
Kommentar
Keine Politik-Wende, aber ein solides Fundament: Wichtig ist, dass die Koalition steht
„Es ist vollbracht“, sagte Markus Söder bei der Präsentation des Koalitionsvertrags. Der CSU-Chef nutzte sogar diesen Termin, um wieder mal ausgiebig sein Ego zu inszenieren - und konnte sich ein paar eher billige Gags nicht verkneifen, die nicht wirklich zu so einem Anlass passen.
Dabei ist es in der Tat erfreulich, wichtig - und: selbstverständlich, dass sich die drei Parteien zusammengerauft haben. Die Regierung steht - unter dem Vorbehalt, dass die SPD-Basis den Koalitionsvertrag bei der Mitgliederbefragung auch billigt. Wenn das klappt, dann kann Friedrich Merz aller Voraussicht nach am 7. Mai Kanzler werden.
Eine eher untertriebene Zustandsbeschreibung
„Verantwortung für Deutschland“ heißt die Überschrift über das 143 Seiten dicke Dokument, und der Koalitionsvertrag beginnt mit einer sehr zutreffenden Zustandsbeschreibung: „Deutschland steht vor historischen Herausforderungen.“
Das dürfte eher noch untertrieben sein angesichts der Entwicklungen der vergangenen Tage. Die haben auch den Zeitdruck auf die sich formierende Regierung noch einmal ganz massiv erhöht. Denn die Welt, das beschrieb SPD-Chef Lars Klingbeil treffend, „ordnet sich gerade neu“. Und zwar nicht zum Guten.
Trumps Zoll-Wahnsinn schwächt die Weltwirtschaft, er kann Deutschland als Exportnation massiv treffen. Nun verhöhnte er erst bisherige Verbündete im Gossen-Jargon, dann legte er die Zölle auf Eis - eine irre Achterbahnfahrt. Seine erwartbare Abkehr von Europa zwingt auch die Bundesrepublik, jahrzehntelange Versäumnisse in Sachen Verteidigung aufzuholen. Das Land muss widerstandsfähiger werden - in jeder Hinsicht.
Dafür braucht es zuallererst eine „handlungsfähige und handlungsstarke Regierung“, die der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz ankündigte. Das Drehbuch für die Koalition steht. Aber: Wir haben bei der Ampel erlebt, wie kurz die Haltbarkeit eines Regierungsprogramms sein kann - mit dem Einmarsch von Putins Russland in die Ukraine war deren Koalitionsvertrag Makulatur.
Die Koalition muss Zusammenhalt auch selbst praktizieren
Das kann der neuen Regierung ähnlich gehen. Daher ist es am wichtigsten, dass die Partner den nun betonten Zusammenhalt tatsächlich praktizieren - und zwar auch dann, wenn die konkrete Regierungsarbeit zeigt, dass es viel schwieriger ist, Vorhaben umzusetzen als sie schriftlich zu fixieren. Diese Koalition muss führen, sie muss mit einer Stimme auftreten, sie muss auch mit Taten für Aufbruch sorgen in einem Land, das seine Stärken vernachlässigt und auch schlechtgeredet hat.
Wer die Vorhaben durchliest, der sieht ein solides, sinnvolles, aber gewiss nicht sensationelles Vertragswerk. Eines ist dieser Koalitionsvertrag sicher nicht: eine Politik-Wende, wie sie vor allem die Unionsparteien im Wahlkampf versprochen hatten.
Es wird leichte Steuersenkungen für alle geben - aber keine große Steuerreform, mit der die Union für sich geworben hatte. Dafür reichte die Schnittmenge zwischen den beiden Lagern nicht. Auch nicht dazu, doch zu tun, was immer mehr Ökonomen empfehlen: auf die wachsende Kluft der Einkommen in Deutschland mit einer maßvollen Mehrbelastung der sehr Wohlhabenden zu reagieren.
Klimaschutz, so sieht es aus, ist momentan eher ein Randthema - auch in der entstehenden Koalition. Kein Tempolimit - es war erwartbar, dass auch die neue Regierung dieses einfache Signal nicht aussenden will.
Die Sozialdemokraten gingen als Regierungspartei mit weniger Versprechungen in den Wahlkampf - und konnten nun mehr durchsetzen. Die Billionen-Pakete für Infrastruktur und Verteidigung standen auf ihrer Wunschliste. Zugeständnisse muss die SPD beim Bürgergeld machen, wo es leichte Korrekturen geben soll. Und auch beim Thema Migration - dort dürfte es noch knirschen, wenn es an die Details geht. Insgesamt aber wäre es fatal, wenn die Mitglieder den Koalitionsvertrag nun ablehnen würden - die SPD konnte für ihr deutlich geringeres Gewicht in der Regierung viel erreichen.
Eher ein „Weiter so“ als ein wirklicher Neuanfang
Insgesamt ist das Programm eher ein „Weiter so“ - aber mit wichtigen Korrekturen bei offensichtlichen Fehlentwicklungen - als ein wirklicher Neuanfang. Das muss in schwierigsten Zeiten kein Schaden sein. Politik ist mühsame Arbeit an kleinen Details, Demokratie lebt von schmerzhaften Kompromissen - aber sie kann eine bessere Zukunft in einem liberalen Rechtsstaat gestalten, der Stabilität sichert. Und diese Stabilität in Freiheit kommt im Rest der Welt zusehends abhanden.
Die AfD, die momentan Umfrage-Rekorde erzielt und teils die CDU überholt, verdammt nun alles. Sie verschärft ihre Wut- und Angst-Politik. Die künftige Koalition muss und kann diesen Untergangs-Profiteuren Paroli bieten - mit sauberer Arbeit.
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