Im Jahr 2020 bot der verlassene Gasthof "Weißes Roß" ein trauriges Bild.
© Sebastian Gulden
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Im Jahr 2020 bot der verlassene Gasthof "Weißes Roß" ein trauriges Bild.

Anfänge im Jahr 1654

Das „Weiße Roß“: Die Geschichte eines verlassenen Gasthofs mitten in Nürnberg-Kleinreuth

Ob es das "Weiße Roß", wie der nachmalige Gasthof "Weinländer" einst hieß, schon gab, als der Königshof zu Fürth Kleinreuth im frühen Mittelalter auf einer Rodungsinsel gründen ließ, wissen wir nicht. Fest steht, dass der zweigeschossige Bau im Jahre 1654 neu errichtet wurde, nachdem das gesamte Dorf im Dreißigjährigen Krieg quasi dem Erdboden gleichgemacht worden war. Zu dieser Zeitschicht passt das massive, aus großen Sandsteinquadern gefügte Erdgeschoss, das ein Obergeschoss in Rähmbauweise bekrönt.

Zeitweise unter einer Putzhaut verborgen, erstrahlt das ochsenblutrote barocke Sichtfachwerk mit Andreaskreuzen und Feuerböcken seit einer Renovierung irgendwann zwischen 1933 und 1958 wieder im alten Glanz. Eine Aufzugsgaube mit Schopfwalm über dem Hauptportal zeigt an, dass der Bodenraum unter dem hohen Satteldach dereinst Lagerzwecken diente. Erst im 19. und 20. Jahrhundert hat man seine untere Ebene zu Gästezimmern ausgebaut.

Um 1918 posieren Wirt Paul Weinländer und seine Familie vor ihrem Gasthof für den Fotografen. Die Fassaden waren damals verputzt.

Um 1918 posieren Wirt Paul Weinländer und seine Familie vor ihrem Gasthof für den Fotografen. Die Fassaden waren damals verputzt. © Ansichtskarte: unbekannt/Sammlung Sebastian Gulden

Ein weiteres Familienbild um 1933, diesmal mit hauseigenen Motorrad. Der Ausleger mit dem weißen Ross lag damals demontiert wohl auf dem Dachboden.

Ein weiteres Familienbild um 1933, diesmal mit hauseigenen Motorrad. Der Ausleger mit dem weißen Ross lag damals demontiert wohl auf dem Dachboden. © Ansichtskarte: unbekannt/Sammlung Sebastian Gulden

Teile der gewaltigen Grundfläche sind unterkellert; die Sandsteingewölbe beherbergten zuletzt unter anderem eine urige Gaststube, von den Wirtsleuten auf den römischen Weingott "Bacchuskeller" getauft. Abgesehen von der teilweise erhaltenen Grundstruktur des 17. Jahrhunderts mit Fachwerkwänden hat das Haus über die Jahrhunderte freilich manch Veränderung erfahren. Davon zeugen etwa die Holztreppe aus der Zeit um 1900 und ein paar Kassettentüren mit Blendrahmen in Jugendstilformen. Heute zeigen sich die Räume namentlich geprägt vom letzten großen Um- und Ausbau 1970/71 nach Planung von Karl-Heinz Lauchs, in dessen Rahmen man wohl auch den Ziehbrunnen vor dem Gebäude in die heutige historisierende Form gebracht hat.

Dass das imposante Gasthaus die Vorbeifahrenden auf ihrem Weg in Richtung Zirndorf begrüßt, ist Ergebnis einer jüngeren Entwicklung. Bis zu seinem Abbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nämlich versperrte ein Kleinbauernhaus mit Stall den Blick. 1962/63 ließen die Weinländers nach Entwurf von Otto Ebert im rechten Winkel an das Gasthaus ein modernes Wohngebäude ansetzen, in dem ihre großzügig ausgebaute Metzgerei Platz fand.

Heute erinnert der nach 1945 wieder angebrachte geschmiedete Ausleger aus dem frühen 19. Jahrhundert an die Gaststättentradition und den Namen "Weißes Roß".

Heute erinnert der nach 1945 wieder angebrachte geschmiedete Ausleger aus dem frühen 19. Jahrhundert an die Gaststättentradition und den Namen "Weißes Roß". © Sebastian Gulden

Im Jahr 2020 zwangen teure Brandschutz-Auflagen die Jahrhunderte alte Tradition in die Knie. Seit der Gasthof seine Pforten geschlossen hat, todelt es im Ortskern von Kleinreuth mehr denn je. Ein geplanter Umbau des unter Denkmalschutz stehenden Altbaus hat bis heute nicht stattgefunden. Immerhin, die Tradition der Gästeunterbringung besteht in den Nebengebäuden fort, und zwar in Gestalt einer Pension mit dem nicht unbedingt vor Kreativität strotzenden Namen "Rothenburger". Deren betont einfaches Angebot richtet sich aber gezielt an Monteure, die lediglich zum Übernachten hier einkehren, um sich nach getaner Arbeit schnell wieder heim in die Ferne aufzumachen. Die Dorfgemeinschaft, ihre Vereine und Gäste aber müssen nun woanders feiern, speisen und trinken.

Am Ende bleibt die vage Hoffnung, dass dereinst wieder Gastronomie einziehen wird in den alten Gasthof im Herzen von Kleinreuth. Dass er wieder ein Ort wird, an dem Menschen gerne zusammenkommen, dass er wieder jener lebendige Mittelpunkt wird, der er über Jahrhunderte sein durfte.

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