Business-Limousine in elfter Generation

Neue Mercedes E-Klasse: Erste Testfahrt, erster Check

Ulla Ellmer

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26.7.2023, 10:05 Uhr
Neue Mercedes E-Klasse: Auch die Generation Elf zeigt Eleganz.

© Hersteller Neue Mercedes E-Klasse: Auch die Generation Elf zeigt Eleganz.

Vielleicht ist kein Modell mehr Mercedes als die E-Klasse. Seit 75 Jahren gibt es die gehobene Mittelklasse mit Stern, der „Ponton“, die „Heckflosse“ oder der „Strich-Acht“ haben in den 1950er und 1960er-Jahren Geschichte geschrieben. Den Begriff „Business-Limousine“ kannte man damals noch nicht, die heutige E-Klasse aber – die erst seit 1993 so heißt – gilt als Inbegriff dieser Fahrzeuggattung.

Im Herbst kommt die elfte Generation auf den Markt, und sie umweht ein leiser Hauch des Abschieds, denn sie ist die letzte, die auf einer Verbrennerarchitektur basiert. Das Nachfolgemodell wird rein elektrisch fahren, wahrscheinlich übernimmt der EQE, der in E-Klasse umgetauft werden könnte.

Letzte Generation

Der Status als „letzte Generation“ bedeutet aber nicht, dass Mercedes nicht aus dem Vollen geschöpft und dem W 214 - so der interne Baucode - alles mitgegeben hätte, was der Technik- und Infotainment-Wissensschatz des Hauses nur hergibt. Die Limousine – der Kombi „T“ folgt zum Jahresende 2023 – bleibt zwar beim klassisch-eleganten „Drei-Box-Design“, das kurze vordere Überhänge mit einer langen Motorhaube und einer verhältnismäßig weit zurückgesetzten Passagierkabine kombiniert, auch an der Länge von knapp fünf Metern hat sich im Vorgängervergleich nicht allzu viel geändert, und der Mercedes-Stern sitzt ausstattungsabhängig immer noch auf der Motorhaube oder wird in den Kühlergrill integriert. Doch unterm Kleid hält die pure Moderne Einzug.

Die bündig versenkten Türgriffe fahren automatisch aus, wenn sich der Fahrer mit dem Schlüssel nähert. Das kostet allerdings extra.

Die bündig versenkten Türgriffe fahren automatisch aus, wenn sich der Fahrer mit dem Schlüssel nähert. Das kostet allerdings extra. © Hersteller

Erwartungsgemäß prägt Luxus den Innenraum, keinerlei unwürdiger Kunststoff darf sich ausbreiten, und geräumig geht es auch zu. Nur die rechte Sitzposition haben wir erst nach längerem Hin-Her-Auf-Ab-Surren von Fahrersitz und Lenkrad gefunden, ganz zufrieden waren wir auch dann noch nicht. Blickfang im Interieur ist die Szenerie des sogenannten Superscreens, dessen Glasfläche sich von der Beifahrerseite bis zum optional mit 3D-Optik ausgestatteten Zentraldisplay hinterm Lenkrad erstreckt. Gegen Aufpreis gibt es für den Copiloten/die Copilotin sogar einen eigenen Bildschirm, auf dem auch Videos gestreamt werden können, was für den herüberlugenden Fahrer allerdings nicht einsehbar ist, der Ablenkungsgefahr wegen.

Schlaue Sprachsteuerung

Das MBUX-Multimediasystem hat noch einmal hinzugelernt, speziell die Sprachsteuerung hat uns erstaunt, sie versteht sogar komplizierte Anweisungen wie „Schalte den Warnton der Geschwindigkeitsüberwachung aus“ und bietet die Möglichkeit, sogenannte Routinen zu erstellen. Kostprobe: „Wenn die Innentemperatur unter zwölf Grad Celsius liegt, Sitzheizung einschalten und Ambientebeleuchtung auf warmes Orange einstellen“. Dass man verbal viel erreichen kann, ist gut so, denn die komplexe Vielfalt der Funktionen will man händisch lieber nicht durchforsten, schon gar nicht während der Fahrt.

Superscreen: Mit eigenem Bildschirm für den Beifahrer respektive die Beifahrerin.

Superscreen: Mit eigenem Bildschirm für den Beifahrer respektive die Beifahrerin. © Hersteller

Den Superscreen besiedeln auch Apps wie das Spiel "Angry-Birds" oder TikTok, beides hätten wir für den klassischen E-Klasse-Fahrer nicht als zwingend erforderlich vermutet. Mercedes-Chef Ola Källenius aber blickt nach China und berichtet von Kunden, die nach einem anstrengenden Arbeitstag noch eine halbe Stunde im Auto sitzen bleiben, um sich zu entspannen. Eher zum Business-Usecase passen die Kollaborationsanwendung "Webex" oder das Office-Programm "Zoom"; zudem nimmt eine Selfie-Kamera nicht nur persönliche Fotos und Videos auf, sondern ermöglicht es auch, per Videobild an Online-Konferenzen teilzunehmen, dazu muss das Fahrzeug allerdings stehen.

Smartwatch als Fahrzeugschlüssel

iPhone und Apple Watch dienen auf Wunsch als digitaler Fahrzeugschlüssel, "Key Sharing" mit bis zu 16 Personen und unterschiedlichen Berechtigungen inklusive. Die Klimatisierungsautomatik lässt sich mit einem System namens "Digital Vent Control" verfeinern, das die Luftausströmer mithilfe kleiner elektrischer Antriebe automatisch und wie von Geisterhand ausrichtet. Und dann ist da noch das Anti-Reisekrankheit-Programm, für das Mercedes noch eine Feedback-Funktion einplant, sie könne "das Stressgefühl mit Atemübungen verringern", wie es heißt.

So viel zu dem, was man als Spielerei oder Gimmick einordnen mag. Wir blicken auf die Antriebe: Allesamt sind sie mit einer Neunstufen-Automatik zugange und wurden elektrifiziert, mehr oder weniger. Weniger bedeutet Mildhybrid und betrifft zunächst die Zweiliter-Vierzylinder im benzingespeisten Einstiegsmodell E 200 (150 kW/204 PS, Drehmoment 320 Nm) sowie im Diesel E 220 d (145 kW/197 PS, 440 Nm), dem klassischen Dauerläufer für die Langstrecke, der Bordcomputer hat uns den nächsten Tankstopp erst in knapp 1200 Kilometern annonciert. Das künftige Topmodell E 450 4Matic mit Dreiliter-Reihensechszylinder, 280 kW/381 PS und 500 Newtonmetern Basis-Drehmoment lässt sich bis Anfang 2024 Zeit mit dem Marktstart, ebenso wie der sechszylindrige Diesel.

Immer elektrifiziert

Ottomotor und Selbstzünder erfahren jeweils Unterstützung von einem kleinen Elektromotor in Gestalt eines Integrierten Startergenerators, der 17 kW/23 PS leistet, das Drehmoment um 205-Boost-Newtonmeter anhebt und beim Spritsparen hilft. Dem E 200 bescheinigt die Norm einen Verbrauch von 7,3 bis 6,4 l/100 km, der E 200 d bescheidet sich auf 5,5 bis 4,8 l, die allradangetriebene 4Matic-Version will 5,7 bis 4,9 l.

Drei Plug-in-Hybride

Ganz und gar nicht tot ist bei Mercedes der Plug-in-Hybrid (PHEV), der das Mehr an Elektrifizierung verkörpert. Bei der E-Klasse treten die PHEVs als Dreigestirn auf, jedes Modell versichert sich ergänzend zum Verbrenner der Dienste eines 95 kW/129 PS starken Elektromotors. Der 300 e, der mit dem 204-PS-Vierzylinder-Benziner aus dem 200er arbeitet, erreicht somit eine Systemleistung von 230 kW/313 PS und ein Drehmoment von 550 Newtonmetern. Die Spitze behauptet vorerst der stets allradgetriebene 400 e 4Matic, bei dem ein Zweiliter-Vierzylinder-Benziner mit 185 kW/252 PS den Verbrennerpart übernimmt. Die Systemleistung beträgt 280 kW/381 PS, an Drehmoment werden 650 Newtonmeter aufgeboten.

Ergänzend bietet Mercedes Anfang 2024 wieder die Besonderheit eines Diesel-PHEVs an. Das entsprechende Modell trägt den Namen E 300 de, nutzt den 197-PS-Selbstzünder aus dem 220 d und stellt eine Systemleistung von 230 kW/313 PS bereit, das bedeutet Gleichstand mit dem 300e, ist aber verbunden mit dem höheren Drehmoment von 700 Newtonmetern.

Beachtliche Reichweiten

Beachtlich fallen die elektrischen Reichweiten der PHEVs aus. Nach Norm erreichen sie um die 100 Kilometer, was sich auf ersten Testfahrten – wenn auch über weitgehend flaches und tempolimitiertes Terrain – auch so bestätigt hat. Damit muss im Alltag der Verbrenner praktisch nicht bemüht werden. „Von Montag bis Freitag ist die E-Klasse ein Elektroauto“, sagt Ola Källenius. Zu danken ist der umfängliche Aktionsradius der großen Batterie mit 25,4 kWh Energiegehalt (netto 19,4 kWh), die sich – was kaum ein anderes PHEV beherrscht - auch an der Schnellladestation und da mit 55 kW aufladen lässt. Einmal elektrisch Volltanken soll binnen einer halben Stunde vonstatten gehen.

Die ungewöhnlich ausgeprägte elektrische Kompetenz hat aber auch ihre Kehrseite. Erstens wiegt der große Akku 220 Kilogramm, der E 300 bringt fahrfertig nicht unerhebliche 2210 Kilogramm auf die Waage. Und zweitens verringert sich durch den Platzbedarf der Batterie das Kofferraumvolumen von 540 auf deutlich bescheidenere 370 Liter.

Im Fahrbetrieb erweist sich der E-Mercedes als genau der vorzügliche Business-Liner, der er sein will und soll. Die effiziente Dämmung schirmt rücksichtsvoll von der Umwelt ab, die (optionale) Luftfederung gleicht Fahrbahnschäden so souverän taktvoll aus, dass sie kaum noch wahrnehmbar erscheinen, und die gleichfalls im Technik-Paket enthaltene Hinterachslenkung agiert überaus einflussreich – bei Geschwindigkeiten von weniger als 60 km/h schlagen die Hinterräder in die entgegengesetzte Richtung der Vorderräder ein, das reduziert den Wendekreis um bis zu 90 Zentimeter und sorgt dafür, dass sich die E-Klasse kompaktwagengleich durch den Stadtverkehr manövrieren lässt. Bei höherem Tempo lenken die Hinterräder mit, was wiederum eine gelenkige Agilität erbringt.

Überholt automatisch

Weiteres Hightech-Feature: Bei aktiviertem Abstandstempomat überholt das Fahrzeug automatisch, checkt dabei den toten Winkel und setzt den Blinker. Mit den Navi-Infos im digitalen Hinterkopf weiß der Wagen zudem, wann er die Autobahn verlassen muss, lässt Überholvorgänge sein und bleibt rechts. Auch wenn das ein weiterer Schritt in Richtung des autonomen Fahrens ist: Eine Hand muss das Lenkrad umgreifen.

Omnipräsentes Mercedes-Logo: Der Grill trägt Sternchen und Stern.

Omnipräsentes Mercedes-Logo: Der Grill trägt Sternchen und Stern. © Hersteller

Bleibt nur die bange Frage nach dem Preis, und die beantwortet Mercedes derzeit noch nicht. Der Vorgänger hat dem Käufer rund 52.000 Euro abverlangt, mindestens, es darf geargwöhnt werden, dass es dabei bei weitem nicht mehr bleiben wird, schon gar nicht, wenn man die selbstbewusste Preispolitik des Hauses Mercedes kennt. Die neue, verteuernde Luxusstrategie hat Mercedes-Chef Källenius zuletzt schweren Ärger mit seinem Händlerverband eingebracht. Ein traditioneller Kundenkreis ist mit der jetzt praktizierten Taktik auch raus: Als Taxi soll es die neue E-Klasse nicht mehr geben – noch ein Hauch von Abschied, der sie umweht.

Mercedes E-Klasse in Kürze:

Wann sie kommt: Verkaufsstart im Sommer 2023, beim Händler im Herbst.

Wen sie ins Visier nimmt: BMW 5er, Audi A6, Volvo S90 etc.

Was sie antreibt: Zweiliter-Vierzylinder-Turbobenziner, Mildhybrid, 150 kW/204 PS (E 200); Zweiliter-Vierzylinder-Turbodiesel, Mildhybrid, 145 kW/197 PS (E 220d). Plug-in-Hybride mit 230 kW/313 PS (E 300 e) und 280 kW/382 PS (E 400 e) Systemleistung.

Was sie kostet: Noch nicht bekann.t

Was noch kommt: Ende 2023 der Kombi "T-Modell". Anfang 2024 der Diesel-Plug-in-Hybrid E 300 de (230 kW/313 PS), das Topmodell E 450 4Matic mit Dreiliter-Reihensechszylinder (280 kW/381 PS) und ein Sechszylinder-Diesel. Ebenfalls 2024 die höhergelegte All-Terrain-Variante des Kombis sowie AMG-Versionen.

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