Schwierige Partnersuche

Neuwahlen - und dann? Warum wir frühestens im April eine neue Regierung haben werden

Harald Baumer

Berlin-Korrespondent

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11.11.2024, 13:02 Uhr
Nach derzeitigem Stand wird er die nächsten Koalitionsgespräche führen: Oppositionsführer Friedrich Merz (Mitte).

© Michael Kappeler/Michael Kappeler/dpa Nach derzeitigem Stand wird er die nächsten Koalitionsgespräche führen: Oppositionsführer Friedrich Merz (Mitte).

Wann werden wir in Deutschland eine neue Regierung haben? Das hängt im Wesentlichen von vier Verfahrensschritten ab. Erst muss der Kanzler die Vertrauensfrage stellen und verlieren. Danach kann der Bundespräsident binnen 21 Tagen das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen. Bis zur Wahl selbst dürfen von da an maximal 60 Tage verstreichen. Und schließlich müssen sich auch noch Koalitionspartner zusammenfinden. Das ist in der Praxis manchmal der langwierigste Schritt.

Betrachtet man die letzten neun Bundestagswahlen seit dem Jahr 1990, so dauerte es im Schnitt 63 Tage, bis der Koalitionsvertrag unterzeichnet und die Regierung gebildet werden konnten. Allerdings ist in diese Zahl auch ein einmaliger "Ausrutscher" einberechnet - und zwar die Wahl von 2017. Damals stellte man einen Rekord an Verhandlungstagen auf, nämlich 171.

Der Sonderfall 2017

Diese extrem lange Frist lässt sich leicht erklären: Es gab zunächst Gespräche über eine "Jamaika"-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Diese platzten aber und die damalige Kanzlerin Angela Merkel musste nochmal völlig neu in Verhandlungen mit der SPD über eine weitere Große Koalition einsteigen.

Sinnvollerweise sollte also dieser "Sonderfall 2017" aus der Statistik herausgerechnet werden. Tut man das, kommt man auf durchschnittliche Koalitionsgespräche von 49 Tagen. Das ist schon deutlich weniger als die eingangs erwähnten 63 Tage.

Erfahrungsgemäß hängt es stark davon ab, wer da miteinander verhandelt. Sind es "natürliche" Partnerschaften wie die zwischen SPD und Grünen oder die zwischen Union und FDP, dann geht es erheblich schneller. Alle Wahlen seit 1990 zeigen: In diesen Fällen brauchte es im Schnitt nur 34 Tage, ehe die neue Regierung stand.

Eine solche Konstellation ist allerdings nach einem Blick auf die Umfragen nicht zu erwarten. Die FDP käme demnach gar nicht mehr in den Bundestag zurück oder wäre - wenn überhaupt - zu schwach für eine Regierungsmehrheit mit der Union. Beide haben zusammen nur knapp 38 Prozent. Noch dramatischer sieht es für SPD und Grüne aus, die derzeit gemeinsam auf 27 Prozent kommen.

Es läuft also auf eine Große Koalition oder auf ein weiteres Dreier-Bündnis hinaus. Und die brauchen deutlich länger für eine Regierungsbildung als die gerade eben genannten Varianten. Die GroKo-Gespräche zogen sich im Schnitt 75 Tage hin, und die Ampel als einzige Dreier-Koalition benötigte beinahe ebenso lang (73 Tage).

Fasst man all diese Erkenntnisse zusammen, dann wäre folgender zeitlicher Ablauf als die schnellste Variante vorstellbar: Verlorene Vertrauensfrage im Bundestag Mitte November, Entscheidung des Präsidenten etwa am 24. November (die volle Frist von 21 Tagen würde er vermutlich nicht ausschöpfen), Neuwahlen Ende Januar, Regierungsbildung nach Koalitionsgesprächen von rund 75 Tagen im April des Jahres 2025.

Zwei Monate hin oder her

Bliebe es bei der ursprünglich von Bundeskanzler Olaf Scholz genannten Variante einer Vertrauensfrage Mitte Januar, käme man bei der identischen Rechnung auf eine Vereidigung des neuen Kanzlers und seines Kabinetts im Juni 2025.

Letztlich geht es also immer um etwa zwei Monate hin oder her. Das empfinden die einen (bisher vornehmlich der Kanzler und seine SPD) als nicht besonders dramatisch. Schließlich wolle man noch einige Projekte durch den Bundestag bringen und einen Wahlkampf über Weihnachten und Neujahr vermeiden. Die anderen bezeichnen es als unverantwortlich, zwei wichtige Monate zu verschenken, in denen eine neue Regierung startklar sein und mit dem am 20. Januar vereidigten US-Präsidenten Donald Trump in Kontakt treten könnte.

Ein Aspekt, den die Bundeswahlleiterin als Hindernis für einen raschen Urnengang genannt hatte, scheint inzwischen aus dem Weg geräumt. Die deutsche Papierindustrie verwahrte sich dagegen, dass es an ausreichend Papier für den Druck der Stimmzettel mangeln könnte. Hauptgeschäftsführer Alexander von Reibnitz verwies darauf, dass seine Branche "sehr leistungsfähig" sei und selbstverständlich liefern könne.

Voluminöse Koalitionsverträge

Nicht nur die Dauer der Koalitionsverhandlungen hat sich übrigens in der Nachkriegszeit verändert. In den Anfängen der Republik reichten oft wenige Gespräche, um sich auf eine grobe Linie zu einigen. Auch der Umfang der Verträge zwischen den Partnern ist deutlich angewachsen.

Kam die schwarz-gelbe Regierung im Jahr 1961 noch mit 2300 Wörtern aus, um alle wesentlichen Absprachen zusammenzufassen, so waren es im bisherigen Rekordvertrag 2018 zwischen SPD und Union immerhin 63.000 Wörter. Das entspricht fast einem 30-fachen Umfang. Die Ampel rüstete in der Hinsicht dann wieder etwas ab. Sie benötigte 51.000 Wörter, um sich eine Geschäftsgrundlage für die gemeinsame Arbeit zu schaffen.

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