Wohltuendes Beispiel für Wiederaufbau
Als der Albrecht-Dürer-Platz noch Milchmarkt hieß: Ein Eckhaus aus Nürnbergs Glanzzeit
7.3.2023, 11:05 UhrNürnbergs Altstadt hat im Zweiten Weltkrieg unendlich viel verloren. Die Bauherrn, Stadtplaner und Architekten der Nachkriegszeit versuchten sich mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg am Wiederaufbau. Ein Beispiel, das wohl die meisten Menschen als gelungen bezeichnen würden, stellen wir heute vor: das Haus Albrecht-Dürer-Platz 3.
Der Juwelierladen von 1902
"Antiquariat" ist – gleichwohl in Spiegelschrift – das erste Wort der "Unendlichen Geschichte" und gleichzeitig der erste Schauplatz dieser weltberühmten Reise in die Welt der Fantasie. Autor Michael Ende wusste um den Zauber jener Schatzkammern der Bibliophilie, in denen alte Bücher, Karten, Grafiken und derlei mehr darauf warten, dass ein Liebhaber sie entdeckt.
Anfang der 1990er Jahre eröffneten Sonja und Herbert Heubeck ihr Antiquariat im Erdgeschoss des Hauses Albrecht-Dürer-Platz 3. Wer an den großen Arkaden vorbeiflanierte, den lockten über Jahrzehnte kostbare Folianten, seltene Kinderbücher, antike Grafiken und handgemachte Papierwaren.
Die Tradition des Handels mit exquisiten Waren in dem Anwesen reicht zurück bis an den Beginn des vergangenen Jahrhunderts: 1902 eröffnete Josef Wenzel Nowak, vermutlich ein Zuwanderer aus Böhmen, im Erdgeschoss seinen Juwelierladen, dessen Schaufensterfront er 1907 durch den Architekten Mathias Fahrnholz im modischen Jugendstil umbauen ließ. In den 1930er Jahren fand man an derselben Adresse die Antiquitätenhandlung Georg Schreyer. Ihm folgte nach dem Zweiten Weltkrieg Johann Martin Nowka, dessen Geschäfte offenbar so gut liefen, dass er 1961 das Schloss Deining bei Neumarkt erwerben konnte.
Das Quartier der reichen Kaufleute
Seinerzeit hatte das stattliche Anwesen bereits Jahrhunderte auf dem Buckel: Das Milchmarktviertel, in dessen Zentrum es steht, gehörte in reichsstädtischer Zeit zu den Adressen der Mächtigen und Betuchten. Neben dem einflussreichen Kaufmann, Stifter und Bürgermeister Hans VI. Tucher (Nr. 9) feilte hier Ende des 15. Jahrhunderts Anton Koberger (Nr. 4) an seiner Karriere als Buchdrucker und Verleger.
Auch die Hausnummer 3 konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken und stammte im Kern mindestens aus dem späten Mittelalter. Im frühen 19. Jahrhundert gehörte das Haus Johann Erhard Krämer, dem königlich-bayerischen Rentamtmann und Verwalter des Freiherrlich-von-Hutten’schen Damenstifts . Er war es wohl auch, der das Innere im Stil des Biedermeier umgestalten ließ.
Volltreffer am 2. Januar 1945
Wer in Nürnbergs Geschichte weniger bewandert ist, könnte glatt denken, bei dem bestehenden Haus handle es sich um jenen jahrhundertealten, wenngleich geglätteten und modernisierten Bau. Weit gefehlt: Beim britischen Luftangriff am 2. Januar 1945 erhielt das Haus einen Volltreffer, der nur Reste der Südfassade und der Brandwand gegen das westliche Nachbargrundstück stehen ließ.
Mit dem Gebäude gingen all seine historischen Kostbarkeiten unter, die der Kunsthistoriker Fritz Traugott Schulz noch 1907 dokumentiert und fotografiert hatte: das Treppenhaus und das Prunkzimmer mit Ausstattung im Geiste des Biedermeier und das hölzerne Rokoko-Chörlein, das man im 18. Jahrhundert an der Ostfassade angebracht hatte. Dafür ziert seit 1953 eine Hausmadonna von unbekannter Hand die Gebäudeecke an der Einmündung der Füll.
Zahl und Anordnung der Fenster übernommen
Was wir heute sehen, ist das Verdienst des Wiederaufbaus, der sich hier eng an das verlorene Original hielt. Architekt Friedrich Seegy übernahm Kubatur, Dachform, Zahl und Anordnung der Fenster nebst weiteren prägenden Details und übersetzte alles in die versachlichte Formensprache der frühen Nachkriegszeit.
Das schmale, im Krieg ebenfalls vernichtete Nachbarhaus Füll 2 wurde in den Neubau einbezogen. Unter den Trümmern entdeckte man 1952 im Kellerbereich skulptierte Mauerteile der Romanik, bei denen es sich vielleicht um wiederverwendete Reste (sogenannte "Spolien") eines anderen Gebäudes handelte, möglicherweise gar um Bauteile von St. Sebald, denn in der Füll 2 wohnte dereinst der Mesner der Kirche. Da Seegy auch hier die alte Baulinie und die Dachausrichtung wiederaufnahm, blieb die historische Situation nachvollziehbar.
Hochwertiges Beispiel für den "Nürnberger Weg"
Der Nachkriegsbau Albrecht-Dürer-Platz 3/Füll 2 ist ein typisches, aber auch hochwertiges Beispiel für den "Nürnberger Weg" des Wiederaufbaus, der vorzugsweise auf das Bewahren der historischen Strukturen setzte anstatt auf den radikalen Bruch, wie man ihn etwa in Hannover oder Kassel vollzog. Das offenbar verbrannte Chörlein fand keinen Nachfolger. Dafür erhielt die Südostecke des Hauses eine Hausfigur, eine Madonna auf der Mondsichel, die ein uns unbekannter Bildhauer in vergröberten historisierenden Formen schuf.
Zumindest in Wolfgang Petersens Filmfassung der "Unendlichen Geschichte" verschwindet das Antiquariat mitsamt Herrn Koreander von einem Tag auf den anderen. Protagonist Bastian findet nur noch den ausgeräumten Laden vor. Ähnlich geht es nun den früheren Kunden des Antiquariats Heubeck. Immerhin: Das Geschäft wird es auch weiterhin geben, wenngleich nur noch als Internethandlung (www.antiquariat-heubeck.de). Und auch das Haus wird bleiben: als Denkmal eines Wiederaufbaus mit Fingerspitzengefühl.
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