Pistorius-Rückzug macht Weg frei
Scholz führt SPD-Wahlkampf: Erweist sich der amtierende Kanzler als Bürde für seine Partei?
22.11.2024, 15:53 UhrEs war ein kurzer, aber heftiger Flirt: Viele in den Reihen der SPD hätten Boris Pistorius gern als Kanzlerkandidaten gesehen. Zackig im Auftreten, klar in der Ansprache - und somit anders als Olaf Scholz: Mit diesem Stil hat der Niedersachse binnen kurzer Zeit die Herzen der sozialdemokratischen Basis und nicht weniger Mandatsträger erobert.
Seit Pistorius’ Ausstieg per Videobotschaft herrscht nun Klarheit: Die SPD leistet sich den Luxus, den beliebtesten Politiker der Republik nicht zu nominieren. Stattdessen heißt es "Weiter-so" mit Olaf. Der amtierende Kanzler tritt allerdings nicht aus einer Position der Stärke in den Wahlkampf, sondern massiv geschwächt.
Der nüchterne Scholz steht in der öffentlichen Wahrnehmung für das Scheitern der Ampel
Der Kanzler-Bonus, eigentlich eine verlässliche Bank, kann sich dieses Mal als Malus erweisen. Selbst dem Unionskandidaten Friedrich Merz (CDU), der noch nie ein Publikumsliebling war, werden höhere Sympathiewerte zugemessen, als dies bei Scholz der Fall ist. Kein Wunder: Der nüchterne Scholz steht in der öffentlichen Wahrnehmung für das Scheitern der Ampel.
Daran ändert auch das skandalöse Verhalten der FDP nichts. Denn Politik ist ein ungerechtes Geschäft. So absurd es klingt: Die Taktik von FDP-Chef Christian Lindner, wohlvorbereitet und mit voller Absicht das Aus der Koalition herbeizuführen, könnte mit einem Wiedereinzug in den Bundestag belohnt werden. Gleichzeitig, der Wahlkampf der Liberalen wird sicherlich in diese Richtung zielen, könnte die Scholz-SPD mehr Schuldzuweisungen abbekommen als sie es mit Blick auf das Scheitern der Ampel verdient hätte.
Derzeit dümpelt die einst so große SPD bei Werten um die 15 Prozent, eher drunter als drüber. Das ist, anders kann es nicht bezeichnet werden, desaströs. Ob nun ausgerechnet Scholz den freien Fall stoppen kann, muss bezweifelt werden. Womit sollte der Regierungschef punkten? Allenfalls mit seiner Erfahrung, hier hat er in der Tat mehr zu bieten als der aussichtsreichste Bewerber Merz. Scholz zieht als einer der schwächsten SPD-Kandidaten, die es in der Geschichte der Bundesrepublik gab, in den Wahlkampf.
Es sind genau drei Monate bis zum Wahltag, mittlerweile beträgt der Vorsprung der Union fast 20 Prozent, kaum vorstellbar, dass die SPD mit Scholz als Frontmann ernsthaft in den Kampf um das Bundeskanzleramt eingreifen kann. Sollte Scholz wirklich daran glauben, seinen Erfolg von 2021 wiederholen zu können, müsste man sich Sorgen um seine geistige Verfassung machen.
Die SPD spielt bestenfalls um Rang zwei
Die SPD spielt, vorausgesetzt Merz unterlaufen keine gravierenden Fehler, bestenfalls um Platz zwei oder drei im Parteienranking. AfD und Grüne heißen die Mitbewerber um diese Positionen, das Rennen ist nach jetzigem Stand offen. Die Grünen haben sich auf ihrem Parteitag erstaunlich geschlossen hinter Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck gestellt, sie werden beharrlich an ihrem Image arbeiten müssen.
Derzeit hängt ihnen das Narrativ einer "Verbotspartei" nach, zudem arbeitet sich CSU-Chef Markus Söder unermüdlich an der Öko-Partei ab. All das sind Vorboten des Wahlkampfes. Die AfD, auch das ist kalkulierbar, setzt weiterhin auf ihr Kernthema Migration und will sich als Alternative präsentieren - bislang durchaus erfolgreich. Mit Alice Weidel steht eine rhetorisch gut aufgestellte Politikerin im Zentrum des Wahlkampfes der Rechtspopulisten.
Letztlich werden die kommenden drei Monate auch Aufschluss geben, wie es um die politische Kultur in unserem Land bestellt ist. Sind es unseriöse Vorschläge, die die Debatten bestimmen werden? Also Themen wie der von Söder inszenierte Wiedereinstieg in die Atomkraft? Oder werden tatsächlich sachdienliche Standpunkte erörtert?
Derzeit deutet leider viel auf einen kurzen, schrillen Wahlkampf hin. Dazu passt, dass die ersten Personalien für das künftige Kabinett bereits verkündet wurden. Mit dem Bauernverbandspräsidenten Günther Felßner aus Lauf hat CSU-Chef Söder bereits das Landwirtschaftsressort vorab für seine Partei reklamiert und besetzt, mit Alexander Dobrindt einen weitere "Superminister"-Anwärter designiert. Zudem schließt der Nürnberger kategorisch ein Bündnis mit den Grünen aus.
CDU und CSU können nur über sich selbst stolpern
Unter normalen Umständen wird der Union niemand mehr den Wahlerfolg nehmen können, zu groß ist der Abstand, zu ausgeprägt der Wunsch nach einem Wechsel. Fast vier Jahre Ampelkoalition sind für die meisten Wählerinnen und Wähler genug, der Union wird auch mehr Wirtschaftskompetenz zugerechnet.
Allenfalls können CDU und CSU noch über die eigenen Beine stolpern. Vorab-Nominierungen von Ministerien, die noch gar nicht vergeben sind, unbotmäßiges Beschimpfen von Parteien der demokratischen Mitte - all das könnte die Stimmung noch drehen. Ein Vierteljahr kann auch lange sein.
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