Wahlen in Paris und London

Von wegen Wahlsieger: Um die Linke ist es in Europa nicht gut bestellt

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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9.7.2024, 14:27 Uhr
Menschen feiern auf dem Platz der Republik nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen. Doch hat die Linke in Frankreich und Großbritannien wirklich gewonnen?

© Louise Delmotte/dpa Menschen feiern auf dem Platz der Republik nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen. Doch hat die Linke in Frankreich und Großbritannien wirklich gewonnen?

Glasklarer Sieg in London, unerwartet deutliche Zugewinne in Paris: Europas Linke jubelt angesichts der Ergebnisse bei den Parlamentswahlen in Großbritannien und Frankreich. Auf den ersten Blick ist das berechtigt. Labour holte im britischen Unterhaus 412 von 580 Sitzen, das entspricht über 70 Prozent aller Mandate. Und in Frankreich hat die eigens gegründete Nouveau Front Populaire es auf Anhieb zur stärksten politischen Kraft gebracht, mit 180 Sitzen sitzen die Volksfront-Vertreter in der neuen Assemblée Nationale.

Doch feiern die Linken zurecht? Die Antwort darauf lautet: Nein. Denn was nach erdrutschartigen Gewinnen aussieht, hat sehr wenig mit einer Linkswende zu tun. Vielmehr spielte bei beiden Abstimmungen die Zugehörigkeit zum linken Lager nicht die entscheidende Rolle. Andere Faktoren sind maßgeblich für die Resultate - allen voran das Mehrheitswahlrecht.

Wäre in Großbritannien nach dem deutschen Verhältniswahlrecht votiert worden, sähe die Sitzverteilung anders aus. Labour hätte dann rund ein Drittel der Sitze verbuchen können, exakt waren es 33,7 Prozent der abgegebenen Stimmen, die auf Labour entfielen. Weil aber aus jedem Stimmkreis nur ein Vertreter ins britische Parlament einzieht, sind es dort eben die eingangs erwähnten 70 Prozent.

Es gibt noch einen zweiten gewichtigen Grund, der sowohl in London als auch in Paris zu den vorliegenden Ergebnissen geführt hat - und der ebenfalls herzlich wenig mit der Stärke der linken Parteien zu tun hat. Beide Voten waren Protestwahlen - in Frankreich galt es, einen Triumph der Rechtsextremisten zu verhindern, also gegen Marine Le Pen zu stimmen. Und in Großbritannien wollten sehr viele Wähler den Tories nach einer allzu langen, von vielen Skandalen begleiteten Regierungszeit eine Quittung ausstellen.

Man sollte sich also hüten, in Europa die Linke auf dem Vormarsch zu wähnen. Vielmehr sind es schwere Zeiten für Linksbündnisse. Wenn es einen langfristigen Trend gibt, dann spricht dieser eher für populistische Gruppierungen. Deren Stimmanteile konnten - von Ausnahmen abgesehen - von Spanien über Frankreich bis nach Ungarn kräftig zulegen. Im neuen europäischen Parlament zeugt die neu gegründete Fraktion der "Patrioten in Europa" von den jüngsten Erfolgen.

Das Bündnis, dem auch die Lega aus Italien, die ANA aus Tschechien, die FPÖ aus Österreich und weitere Parteien angehören, könnte drittstärkste Kraft in Straßburg werden. Das ist die neue Realität in Europas Staaten: Fast überall sind die Rechtsextremisten zu starken Kräften geworden. Deren einfache (und kaum umsetzbare) Botschaften stoßen auf Widerhall, mindestens bei all denen die sich von einem sozialen Abstieg bedroht fühlen. Früher hätten viele dieser Menschen links gewählt. In Deutschland ist dies nicht anders - hier sind viele enttäuschte Linkswähler ins AfD-Lager gewechselt.

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