Baudenkmal in St. Johannis
Die liebe Familie Hirsch und ihr Garten: Zeitzeugen erinnern sich an die Anfänge der BND-Villa
19.9.2023, 11:00 UhrEin Gebäude muss nicht alt sein, damit sich darum Gerüchte ranken. Die Villa Hirsch in St. Johannis war gerade 31 Jahre alt, als sie 1945 von der Außenwelt abgeschottet wurde und die Legendenbildung ihren Lauf nahm. Nach umfangreichen Voruntersuchungen und Beratungen sind jetzt die Weichen für ihre Restaurierung und Wiederbelebung gestellt.
Neuer Eigentümer will ein neues Image
Geheimdienste geben sich von Natur aus große Mühe, ihr Handeln zu verschleiern. So war es auch mit der "BND-Villa" in der Wielandstraße, in der der Bundesnachrichtendienst 1959 bis 2013 unter dem Tarnnamen "Hauptstelle für Befragungswesen" Menschen aus den Staaten des Warschauer Paktes und der GUS über die Verhältnisse in ihren Herkunftsländern ausquetschte.
Der Titel "BND-Villa" ist für das Baudenkmal eine fast schon rufschädigende Last, und auch dem neuen Eigentümer, der Aventin Real Estate, ist daran gelegen, das ramponierte Image wieder aufzupolieren. Entstanden ist die Villa nämlich 1913 bis 1914 als nobles Wohnhaus. Angelo Hirsch, Inhaber der "Fabrik für Leonische, halbechte und echte Gespinste G. Hirsch & Sohn", seine Frau Florence und ihre Kinder Stefan, Alice und Dorle verwirklichten sich damit den Traum vom Eigenheim.
Die ersten Besitzer lebten nur fünf Jahre hier
Für den Neubau im Reformstil mit barocken Anklängen von Architekt Hans Pylipp musste die gerade einmal 24 Jahre alte Villa Leuchs weichen. Der Grund für diese Entscheidung war wohl, dass die Hirschs in ihrer vertrauten Umgebung bauen wollten, wo es nur wenige geeignete Grundstücke gab.
Allerdings wohnte die jüdische Familie gerade einmal fünf Jahre dauerhaft in der Wielandstraße. 1919 zog sie nach New York City, wo sie schon um 1890 Wurzeln geschlagen und die US-Staatsbürgerschaft erworben hatte. Ihre Nürnberger Residenz nutzten sie fortan nur noch in den Ferien und für Geschäftsaufenthalte, vermieteten sie an Verwandte und die Pension "Haus Vosteen", die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Lindenaststraße umzog. Sohn Stefan war es dann, der sein Elternhaus Ende der 1950er Jahre an den Bund veräußerte.
Dass der BND hier arbeitet, war ein offenes Geheimnis
Der alteingesessene Johanniser Manfred Glaser (85) erinnert sich vor allem an das schöne Relief von Philipp Widmer am Portal zur Wielandstraße: Es zeigt ein nacktes Kindlein, das auf einem Hirsch sitzt und diesen mit Blättern nährt. Für ihn ist es eine Erinnerung an die Firma Hirsch & Sohn in der Poppenreuther Straße, die Glaser von seinem Zuhause stets im Blick hat.
Werner Hebbecker, der 1945 im Luftschutzbunker der Frauenklinik das Licht der Welt erblickte und seine Kindheit im Kirchenweg verbrachte, kam in den 1950er und 1960er Jahren nahezu täglich auf dem Schulweg an der Villa vorbei, die ihm jedes Mal eine Gänsehaut eingejagt habe. Geheimnisvoll und gespenstisch sei ihm die Villa damals erschienen, weil sie einerseits so gepflegt war, man aber nie eine Menschenseele im Haus oder im Garten erblickte. Dass der BND in der Villa sitzt, sei ein offenes Geheimnis in der Nachbarschaft gewesen.
Reinhold Helbig (77), der in direkter Nähe zur Villa Hirsch aufwuchs, weiß von rauschenden Partys zu berichten, die die Amerikaner – das Haus wurde ab 1945 vom Spionageabwehrkorps der US-Armee genutzt – im Haus veranstalteten und ihre Straßenkreuzer im eigens dafür geschotterten Garten parkten.
Interviews mit den Verwandten und Nachfahren
Die Erste, die sich wissenschaftlich mit der Villa Hirsch und der Geschichte der Familien Hirsch und Leuchs befasste, ist Gerda Fink, die lange Jahre bei der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt angestellt war. Zwei dicke, randvolle Ordner mit Kopien, Fotos, Dokumenten und Notizen und ein Aufsatz in den Mitteilungen des Bürgervereins St. Johannis-Schniegling-Wetzendorf (Heft 55, 2004) sind das reiche Ergebnis ihrer jahrelangen Kärrnerarbeit, bei der sie enge Kontakte mit ausgewanderten Mitgliedern der Familie Hirsch, ihren Verwandten und Freunden knüpfte, die das Haus zu seiner Glanzzeit erlebt hatten.
Auch im hohen Alter noch waren bei ihren Interviewpartnerinnen Else und Hilde Baer die Erinnerungen an die Villa lebendig, an die blühenden Magnolienbäume im Garten, die Spielnachmittage mit Dorle und dem Nachbarsjungen Emil, an ihren Cousin Stefan, der sich gerne zum Malen ins Turmzimmer zurückzog und dort auf keinen Fall gestört werden wollte, und vor allem an die Herzlichkeit, mit der sie Onkel Angelo und Tante Florence im Haus aufnahmen.
Moderne Büros sollen die Geschichte fortschreiben
Heute fällt es ein wenig schwer, sich das harmonische Miteinander und die anheimelnde Gemütlichkeit der Wohnräume vorzustellen. Die einst großzügigen Zimmer sind durch Zwischenwände der 1960er Jahre in Myriaden von Büro- und Archivräumen mit martialischen Sicherheitstüren aufgeteilt, Wände und Decken einheitlich in gebrochenem Weiß gefasst. Immerhin, die historischen Parkettböden, Türen und Fenster, Kassettendecken und das prunkvolle Treppenhaus mit dem Vestibül haben die Zeiten fast unverändert überstanden.
Doch das Leben soll bald zurückkehren in die Villa Hirsch, und auch die Einbauten der BND-Zeit will die neue Eigentümerin größtenteils wieder entfernen, um dem Bau seine einstige Grandezza zurückzugeben. Gewohnt wird hier fortan allerdings nicht mehr; vielmehr wird die Villa nach ihrer zweiten Vollendung Raum für Büros bieten. Dann wird der Spuk vorbei sein, und ein bedeutendes Denkmal Nürnberger Geschichte und Architektur ein neues, schöneres Leben beginnen.
Am Samstag, 23. September, können Interessierte von 11 bis 16 Uhr die Villa in der Wielandstraße 27 besichtigen. Der Eintritt ist frei.
Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de
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