Neue China-Marken am Start
China-Autos im Angriffsmodus: Was von der Marktoffensive zu halten ist
14.9.2023, 16:52 UhrAm vergangenen Sonntag ist in München die IAA Mobility 2023 zu Ende gegangen. Bei aller Zuwendung hin zu alternativen Mobilitätsformen blieb die Schau doch die größte deutsche Automobilmesse und stellte insofern auch ein Heimspiel für die hiesigen Hersteller von BMW über Mercedes bis hin zu VW dar.
"Die IAA der Chinesen"
Beim Studium der Schlagzeilen konnte man freilich den Eindruck gewinnen, dass es vielmehr die Autobauer aus China waren, welche die IAA für sich gekapert hatten. „China auf der Überholspur“, war beispielsweise zu lesen, oder dass „China den Deutschen die Schneid abkauft“. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Duisburger CAR-Centers Automotive Research in Duisburg, sprach gar von einer „IAA der Chinesen“. Und Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, bescheinigt in seinem diesjährigen Innovationsreport den Autoproduzenten aus dem Reich der Mitte, dass sie die deutschen Mitbewerber an Innovationsstärke "erstmals überflügelt haben"; besonders stark seien die Chinesen "in den Zukunftsfeldern der Elektromobilität sowie bei der Vernetzung".
Tatsächlich sahen sich die Besucher der „Open Spaces“ in der Münchner Innenstadt und des – ausschließlich dem Fachpublikum zugänglichen – „Summits“ auf dem Messegelände in Riem mit einer ganzen Reihe neuer Namen konfrontiert, die vorwiegend Vollelektrisches zeigten. BYD, das VW im Frühjahr die Marktführerschaft in China abgenommen hat, unterhielt den wohl größten Messestand des Summits, ebenfalls an die Isar gereist waren unter anderem Seres, Dongfeng mitsamt seiner Premiummarke Voyah, außerdem Leapmotors oder Avatr, hinter dem der Autohersteller Changan, der Batterieproduzent CATL sowie Huawei stehen.
Und dann sind da noch die „halbchinesischen“ Marken, in denen auch ein Stück Europa beziehungsweise Deutschland steckt. Bei X-Peng hat sich unlängst VW eingekauft, Smart ist inzwischen ein Joint-Venture zwischen Mercedes und der Geely-Holding, die wiederum nicht nur als Konzernmutter von Polestar, Lynk (beide mit Sitz im schwedischen Göteborg) und Zeekr fungiert, sondern auch Volvo und Lotus zu ihren Töchtern zählt.
Der neue Mini kommt aus China
BMW lässt den neuen elektrischen Mini Cooper beim Joint-Venture-Partner Great Wall Motors (GWM) in Zhangjiagang produzieren. Und bei XEV handelt es sich um einen chinesisch-italienischen Hersteller von elektrischen Kleinstfahrzeugen.
Längst nicht alles, was in München gezeigt und diskutiert wurde, wird es aber auf deutsche und europäische Straßen schaffen. Zu den Marken, die gekommen sind, um zu bleiben, gehört sicherlich BYD mit seiner in geradezu atemberaubendem Tempo aufgebauten Modellflotte, die bereits sechs Fahrzeuge umfasst, an der Isar feierte als jüngster Neuzugang das im Tiguan-Format angelegte SUV Seal U Europapremiere.
MG: Von wegen "very british"
MG – ein Name, der sich „very british“ anhört, tatsächlich aber eine Marke von SAIC ist, Chinas größtem Autohersteller – MG also ist im ersten Halbjahr 2023 schon die am stärksten wachsende Marke auf dem deutschen Markt gewesen, der Elektro-Roadster Cyberster kommt definitiv in 2024. Ebenfalls 2024 peilt Voyah für sein dickes Elektro-SUV Free an. Die erwähnten Geely-Marken haben sich weitgehend bereits etabliert, auch der zum Kompakt-SUV herangewachsene Smart#1 und sein coupéhaftes Derivat Smart#3 besitzen gute Chancen. XEV wiederum will 2024 das zweisitzige Microcar Yoyo zu uns bringen, es ist der elektrischen Leichtfahrzeugklasse L7e zuzurechnen.
Von anderer Seite waren hingegen nur eher vage Absichtserklärungen zu hören. So mancher China-Anbieter nutzte die IAA als Plattform, um erst einmal das hiesige Kundeninteresse auszuloten.
Mercedes mit im Boot
So tat es BYD mit seiner luxuriösen Tochtermarke Denza, die 2011 gemeinsam mit Mercedes-Benz gegründet wurde (inzwischen haben die Stuttgarter ihren Anteil von 50 auf 10 Prozent reduziert), in München zeigte Denza seinen voluminösen Elektro-Van D9. Auch bei Leapmotor – das die Pressekonferenz komplett auf Chinesisch abhielt – wollte sich niemand auf einen Starttermin für die Elektrolimousine C10 festlegen, genausowenig wie Dongfeng Forthing bei seinem Luxus-Van U-Tour V9 MPV, der sowohl mit Elektro- als auch mit Verbrennerantrieb hergestellt wird. Auch für das elektrische Gran Coupé Avatr 12 („one-two“) mit seinen hochautomatisierten Fahrfunktionen gibt es noch keine konkreten Europa-Pläne.
Auch wenn Europa interessant ist, weil sich hier mehr verdienen lässt als auf dem chinesischen Heimatmarkt, den die Anbieter aus der Volksrepublik zwar längst dominieren, der aber schwächelt: Es wird nicht Platz für alle sein. Aiways beispielsweise ist in der 2023er Januar-bis-August-Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) nur mit 46 Neuzulassungen vertreten, ähnlich schwer tut sich Nio (805). Stärkster China-Hersteller ist MG (14.092 Neuzulassungen), gefolgt von Polestar (4964), GWM (3060) und BYD (2666). Um das einzuordnen: VW kommt auf knapp 350.000 Einheiten, verkauft aber freilich nicht nur E-Autos.
Flurbereinigung in China
In China hat die Flurbereinigung bereits eingesetzt. Bilder von Tausenden angeblich nagelneuer, auf einem Autofriedhof vergammelnder E-Autos werden inzwischen zwar als „Fake News“ und Verschwörungstheorie diskutiert. Dennoch besteht augenscheinlich ein Überangebot, Fachleute gehen davon aus, dass es im Reich der Mitte rund 300 Elektroautomarken gibt. „Inzwischen werden keine neuen Produktionslizenzen mehr vergeben“, sagt Penny Peng, Marketingdirektorin bei BYD Europe.
Aktuell hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, eine mögliche Wettbewerbsverzerrung durch subventionierte China-Stromer prüfen zu lassen. Globale Märkte würden „mit billigeren chinesischen Elektroautos geflutet“, sagte von der Leyen bei ihrer Rede vor dem Europaparlament in Straßburg zur Lage der Nation, gegenüber solch „unfairen Praktiken“ müsste sich die „EU verteidigen“.
Premium statt preiswert
Doch bislang bleibt China uns die supergünstigen E-Autos, von denen so viel die Rede ist, noch schuldig. Viele Hersteller verstehen sich als Premiummarke. Für ein Nio EL7-SUV kann man knapp 74.000 Euro ausgeben, mindestens, einen Aiways U6 gibt es nicht unter 45.900 Euro, sogar beim kleinen Kompakten Ora Funky Cat (unseren Test lesen Sie hier) beginnt das Preisspektrum erst bei 38.990 Euro und hört bei 49.490 Euro auf, Extras nicht mitgerechnet.
Die auf dem Heimatmarkt in China aufgerufenen Preis hören sich oft gut und verlockend an, sind bei uns aber kaum zu halten. Beispiel MG Cyberster: Während chinesische Käufer mit umgerechnet etwa 30.500 Euro davonkommen, dürfte der Elektro-Roadster hierzulande erst ab ca. 56.000 Euro loslegen. Und selbst wenn BYD seinen elektrischen Kleinwagen Seagull tatsächlich nach Deutschland bringt, dann nicht zum China-Preis von rund 10.000 Euro; Transport, die Anpassung an die europäischen Zulassungsvorschriften und nicht zuletzt die deutsche Mehrwertsteuer könnten den Seagull gut und gern auf das Doppelte verteuern. Damit wäre er gar nicht mehr so weit entfernt vom ID.2, dem elektrischen Unter-25.000-Euro-Kleinwagen, den VW für 2025 angekündigt hat.
Im Übrigen: Wer nicht mehr ganz jung ist, wird angesichts des Einzugs der Chinesen wahrscheinlich ein „Alles-schon-mal-dagewesen“-Erlebnis haben: In den 1970er- und 1980er-Jahren eroberten zunächst die japanischen Hersteller eine Teilhabe am deutschen Markt, in den 1990ern folgten dann die Südkoreaner.
Die Abwesenheit der anderen ausgenutzt
Zurück zur IAA Mobility: Dass die Chinesen dort so übermächtig erschienen, hatte auch mit den vielen Absenzen der etablierten Hersteller zu tun. Die Autobauer aus Japan und Südkorea blieben allesamt fern, von den Franzosen unterhielt nur Renault einen Messestand und zelebrierte die Weltpremiere des neuen Scenic (mehr dazu lesen Sie hier), der Stellantis-Konzern entsandte aus seinem umfangreichen Markenkonglomerat (unter anderem Fiat, Peugeot, Citroen und Jeep) lediglich Opel zur Ausstellung, wohl eher eine Pflichtübung statt einer Überzeugungstat, schließlich sind die Rüsselsheimer im veranstaltenden Verband der Automobilindustrie (VDA) organisiert.
Wenn sich dessen Präsidentin Hildegard Müller darüber gefreut hat, dass für die IAA 2023 mehr als doppelt so viele Anmeldungen von den eigentlich doch so gefürchteten Chinesen eingegangen sind als noch 2021, dann wahrscheinlich deshalb, weil die neuen Mitbewerber aus dem Reich der Mitte die Lücken auf der Messe geschlossen und für den gewünschten Glanz gesorgt haben. Ohne BYD, Leapmotor & Co. wäre die IAA womöglich eine eher unspektakuläre Veranstaltung geworden.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen