Unversöhnliche Fronten
Thüringen als Warnsignal: So chaotisch könnte es bald in deutschen Parlamenten zugehen
26.9.2024, 16:43 UhrEigentlich sollte nur die neue Sitzungsperiode eines Landtages eröffnet werden. Etwas, das in der Nachkriegszeit in Deutschland schon Hunderte Male passiert ist und bei den Beobachtern im Zweifelsfalle mehr Langeweile als Aufregung hervorrief. Doch die erste Sitzung des Thüringer Parlaments hat einen unschönen Höhepunkt an Chaos und Feindseligkeit hervorgebracht - und das muss uns alle aufhorchen lassen.
Auslöser ist die Tatsache, dass die AfD als stärkste Fraktion das Amt des Landtagspräsidenten für sich beansprucht. Es gibt natürlich gute Gründe dafür - zum Beispiel die lange Tradition des Parlamentarismus.
Wahl ist nicht zu erzwingen
Was aber die AfD seit Jahren nicht verstehen will: Parlamentspräsidenten in den Ländern müssen in freier Wahl von Abgeordneten gewählt werden, die dabei ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet sind. Die Wahl einer bestimmten Person ist durch nichts zu erzwingen.
Im Bundestag ist es schon lange so, dass sich die anderen Fraktionen einem AfD-Vizepräsidenten verweigern. Das Bundesverfassungsgericht hat 2022 auf Klage der Rechtspopulisten hin entschieden, dass diese keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf den Posten haben. Ebenso wenig wie auf den des Ausschussvorsitzenden.
Man braucht nicht viel Phantasie dafür, zu erkennen: Auch der thüringische Verfassungsgerichtshof wird im konkreten Fall vermutlich so urteilen. Was die AfD natürlich nur wieder darin bestärkt, eine Verschwörung zu wittern.
Manchmal macht es den Eindruck, als ob der Partei die Opferrolle tatsächlich wichtiger sei als das Erlangen dieser hohen parlamentarischen Ämter. Eine Abgeordnete vorzuschlagen, die rechtskräftig wegen Betruges verurteilt ist, wie das in Thüringen geschehen ist, stellt zumindest keine vertrauensbildende Maßnahme dar.
Die Zustände am ersten Sitzungstag waren beängstigend. Es wurde herumgeschrien, es gab viele Unterbrechungen und Ordnungsrufe. Der Alterspräsident (von der AfD) tat wenig dazu, die Situation zu beruhigen. Im Gegenteil, entgegen der Aufgabenstellung dieses Amtes agierte er im Interesse seiner eigenen Partei.
Nicht nur "Altparteien" widersprechen
Es sollte der AfD zu denken geben, dass nicht nur die von ihr verächtlich als "Altparteien" bezeichneten CDU, SPD und Linke gegen sie standen, sondern auch das Bündnis Sarah Wagenknecht - eine ganz neue Protestpartei. Dem BSW zu unterstellen, es sei nun ebenfalls auf die Schnelle Mitglied des politischen Kartells geworden, wäre geradezu absurd. Dazu sind deren Positionen in etlichen Punkten viel zu konträr zu den Parteien der Mitte.
Das eigentlich Schlimme: Eine Versöhnung oder ein halbwegs zivilisierter Umgang miteinander sind in Thüringen nicht in Sicht. Bei jedem Streit um die Geschäftsordnung werden die Verfassungsrichter angerufen werden. Und man glaubt der anderen Seite nicht mal mehr, dass der Himmel blau und das Gras grün ist. Der Trumpismus mit seinen alternativen Fakten hat endgültig seinen Einzug in Deutschland gehalten.
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