Schön und hässlich zugleich
Höfen: Einst idyllisches Dorf, heute umringt von gewaltigen Fabrikbauten und Gewerbebetrieben
19.10.2023, 10:38 UhrIch war vielleicht sieben, acht Jahre alt, als ich zum ersten Mal ein Dorf sah, das von der Großstadt verschlungen worden war. Das war in München-Pasing, und ich erinnere mich, dass ich das – selbst auf dem Land aufgewachsen – als bedrückend empfand, diesen einsamen, verlassenen Bauernhof am Rande eines Parks, im Hintergrund gleichsam dräuend graue Wohnblöcke und der bauliche Koloss eines Krankenhauses. Damals lernte ich, was „Verstädterung“ bedeutet und dass es viele Orte auf der Welt gibt, an denen sie tagtäglich geschieht.
Dorfschulen und Gärtlein
In Höfen, Groß- und Kleinreuth bei Schweinau, in Leyh, Sündersbühl oder Gaismannshof, kann man den Wandel vom Dorf zur Stadt besonders eindrücklich erleben. Die alten Dorfkerne mit ihren Sandstein- und Fachwerkhäusern, ihren Dorfschulen und Gärtlein sind noch. Zwerge sind sie im Vergleich zu den Neubausiedlungen rundum und teils sogar kleiner als die Areale mancher Fabrik, die hier seit Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Die Weichen für den Wandel zur so genannten „Zwischenstadt“, die weder Stadt noch Land ist, hat schon Hermann Jansen gelegt, als er in den 1920er Jahren seinen General-Bebauungs-Plan für die Stadt Nürnberg vorlegte.
Über Jahrhunderte Zankapfel
Höfen tritt erstmals 1282 ins Licht der Geschichte. Über die Jahrhunderte war es, wie auch das benachbarte Fürth, Zankapfel zwischen der Reichsstadt Nürnberg, dem Hochstift Bamberg und dem Markgraftum Brandenburg-Ansbach. Mit dem bayerischen Gemeindeedikt wurde es 1808 eine eigenständige Gemeinde im Landgericht (später Bezirksamt) Fürth. 1899 schluckte die Großstadt Nürnberg das Dorf und sein mit über 8,5 Quadratkilometern ausnehmend großes Gemeindegebiet, das bis nach Muggenhof hinaufreichte.
Drei Bildfolgen führen uns vor Augen, wie sich der Ort seit dem Zweiten Weltkrieg verändert hat. Der Blick von der Sigmundstraße in den Höfener Ortskern zeigt, wie das alte Dorf im 19. und 20. Jahrhundert Zug um Zug aus seinen alten Grenzen herauswuchs. Wo um 1950 noch alte Gehöfte, Kleinhäuser des vorletzten Jahrhunderts und weitläufige Obstgärten mit Lattenzäunen die Hauptstraße säumten, sind moderne Mehrfamilienhäuser entstanden.
Fürchterlich verunstaltet
Das ehedem schmucke Haus Höfener Straße 138 wurde in den letzten Jahren durch eine Wärmedämmung und eine Farbgebung „grau in grau“ fürchterlich verunstaltet. Geblieben ist als Fluchtpunkt der Ansicht das alte Schulhaus mit seinem Glockentürmchen, das seit 1838 als Wahrzeichen des Dorfes fungiert. Wir folgen der Hauptstraße weiter gen Nordwesten und blicken auf die Abzweigung der Lotharstraße und den Friedhof mit seiner zierlichen Kapelle. Hier enstand um 1900 eine kleine Gruppe von Mietshäusern mit bis zu drei Etagen. Sie ist Fragment eines großstädtischen Ausbaus des Dorfes, der nie über die zarten Anfänge hinauskam.
Etwas älter ist das Wohnhaus mit Klinkerfassaden und Bauzier im Stil des späten Klassizismus. Es ist ein Zeugnis dafür, wie die bürgerliche städtische Wohnhausarchitektur im 19. Jahrhundert mehr und mehr auch auf dem Lande die traditionellen Bauformen verdrängte. Die Häuser wie auch der Gottesacker existieren noch heute, wenn auch mittlerweile die Vegetation den Durchblick auf das Ensemble merklich erschwert.
Die Zeit ist stehen geblieben
Dagegen wirkt der Blick durch die Weikershofer Straße zum Schulhaus, als sei die Zeit stehen geblieben. Hier flankieren noch meist giebelständige Bauern- und Handwerkerhäuser mit ihren Nebengebäuden und Toreinfahrten die Straße. Die meisten von ihnen sind erst im vorletzten Jahrhundert entstanden, als das nördliche Ende der Weikershofer Straße noch den Rand der Ortschaft markierte. Allein das markante Eckhaus Nr. 1, ein gewaltiger massiver Sandsteinbau, stammt wohl noch aus dem 18. oder gar 17. Jahrhundert. Auch hier haben die Modernisierungswellen der Nachkriegsjahre ihre Spuren hinterlassen, aber in einer Weise, die Rücksicht auf die historischen Strukturen des alten Dorfkerns nimmt.
Den eigentlichen Kern Höfens erblicken wir auf unserem letzten Bild, das im Oktober 2023 entstanden ist: Wie im Jahr 1811, als die erste parzellenscharfe Karte der Gemeinde Höfen gezeichnet wurde, ragen die mächtigen Sandstein-Giebelfassaden der alten Gehöfte des 18. Und frühen 19. Jahrhunderts mit ihren steilen Satteldächern in das Straßenbild hinein. Tore mit Sandsteinpfeilern und alter Baumbestand runden das Bild ab. Wer würde solch ländliches Idyll vermuten, hier draußen im Nürnberger Westen inmitten von Industrie- und Gewerbeflächen?
Verlässt man das alte Höfen gen Westen, wirkt die in gar nicht allzu weiter Ferne aufragende Kulisse der Industriebetriebe und Baumärkte nebst der markanten Hotel-Pyramide an der Höfener Spange durchaus etwas bedrohlich, ja bedrückend. Und doch, der Mehrzahl der Höfener, ob alteingesessen oder zugezogen, gefällt es dem Vernehmen nach auf ihrer Insel mitten im Industriegebiet.
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