begann die Empörungsmaschinerie im Netz zu laufen, samt massiver Schuldzuweisungen.
Es war wieder einmal Elon Musk, der sich am weitesten vorwagte. Auf seinem Netzwerk X schrieb der reichste und einflussreichste Mann der Welt nach der Todesfahrt von Magdeburg tatsächlich: "Scholz sollte sofort zurücktreten." Und er nannte den Noch-Kanzler einen "unfähigen Idioten" ("incompetent fool"). Da sei, nebenbei, die Frage erlaubt, ob er nach dem nächsten Schußwaffen-Massaker in den USA den Rücktritt Trumps fordern wird.
Magdeburg und die Reaktionen: Wahnsinn im Netz
Die Netz-Gemeinde griff Musks Vorwurf auf, etliche Politiker der AfD taten ebenfalls so, als sei schon klar, dass dies wieder ein islamistischer Anschlag gewesen sein muss. "Wann hat dieser Wahnsinn ein Ende?", schrieb AfD-Vorsitzende Alice Weidel.
Eine berechtigte Frage: Wann hat der Wahnsinn ein Ende, das Netz mit Schuldzuweisungen, Falschinformationen, Hass und Verleumdungen zu fluten? Zu Recht erinnern Beobachter nun daran, dass es ebenfalls Elon Musk war, der im August Unruhen in Großbritannien befeuerte. "Ein Bürgerkrieg ist unausweichlich", twitterte er damals - um eben diesen Bürgerkrieg herbeizuschreiben.
Damals wütete der Mob in britischen Städten, nachdem am 29. Juli in Southport drei Mädchen erstochen worden waren. Danach wurde auch auf X die Falschmeldung verbreitet, der Täter sei ein muslimischer Migrant.
Nun wurden ähnliche Schuldzuweisungen verbreitet. Dabei ist vieles ist einfach noch unklar, nur das ist sicher: Es ist ein tragischer Fall. Ein Grund zum Innehalten, zum Nachdenken, nicht zum Gegenteil davon: dem Schüren von Hass und Spaltung.
Sie sammeln Stimmen mit Stimmungen
Genau das beabsichtigen Terroristen - egal, welcher Gesinnung. Und Populisten schöpfen aus der Angst ihre Kraft, sie sammeln Stimmen mit Stimmungen.
Viele offene Fragen sind im Detail zu klären. Reichten die Sicherheitsvorkehrungen in Magdeburg? War der Täter nicht genug auf dem Schirm der Behörden? Taleb A. ist kein Unbekannter. Auf X postete er seine Hass-Attacken und auch Gewaltfantasien gegen den Islam, später auch gegen Deutschland - das Land, in das er 2006 aus Saudi-Arabien floh und das ihm Asyl gewährte.
Es war also nachzulesen, wie er dachte. Elon Musks Plattform bietet ihm - und allen anderen - genau das: eine Plattform zum Verbreiten jeden Unsinns. Fast ohne Kontrolle. Und auch Platz für kluge Gedanken, die viele andere dort äußern.
Der Terrorismus-Experte Peter R. Neumann etwa schrieb auf X nun: "Nach 25 Jahren in diesem ,Geschäft‘ denkst Du, nichts könnte dich mehr überraschen. Aber ein 50jähriger. saudischer Ex-Muslim, der in Ostdeutschland lebt, die AfD liebt und Deutschland für seine Toleranz gegenüber Islamisten bestrafen will - das hatte ich wirklich nicht auf dem Zettel."
Musk attackiert nun Deutschland wegen seiner "selbstmörderischen Milde". Dass Saudi-Arabien vor Taleb A. warnte, hätte womöglich einen genaueren Blick auf den späteren Täter nahelegt. Aber: Wie das Königreich mit Kritikern umgeht, zeigte zum Beispiel das Schicksal des Journalisten Jamal Kashoggi. Der Regime-Gegner wurde 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. Im Fall des Täters von Magdeburg bot Deutschland da offenbar einem Mann begründeten Schutz, der diesen Status aufs denkbar Schlimmste missbrauchte.
Ein in jeder Hinsicht fürchterlicher Fall.
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