Geballter Unmut allein ist kein Rezept
Warum die Bauern-Proteste und ihr Echo zu billig sind
9.1.2024, 10:02 UhrNatürlich können und dürfen sie protestieren, die Landwirte. Sie tun das ja auch, unübersehbar. Weil sie sich brüskiert fühlen von einer Politik, die ihnen Kürzungspläne vor die Tür kippte, ohne Erklärung und Ankündigung, ohne ein ausgewogenes, überzeugendes Gesamtkonzept.
Richtet sich der Unmut an die passenden Adressaten?
Dass sich ein Berufsstand schikaniert fühlt, ist nachvollziehbar. Und dass viele Bürger in den Protesten einen nur zu willkommenen Anlass sehen, es der bei vielen inzwischen verhassten Ampel mal zu zeigen: Auch das ist verständlich. Aber: Richtet sich der Unmut wirklich an die richtigen Adressaten? Ist er nicht zu billig?
Die Bauern haben keineswegs erst seit der Ampel zu kämpfen. Ihre Ertragslage hat sich übrigens im vergangenen Jahr deutlich verbessert - eine Momentaufnahme, gewiss. Aber die Krise der Branche war schon mal größer, und sie hat sehr viel mit der europäischen Agrarpolitik zu tun, auch mit der deutschen. Die wurde von 2005 bis 2018 von CSU-Ministern verantwortet, dann bis 2021 von der CDU. Rosige Zeiten für die Landwirte waren das auch nicht - und der Beifall, den Unions-Vertreter nun neben den Bühnen der Proteste klatschen, ist allzu durchsichtig.
Aiwanger polarisiert zusätzlich
Dort hat einer ein Heimspiel, der die Stimmung anpeitscht: Hubert Aiwanger. Er wettert gegen "Party-People" in Berlin, vertieft die Polarisierung zwischen Stadt und Land und tut wieder mal so, als gehöre er nicht zur Elite, zur regierenden Politik. "Hubbsi" rufen da die Bauern ihrem Kollegen zu. Und lassen bei der Demo in München einen Grünen nicht zu Wort kommen, der vergeblich versucht, ihnen bittere Wahrheiten zu präsentieren - etwa die Tatsache, dass auch CDU, CSU und AfD im Bundestag prinzipiell erst mal keine Einwände gegen die Subventions-Kürzungen hatten, sich nun aber an die Spitze der Proteste stellen. Demokratischer Diskurs sieht anders aus; ohne Zuhören wird sich kein Kompromiss finden lassen - den die Bauern trotz des Einlenkens der Ampel ja auch ablehnen und die komplette Rücknahme der Kürzungen fordern.
Warum rollen die Traktoren eigentlich nicht vor die Konzernzentralen der Discounter, die den Landwirten die Preise diktieren, dass es kracht? Wohl, weil die Bauern wissen, wie hart dort verhandelt wird - da ist die Politik offensichtlich nachgiebiger. Und wie viele von den Bürgern, die den Proteste Beifall klatschen, kaufen denn regelmäßig in den Bauernläden ihrer Region anstatt in Supermärkten, die mit Dumpingpreisen vor allem kleineren Höfen kaum eine Chance lassen?
Wie beim Applaus für die Pflegekräfte
Der Beifall für die Bauern erinnert an den Applaus für die Pflege-Beschäftigten während der Pandemie: Er kostete nichts und verschaffte ein gutes Gefühl. Und dann? Geschah wenig. Nun entlädt sich Wut über eine Regierung und einen Kanzler, die es immer noch sträflich versäumen, zu erklären, warum sie was tun. Und es immer noch in der Hand hätte, besser zu regieren.
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