
Kommentar
Was Friedrich Merz mit einem Fußballtrainer verbindet
Es ist wie in der Saisonvorbereitung bei Profifußballern: Da wird viel erzählt, da werden Saisonziele definiert (meistens werden sie dann verfehlt) und gewonnene Testspiele lösen nicht selten Euphorie beim Anhang aus.
Wer den künftigen Regierungspartnern nach Abschluss des Koalitionsvertrages aufmerksam zugehört hatte, kann durchaus Fußballvergleiche ziehen. Doch was heißt das Gesagte wirklich? Die Erfahrung lehrt: Allzu viel Bedeutung sollte den Worten nicht beigemessen werden. Einen politischen Vertrag zu formulieren das eine ist, die Mühsal des (Koalitions-)Alltags das andere. Zumal ein Passus in dem Vertragswerk wie ein Damoklesschwert über allen Vorhaben schwebt: Alles steht unter Finanzvorbehalt!
Entscheidend ist der Saisonstart
Die gescheiterte Ampel musste schmerzhaft erfahren, wie die Finanzierungsfrage alle Träume zerplatzen lassen kann. Der „SchRoKo“, der schwarz-roten Koalition, kann es ebenso gehen. Entscheidend ist der Saisonstart, die ersten Partien, der im Mai beginnenden vierjährigen Spielzeit.
Und da - der Fußball lässt erneut grüßen - kommt es weniger auf die vorher formulierten Saisonziele, sondern vor allem auf Trainer und Mannschaft an. Ist Friedrich Merz ein guter Coach? So lautet die wohl allerwichtigste Frage. In den letzten Wochen nach der Wahl schien der designierte Olaf-Scholz-Nachfolger Kreide gefressen zu haben, beinahe zahm kam er rüber.
Von verbalen Ausfällen - früher die große Schwäche von Merz - keine Spur. Doch bewahrt er die Contenance, wenn aus dem Nebenkabinett namens Koalitionsausschuss unschöne Zwischentöne kommen sollten? Nicht wenige Beobachter sprechen von einer Art Vizekanzlerschaft Markus Söders. Der CSU-Chef will jedenfalls präsenter sein in Berlin.
Über ähnlich viel Konfliktpotential verfügt das Verhältnis zwischen Kanzler und Finanzminister, der aller Voraussicht nach Lars Klingbeil heißen dürfte. Dass Klingbeil den Lindner gibt, also aus Eigeninteressen das Bündnis platzen lassen würde, ist eher unwahrscheinlich. Für die SPD konnte es eigentlich nicht besser laufen - eine 16-Prozent-Partei mit derart viel einflussreichen Ministerien, das ist kaum zu toppen. Zweiter Sieger im Postenverteilungskampf ist gewiss die CSU. Drei wichtige Ressorts für eine Regionalpartei aus Bayern, das lässt sich sehen.
Die Wahrheit liegt auf dem Platz - das gilt auch für diese Koalition
Am Ende gilt für alle drei Parteien dieses Bündnisses: Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Wenn es diese Koalition, die mit einer Billion (!) zusätzlichem, bereits bewilligtem Geld an den Start geht, nicht schaffen sollte, die Populisten der AfD in die Schranken zu weisen, wer dann?
Ein wenig Zuversicht sollte also möglich sein. Gleich, ob einem Schwarz oder Rot gefällt, ob das Herz für Grün oder andere demokratische Parteien der Mitte schlägt: Es ist geboten, der neuen Regierung die Daumen zu drücken. Sonst droht, um mit Fußballsprache zu enden, unserer freiheitlichen Gesellschaft bei den nächsten Bundestagswahlen die Rote Karte.
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