Unser Mitarbeiter in Jordanien
Fränkischer Sprachschüler in Amman: „Ich jogge im Park - und plötzlich fliegen über mir die Raketen“
12.10.2024, 09:05 UhrNoch eine Übung. Zwei Runden Joggen, Kniebeugen, Ausfallschritte. Nach einem heißen September wird es endlich kalt in Jordaniens Hauptstadt Amman, wo ich gerade an einem Institut Arabisch lerne. Nach einem Monat Kulturschock und vielen Anrufen nach Hause wird der Alltag hier endlich Alltag. Ich traue mich, einfach nach draußen zu gehen und Sport zu machen. Nur für mich.
Es ist Dienstag letzter Woche. Ich stehe schnaufend in einem dunklen Park, genannt Sports City, gebaut von nordirischen Architekten parallel in Amman und Tripolis. So etwas ist typisch für die Region, gefühlt verlaufen die Grenzen zwischen den Ländern oft fließend: Man trifft hier viele Jordanier, die in Saudi-Arabien gearbeitet haben, viele Ägypter, die hierher zum Arbeiten gekommen sind. Vor allem trifft man aber viele Palästinenser.
Wenn man auf Bevölkerungsstatistiken schaut, sieht man, dass noch 1940 nur 20.000 Menschen in Amman lebten, 1952 nach der Staatsgründung Israels schon 108.000. Heute sind wohl drei Millionen palästinensische Flüchtlinge im Land. Ein Großteil der Jordanier, mit denen ich hier gesprochen habe, haben palästinische Wurzeln. So auch mehrere Kinder, die mich neugierig bei meinen Übungen beobachtet haben: "Min Ayna Anta?" habe ich sie gefragt, woher kommst du? "Palestine".
Eine Sternschnuppe...
Plötzlich Trubel und Bewegung im Park. Die Blicke der Einheimischen um mich herum schweifen nach oben. Auch ich blicke in den Himmel, was gibt es zu sehen? Warum regen sich alle auf? Ich sehe eine Sternschnuppe, freue mich kurz, dann noch eine und noch eine. Der dunkle Himmel wirkt wie zum Leben erweckt, wird von flammenden Lichtern durchzogen. Ich kenne solche Bilder sonst nur aus dem Fernsehen.
Im April hat Iran schon einmal Israel mit Raketen beschossen. Ich weiß, dass damals Trümmer von Raketen über Amman niedergegangen sind, die Jordanien direkt über der Hauptstadt abgeschossen hat. Es gibt davon Videos, die ich mir angesehen habe. Nun sehen die funkelnden Lichter am Himmel ganz anders aus. Mächtig, bedrohlich. Dort, wo sonst nur die Sterne und vielleicht einmal ein Flugzeug zu sehen sind, ist Krieg. Und ich sehe auch, dass es viel mehr Raketen sind als in den Videos. Auf einmal fühle ich mich ganz klein im Angesicht solcher Gewalt.
Manchmal, wenn ich beim Sportklettern versuche, einen besonders schweren Halt zu greifen, fange ich an zu schreien. Das fühlt sich dann einfach richtig an, wenn ich voller Energie bin. So fange ich in dem Moment an auch zu schreien, "What the fuck" rufe ich immer wieder, und ich rufe auch die Namen meiner beiden Nachbarinnen, mit denen ich zusammen in den Park bin: "Where are you?". Wo seid ihr? Mein Instinkt ist: Zusammen bleiben und in Deckung gehen.
Wir kauern uns an eine kleine Mauer im Park und beobachteten, wie aus dem Osten - während Iran im Westen liegt - kleine Lichter aufsteigen und auf die anderen, größeren Lichter am Himmel zufliegen. Es sind wohl Abfangraketen, die die iranischen Raketen vom Himmel holen sollen. Eine Schlacht über unseren Köpfen.
Wenn die Lichter aufeinander treffen, wird der Himmel dort plötzlich wieder dunkel. Ein Abschuss. Ich kann mindestens einen Rauchkreis im Himmel beobachten. Es knallt irgendwo in der Ferne. Währenddessen bleiben die Jordanier um uns herum ruhig, einer macht sogar weiter Sport.
Krieg und Gewalt: beinahe Alltag
Später werde ich realisieren, dass Krieg und Gewalt leider für die Menschen hier nichts Ungewöhnliches sind: Jordanien grenzt an die Westbank, Israel, dem Libanon, Syrien und Irak. Später wird mir ein älterer Mann sagen: Wenn er die Raketen im Himmel sieht, denkt er an die Menschen in Gaza. So wie ich später an die Menschen in Tel Aviv denken werde, die auch das Ziel dieser Raketen waren. Im Vergleich zu ihnen geht es mir gut. Niemand greift uns an. Die Jordanier um uns herum packen ein und gehen nach Hause, nicht in Panik wie wir, sondern wie wenn sich in Deutschland im Park Gewitterwolken abzeichnen und man noch schnell sein Getränk zu Ende trinkt.
Plötzlich ist der Himmel wieder dunkel. Wir atmen auf und reden darüber, was gerade wohl passiert ist. Wir sind im Schock, meine Nachbarin weint. Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. Plötzlich wieder Raketen. Es geht ganz schnell. Wir sehen, wie Raketen direkt über unseren Köpfen abgeschossen werden. Wir ducken uns in den Sand. Meine Nachbarin sagt: Vielleicht wäre es besser, wenn wir in ein Gebäude gehen. Hier schützt und nichts von Trümmerteilen. Wir sprinten in das nächste Gebäude.
Später taucht ein Video einer Überwachungskamera aus der palästinensischen Westbank auf: Ein Mann, der sich später als Kriegsflüchtling aus Gaza herausstellt, läuft über eine Straße. Eine Rakete fällt aus dem Himmel direkt auf ihn. Der Mann ist tot.
Nachdem der Angriff vorbei ist, fahren uns zwei Sportler aus der Turnhalle in unser Wohnheim, ein Taxi konnten wir nicht finden: Die Regierung hat angeordnet, dass alle Menschen nach Hause sollen. Wir sitzen noch bis spätabends auf dem Sofa, und reden darüber, was passiert ist. Wir sind traurig, weil meine eine Nachbarin, mit der wir uns gut verstehen, von Ihrer Uni nach Hause geholt wird. Später sehe ich eine E-Mail der deutschen Botschaft über den Angriff: "Liebe Landsleute", werden wir begrüßt.
Die nächsten Tage läuft der Alltag einfach weiter. An einer Kreuzung tauchen Polizisten mit Sturmgewehren auf, ich trage mich in eine Liste des US-Außenministeriums ein. Jeden Abend erwarten wir den israelischen Gegenschlag. Am Sonntag fliegt ein Militärflugzeug Kreise über Amman. Bevor wir wieder in den Park gehen, diskutieren wir, über welche Route Israel wohl in den Iran fliegen wird: Hoffentlich nicht über unsere Köpfe. Immer mehr meiner Kommilitonen reisen ab. Gepanzerte Fahrzeuge fahren im Konvoi über die Straße, während wir in einem Imbiss Falafel essen. In der Nacht auf Dienstag träume ich davon, wie ich aus meinem Fenster schaue und große, graue Drohnen mit hebräischen Schriftzeichen sehe, die Richtung Osten fliegen.
Der iranische Präsident hat bereits gedroht: Auf einen Schlag Israels wird auch ein weiterer Gegenschlag folgen. Ich habe meine Powerbank schon einmal aufgeladen.
Wichtige Informationen zum Autor
Lukas Stock (25) hat in Nürnberg das Dürer-Gymnasium besucht und in den Niederlanden Journalistik studiert. Aktuell lernt er in Amman Arabisch.Keine Kommentare
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