Das Wirtshaus tief im Süden
Einöde, Luftangriffe, fränkische Gemütlichkeit: Der „Petzengarten“ spiegelt Nürnberger Geschichte
9.12.2024, 11:00 UhrIm Advent ist das Einkehren besonders schön. Wenn‘s draußen kalt und zugig ist oder gar eine weiße Schneedecke Stadt und Landschaft einhüllt und man sich in der warmen Stube niederlassen darf, schmecken Schäufele und Bratwürste doch einfach am besten. Es sei denn, man hat sich dafür für ein zentral gelegenes Etablissement in der Altstadt ausgesucht, wo gerade eine Horde ausgekühlter und angedüdelter Christkindlesmarktbesucher einfällt.
Das passiert im "Petzengarten" tief im Nürnberger Süden eher selten. Genug Gäste gibt‘s trotzdem. Wer hier speist, sitzt an einem Ort, den es laut Wikipedia gar nicht mehr gibt. Tatsächlich aber markiert das Haus, in dem der Schmied und Gutsherr Christian Petz 1863 seine Gastwirtschaft eröffnete, bis heute die Stelle des alten Forsthofs: 1719 erstmals erwähnt, diente die damals noch direkt am Rande des Lorenzer Reichswaldes am Fischbach gelegene Einöde als Dienstwohnsitz des reichsstädtischen Waldhauers und des Grabenmeisters. Während Ersterer den Einschlag von Bauholz für Fremdabnehmer überwachte, hatte Letzterer die Entwässerungs- und Schonungsgräben im Forst herzustellen und in Stand zu halten.
Ihr Haus, das unsere Fotokarte von 1917 zeigt, war ein für die Umgegend Nürnbergs typisches Wohnstallhaus, eingeschossig, mit steilem Satteldach, einem Zugang zum Ern (dem Hausflur) an der Längsseite und einer dezent-repräsentativen Fassade gegen die Straße mit seitlichen Voluten aus Sandstein, die man wohl im späten 18. Jahrhundert dem älteren Fachwerkbau vorgesetzt hat. 1899 ging der Forsthof mit der Gemeinde Gleißhammer in der Großstadt Nürnberg auf; die nahe Forsthofstraße erinnert noch heute an ihn.
Nach mehreren Gastspielen anderer Gastronomen übernahm hier eine Familie die Zügel, die bei den kunstsinnigen Nürnbergern einen klingenden Namen hat: die Göschels. Der Metzger Christof Göschel und seine beiden Brüder, die Bildhauer Johann und Ferdinand, machten den Petzengarten ab 1898 zu einem beliebten Ausflugslokal und legten den Grundstein für ein Familienunternehmen, das bis heute besteht. 1928 bezahlte Christof seine Geschwister aus und betrieb Wirtschaft und Biergarten fortan in Eigenregie.
Doch dann kam der Zweite Weltkrieg: Gleich dreimal schlugen britische Fliegerbomben auf dem Anwesen ein. Gerade als die Göschels ihr lädiertes Haus 1944 notdürftig geflickt hatten, machte der nächste Luftangriff am 10. September alle Mühen wieder zunichte. Aber die Wirtsfamilie gab nicht auf: Trotz größter Probleme bei der Materialbeschaffung wuppten die Göschels erneut den Wiederaufbau, finanziert nicht zuletzt durch den Verkauf von frischem Bier "über die Gasse". So gelang es, dass Sohn Wilhelm 1949 ein quasi nigelnagelneues Wirtshaus übernehmen konnte, das er 1950-51 um den erneuerten Biergarten und eine Wohnung für die Wirtsleute erweiterte. Fotos aus Familienbesitz zeigen, dass Teile des kriegsbeschädigten Grabenmeister- und Waldhauerhauses in den Neubau einbezogen wurden, dessen auffälliger, 1976 gegen den Hof erweiterter Kopfbau mit steilem Satteldach, heute die Besucher des Gasthofs begrüßt.
Apropos Gasthof: Übernachten kann man im Petzengarten erst seit 1982. Da nämlich wurde der großzügige Erweiterungsbau mit Hotel, Rezeption, Frühstücksraum und Tiefgarage, entworfen von dem Nürnberger Architekten Ludwig Kasperek, offiziell eröffnet. Zusammen mit dem alten Wirtshaus umfrieden die Bauten einen kleinen, grünen Innenhof, in dessen Mitte in der warmen Jahreszeit ein Brunnen plätschert.
Die Bronzefigur, die ihn ziert, wird vielen Nürnbergern bekannt vorkommen: Es ist das Gänsemännlein, das im Original von Hans Peißer und Pankraz Labenwolf (um 1540) im großen Rathaushof steht und seit dem 19. Jahrhundert einige Brüder in Form von Kopien, etwa in Meiningen, Weimar und Luzern besitzt.
Zu ihrem Abguss kamen die Göschels kurz nach Kriegsende, als sie das gute Stück für einen Sack Mehl eintauschten. Heuer nun besteht das gemütliche Gasthaus im Nürnberger Süden seit 161 Jahren, und die mittlerweile vierte Generation der Familie Göschel führt es in eine hoffentlich rosige Zukunft.
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