Wohnsitz einer Bildhauerfamilie
Am Eingang grüßte der Froschkönig: Das Schiemer'sche Haus in Nürnberg-Maxfeld
4.10.2023, 15:00 UhrDie Reuterstraße, zwischen Rollner- und Löbleinstraße gelegen, ist vor allem eine Straße des Wiederaufbaus, in der die Sanierungswellen der letzten Jahrzehnte tiefe Wunden geschlagen haben. Kaum vorstellbar, dass in dieser unscheinbaren Vorstadtstraße einst große Kunst entstand, die unsere Stadt bereicherte.
Kreative Köpfe haben oft einen guten Sinn für Humor. So auch Johann Baptist Schiemer, als er den westlichen Pfeiler des neuen Hoftores seines Hauses in der Reuterstraße 7 mit einem steinernen Froschkönig bekrönte. Noch lange nach dem Tod seines Schöpfers, genauer gesagt bis zur völligen Zerstörung des Anwesens 1945, grüßte er die Vorbeikommenden, die Bewohner und Besucher des Hauses.
Neues Atelier
Schiemer wohnte seit 1893 mit seiner Frau Maria und ihren Kindern Elsa und Hermann im Rückgebäude des Anwesens. Selbiges ließ die Familie vor ihrem Einzug durch Maurermeister Johann Georg Loy erweitern und 1903 nach Planung des Architekten Emil Hecht aufstocken.
Im Erdgeschoss lag Schiemers Werkstatt, die seit 1897 eine Vorhalle mit Glasdach besaß. Dort konnte er vor Wind und Wetter geschützt bei natürlichem Licht arbeiten und seine Werke der Kundschaft präsentieren. Später teilte er sich das Atelier mit seinem Sohn, der beruflich in des Vaters Fußstapfen getreten war.
Geboren 1853 in Kocherthürn bei Heilbronn, hatte sich Schiemer senior 1868 in Nürnberg niedergelassen, um an der hiesigen Kunstgewerbeschule die Kunst der Bildhauerei zu studieren – und blieb. Obschon auch im kunstsinnigen Zeitalter des Historismus das freischaffende Künstlerdasein ein hartes Brot war, erkämpfte sich Schiemer durch Talent und Geschäftssinn einen Platz an der Sonne.
Nürnberg verdankt ihm etwa die beiden Prunkvasen im Stadtpark – diese fertigte er nach Entwürfen von Friedrich Wanderer – sowie die Hauptportale des heutigen Sozialgerichts in der Weintraubengasse 1 und des IHK-Gebäudes am Hauptmarkt, letzteres nach Rissen von Max Heilmeier ausgeführt. Sohn Hermann war unter anderem am plastischen Schmuck des Opernhauses und des Krematoriums am Westfriedhof beteiligt.
Klosetts auf halber Etage
Als die Schiemers ihr neues Heim bezogen, stand das Vorderhaus bereits zwölf Jahre. Baumeister Jacob Schuh hatte es 1880 bis 1881 im Auftrag des Privatiers Johann Georg Scheindel errichtet. Als Kind seiner Zeit hatte das Haus einen rechteckigen Grundriss und weitgehend achsensymmetrisch gestaltete Fassaden, die durch einen vorkragenden Kellersockel, Pilaster, Profilgesimse, Fensterumrahmungen und Konsolen im Stil des späten Klassizismus gegliedert waren.
Während die Südseite zur Reuterstraße aus Sandsteinquadern bestand, waren die anderen Hausseiten aus roten Tonziegeln gefügt. Das Mansarddach belichteten schmucke Giebelgauben mit seitlichen Volutenschnecken und ein Zwerchhaus mit flachem Dreiecksgiebel. Das Innere hielt pro Etage eine Vierzimmerwohnung bereit, die Klosetts lagen "auf halber Etage" in einem Risalit an der Hofseite.
In der frühen Nachkriegszeit trat ein dreigeschossiger Neubau mit Satteldach an die Stelle des Heims der Schiemers, bei dem zwecks optimaler Raumausnutzung nun auch die Hofeinfahrt überbaut wurde.
Misshandelt durch Dämmung
Das an und für sich gefällige Haus, das noch heute mit einem schön gearbeiteten Sandsteinportal und dem originalen Hoftor mit Kassetten aufwarten kann, wurde leider mittlerweile durch eine dicke Außenwärmedämmung und einen unmöglichen Anstrich – "ein Traum in Popelgrün", um es mit den Worten von Otto Waalkes zu sagen – derart entstellt, dass ein jeder Froschkönig Reißaus nähme. Die lochartigen Fensterfüllungen ohne Teilung vervollständigen das Bild eines schwer misshandelten Nachkriegsbaus, der eigentlich eine Zierde für die kurze Reuterstraße sein könnte.
Johann Schiemer konnte sich seines Ateliers und des Froschkönigs übrigens nur wenige Jahre erfreuen: Nach einem arbeitsreichen Leben starb er am 3. April 1912 im Alter von 59 Jahren. Sein Sohn Hermann folgte ihm 1932. Mit ihren Werken aber sind sie in Nürnberg unsterblich geworden.
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