Das "Schloss" an der Kobergerstraße

An diesen Prachtbau in Nürnbergs Nordstadt erinnert nur noch eine heruntergekommene Ziegelmauer

25.9.2024, 15:00 Uhr
So prächtig sah das Blinden-Erziehungsinstitut um 1930 aus (links). Heute ist davon nur noch eine Ziegelmauer übrig.

© Ludwig Schaumann/Sebastian Gulden So prächtig sah das Blinden-Erziehungsinstitut um 1930 aus (links). Heute ist davon nur noch eine Ziegelmauer übrig.

Bitter, wenn von einem Prachtbau nichts weiter bleibt als eine ruinierte Grundstücksmauer. So ist das im Falle des Blinden-Erziehungsinstituts, das sich bis zu seinem Abbruch 1978 auf dem Grund zwischen Groland-, Koberger- und Uhlandstraße erhob.

1862 hatte die Einrichtung in der Blumenstraße 17 in der Marienvorstadt einen geeigneten Bauplatz gefunden, der ihren sehbehinderten Schützlingen einen idealen Ort zum Leben, Lernen und Arbeiten bot: stadtnah und ruhig in grüner Umgebung, hinter dem Haus plätscherten der südliche Pegnitzarm und ratterten die Räder der Hadermühle.

Zur Uhlandstraße hin schirmte eine massive Ziegel- und Sandsteinmauer den Anstaltsgarten des "Schlosses" ab. Ihre Reste sind fast alles, was heute an den Prachtbau von einst erinnert.

Zur Uhlandstraße hin schirmte eine massive Ziegel- und Sandsteinmauer den Anstaltsgarten des "Schlosses" ab. Ihre Reste sind fast alles, was heute an den Prachtbau von einst erinnert. © Sebastian Gulden

30 Jahre später allerdings waren Grund und Gemäuer für die stark gewachsene Zahl von Bewohnern zu beengt geworden. Da traf es sich, dass ein bauwilliges Ehepaar an die Tür klopfte. Es waren Lili und Emil Hopf. Dieser war als Hopfengroßhändler zu beachtlichem Reichtum gelangt. Nur eines hatten die beiden nicht: ein Haus in direkter Nachbarschaft zu ihren Verwandten, die die Villen Blumenstraße 11 und 15 bewohnten. Durch den Kauf des Grundstückes, auf dem heute die Kunstvilla steht, ermöglichten die Hopfs dem Institut den Neustart.

Die abgeschiedene Lage des 1893 vollendeten Neubaus in der Kobergerstraße 34 hatte mehrere Gründe: Am Rande der Stadt waren die Grundpreise um die Jahrhundertwende noch passabel, sodass Direktor Karl Schleußner hier ein großzügiges Grundstück mit Garten erwerben konnte. Dazu kam die ruhige Lage, die es den sehbehinderten Bewohnern ermöglichte, ohne Störung durch den Lärm der Großstadt die Natur zu hören, zu riechen und zu erfühlen.

So sah das Blinden-Erziehungsinstitut um 1930 aus. Wer würde hinter diesem schlossartigen Gebäude eine Schule und ein Wohnheim vermuten?

So sah das Blinden-Erziehungsinstitut um 1930 aus. Wer würde hinter diesem schlossartigen Gebäude eine Schule und ein Wohnheim vermuten? © Ansichtskarte: Ludwig Schaumann/Sammlung Sebastian Gulden

Architekt Georg Heim wählte für das Hauptgebäude die Großform eines Schlosses im lokalpatriotischen "Nürnberger Stil". An den Mitteltrakt mit Säulenportal, der von einem Zwerchhaus mit gestäbtem neugotischen Treppengiebel und einem Dachreiter überhöht wurde, schmiegten sich im Osten und Westen gegen die Kobergerstraße vorkragende Kopfbauten an, auch sie an drei Seiten bekrönt von reichen Ziergiebeln und achteckigen Erkern mit Glockenhauben in gotischen und Renaissanceformen. Um zu erkennen, dass Heims Bau, der wegen der kürzeren Bauzeit und geringeren Kosten in den Obergeschossen Mauern aus Sichtklinker hatte, von Architekturdenkmalen der Altstadt aus dem 15. und 16. Jahrhundert beeinflusst war, brauchte man kein Experte zu sein.

Die Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstörten die Pracht im "Nürnberger Stil"

Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sahen davon freilich bestenfalls Schemen. Die Mutter des Gedankens war eher, den gewaltigen Baukörper harmonisch in das Stadtbild einzufügen und die dahinterstehende Institution mit den Mitteln der Architektur zu repräsentieren.

Nun könnte all das noch so dastehen, wären die Bomben des Zweiten Weltkrieges nicht gewesen: Sie zerstörten weite Teile des Mitteltraktes. So richtig bergauf ging es denn mit dem "Schloss" auch nicht mehr: Beim Wiederaufbau 1950 bis 1952 stark vereinfacht und um ein weiteres Gebäude ergänzt, gab man auch diesen Standort zu Gunsten des neuen Blinden- und Sehbehindertenzentrums in Langwasser, das 1979 seine Pforten öffnete, schließlich auf.

Nun dominiert hier architektonische Hausmannskost der späteren Nachkriegszeit, hier 2013 (teils noch mit den originalen Fassadenfarbe) von der Grolandstraße gesehen.

Nun dominiert hier architektonische Hausmannskost der späteren Nachkriegszeit, hier 2013 (teils noch mit den originalen Fassadenfarbe) von der Grolandstraße gesehen. © Boris Leuthold

Heute steht auf dem Areal eine Wohnanlage aus drei je sechs- bis siebengeschossigen Blöcken in den Formen der späten 1970er beziehungsweise frühen 1980er Jahre mit stark zergliederten Grundrissen, Sichtbetonbalkonen und flachen Dächern. Typisch, aber gestalterisch eher anspruchslos, wenn auch hübsch eingebettet in den früheren Institutsgarten.

Mithin sind heute alles, was vom Blinden-Erziehungsinstitut geblieben ist, die Reste der Gartenmauer im westlichen Teil des Areals. Der dortige öffentliche Park trägt seit 2018 den Namen von Margarete Tanner (1930 bis 2014), der langjährigen Leiterin der Nürnberger Schule für Sehbehinderte und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. So ist die Erinnerung doch nicht ganz erloschen, und die abgerockte Mauer erscheint in diesem Lichte ein gutes Stück weniger seltsam.

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