Erbaut 1887
Prunk, Pracht, Fliegerbombe: Warum diese Apotheke immer noch eine der schönsten Nürnbergs ist
24.12.2024, 19:00 UhrBei der weihnachtlichen Festbeleuchtung ist der Grat zwischen Zierde und optischer Körperverletzung oft ein schmaler. Da ist es schön zu sehen, dass – neben dem stilvollen städtischen Lichterschmuck in der Altstadt – auch manch privater Weihnachts-Enthusiast ein Händchen fürs festliche Dekorieren besitzt. Besonders reizvoll rahmen die bunten Lämpchen, Wichtel, Rentiere und Nikoläuse die Erdgeschosszone des Hauses Bucher Straße 37 a. Hier ist nicht nur die Deko eine Schau, sondern auch das prunkvolle Haus und die darin beheimatete "Hirschapotheke" mit ihrer historischen Einrichtung.
Vor 140 Jahren erstreckte sich an dieser Stelle noch der weitläufige Nutzgarten des Johann Georg Kißkalt. 1884 aber war es mit dem Garteln vorbei. Die Großstadt klopfte an die Tür, und zwar in Gestalt von Lorenz Friedrich Zitzmann. Der Maurer- und Tünchermeister, Jahrgang 1851, kaufte den Grund von dem Bankier und Immobilienmagnaten Julius Neu an, um ihn mit Mietshäusern zu bebauen. Bis 1887 entstand auf den drei Parzellen Bucher Straße 37 a, b und c ein Dreigespann in den weiland modischen Formen der französischen Neorenaissance.
Den drei- bzw. vierstöckigen Mitteltrakt mit der Hofeinfahrt fassen zwei niedrigere Kopfbauten mit tiefen Rückflügeln ein, deren Ecken durch Kuppelhauben mit Dachplattformen und Ziergittern akzentuiert sind. Eine rustizierte Sockelzone und eine üppige Gliederung mit Pilastern, Profilrahmen, Verdachungen, Gesimsen und Balustraden aus Burgsandstein beleben die Fassaden. Ungewöhnlich für Nürnbergs Vorstadtbild der Zeit: Ursprünglich besaßen alle drei Häuser zur Straßenseite kunstvoll ornamentierte Balkone aus Gusseisen.
Zitzmann hatte seine Ausbildung an der Nürnberger Baugewerkeschule in einer Zeit genossen, da Baukunst und Handwerk noch eine untrennbare Einheit bildeten. Folglich war er nicht nur darin bewandert, Steine aufeinanderzuschichten, sondern war überdies ein kreativer Entwerfer, dessen Entwürfe es mit den Schöpfungen akademisch ausgebildeter Architekten durchaus aufnehmen konnten: Er zeichnete die Pläne für das kleine Palais selbst.
Anfangs zeigte das Haus eine weitgehend achsensymmetrische Fassade. Das aber sollte sich 1906 ändern: Da nämlich erwarb der Erlanger Apotheker Adolf Meusel den südlichen Kopfbau. Her konnte er sich den Traum eines eigenen Geschäfts verwirklichen. Entsprechende Lizenzen waren heißbegehrt. Während sich die Meusels in der Beletage ihre Wohnung einrichteten, eröffnete im umgebauten Erdgeschoss 1907 die Apotheke. Wie Meusel auf den Namen "Hirsch-Apotheke" kam, ist nicht überliefert. Recht originell ist er nicht, gibt es in Deutschland doch weit über einhundert Apotheken dieser Bezeichnung, die vermutlich auf die mythologische bzw. biblische Bedeutung des majestätischen Paarhufers zurückgeht.
Eine Fliegerbombe zerfetzte das Nachbarhaus in der Bucher Straße
Allzu leichtfertig mag man die stark geglättete Haut des Kopfbaus Nr. 37 c einem banausigen Eigentümer der Nachkriegszeitzuschreiben. Tatsächlich ist sie indirekte Folge eines Kriegsschadens: 1945 zerfetzte eine Fliegerbombe das Nachbarhaus Bucher Straße 39. Die Steine und Dachziegel, die dabei mit hoher Geschwindigkeit in alle Himmelsrichtungen davonflogen, lädierten die Zitzmann‘schen Fassaden so arg, dass man beim Wiederaufbau aus Kostengründen zu Hammer, Meißel, Putz und Farbe griff. Eine jüngste Renovierung hat dem Bau wieder ein freundlicheres Kolorit gegeben, ihm allerdings auch ein maximal abweisendes Hoftor aus Edelstahl beschert, bei dem eigentlich nur noch der aufgepflanzte NATO-Draht fehlt.
Auf der anderen Seite des Ensembles in der Nr. 37a indes scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, und zwar im positiven Sinne. Dass die wunderbaren Ladeneinbauten im Stil der Neorenaissance aus Eiche und Nussbaumholz mit Emaille-Schildern und Gefäßen noch da sind, ist Apothekerin Dagmar Gneißl zu verdanken. Eigentlich nämlich sollte all das, nachdem die vormalige Inhaberin im Jahr 2000 hatte Insolvenz anmelden müssen, unter den Hammer – Mindestgebot: 15.000 Mark. Doch Gneißl schloss einen Sicherungsübereignungsvertrag und rettete das kostbare Interieur damit vor der Demontage.
Die charmante historische Einrichtung hat auch Nachteile: Ein automatisiertes Medikamenten-Ausgabesystem ist Fehlanzeige, die Stell- und Auslageflächen sind begrenzt. Die Kommunikation zwischen Apothekerinnen und Kundschaft ist also das A und O. Doch gerade darin und in der wunderbaren historischen Atmosphäre liegen die Stärken der Hirschapotheke.
Mit diesem Blick auf und in eine der ältesten und schönsten bestehenden Apotheken Nürnbergs verabschiedet sich das Projekt "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" für dieses Jahr und wünscht allseits frohe Weihnachten und einen guten Rutsch! Neues von uns gibt‘s 2025.
Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de. Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-Wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel
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