Attentat auf Trump steht für Exzess

Polarisierung löst Politik ab: Warum die USA uns näher sind, als uns lieb sein kann

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

E-Mail zur Autorenseite

15.7.2024, 15:06 Uhr
Entscheidet diese Szene die US-Wahlen? Donald Trump wird bei einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, nach den Schüssen auf ihn von Agenten des US-Geheimdienstes Secret Service umringt.

© Evan Vucci/dpa Entscheidet diese Szene die US-Wahlen? Donald Trump wird bei einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, nach den Schüssen auf ihn von Agenten des US-Geheimdienstes Secret Service umringt.

Nach dem Attentat ist vor der Wiederwahl: So können die Folgen der Schüsse auf Donald Trump in einem Satz zusammengefasst werden. Nach dem Attentat im Bundestaat Pennsylvania steigen die Chancen Trumps sprunghaft, nun kann und wird sich der 78-Jährgige noch mehr als bislang als Messias präsentieren - eben als ein ganz besonderes Wesen, das nichts aus der Bahn werfen kann.

Schlimm genug, dass Trump seine Chancen verbessert hat, bedeutet ein erneuter Einzug des Republikaners ins Weiße Haus doch nichts Gutes. Im Gegenteil: Der Westen wird sich warm anziehen müssen, wenn der Freund der alternativen Wahrheiten nach Washington zurückkehrt.

Viel schlimmer ist jedoch die zu befürchtende Entwicklung nach den Schüssen auf Trump: Die USA schlittern aller Voraussicht nach in eine noch schärfere Zersplitterung. Schon vor dem Attentat galt in den Vereinigten Staaten die Faustregel: Politische Meinungsbildung erfolgt primär über Polarisierung. Wer den anderen heftiger beleidigt, festigt die Aussichten im eigenen Lager.

Ein demokratischer Offenbarungseid

Das ist im Grunde ein demokratischer Offenbarungseid: Denn statt um Themen zu ringen - wie dies etwa vor der Wahl von Barack Obama mit Blick auf die Gesundheitsreform der Fall gewesen war - geht es nurmehr um Angriffe auf das andere Lager.

Das Signal, das von den USA ausgeht, hat längst andere Teile der Welt erreicht: Am Ende führt diese Art des politischen Wettstreits zu Zugewinnen bei den Populisten. Je weniger Sachfragen im Vordergrund stehen, desto mehr profitieren die Absender von Pauschalaussagen.

Das ist in vielen europäischen Staaten seit etlichen Jahren zu beobachten. Nun kann man in den USA treffend anmerken, die Demokraten haben an der Misere einen erheblichen Anteil, weil sie einem sicht- und hörbar mit Alterserscheinungen kämpfenden Präsidenten die Stange halten. Doch auch ohne Joe Biden wäre die politische Kultur in den USA an einem Tiefstand angelangt.

Wenn nicht mehr um Inhalte gerungen wird, ist der Schritt zu autoritären Systemen ein kleiner. Nicht auszudenken, wenn Trump seine bereits artikulierten Rachegelüste gegen wen auch immer in die Tat umsetzen würde. Was heißt das konkret? Dass erneut ein gewaltbereiter Mob das Kapitol in Beschlag nimmt? Dass in Frankreich Anhänger des Rassemblement National (RN) gegen das "Bündnis der Schande" (RN-Chef Bardella), das die Wahlen gewonnen hat, auf die Straße gehen?

Oder dass nach einer Landtagswahl im Osten Deutschlands, bei der die AfD stärkste Kraft werden kann, die Partei ein Parlament von eigenen Anhängern besetzen lässt, weil dort keiner ihrer Vertreter ins Landtagspräsidium einzieht? Es gibt viele solcher Szenarien, die bis vor kurzem noch ausgeschlossen werden konnten.

Je weiter diese Polarisierung voranschreitet, desto näher rücken mögliche Gewaltexzesse. Was in den USA Alltag ist, könnte bei uns Realität werden.

0 Kommentare