Akzeptanz und Sichtbarkeit

„Die widernatürliche Unzucht“: Warum wir mehr als nur den Pride Month brauchen

Lea-Sophie Rohde

Volontärin

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20.6.2024, 11:00 Uhr
Zahlreiche Menschen nahmen 2023 an der CSD-Demonstration der Nürnberger Prideweek teil.

© Daniel Karmann/dpa Zahlreiche Menschen nahmen 2023 an der CSD-Demonstration der Nürnberger Prideweek teil.

"Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts (...) begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen", hieß es in Paragraf 175 des Reichsgesetzbuches von 1871. Das Kaiserreich ging unter, das Nazi-Regime endete - doch Paragraf 175 blieb. Für mehr als hundert Jahre. Bis 1994 war die Homosexualität von Männern in Deutschland ein Verbrechen.

Heute - 30 Jahre später - gibt es zweifellos Fortschritte: die Ehe für alle, einen Queerbeauftragten der Bundesregierung und das Selbstbestimmungsgesetz. Letzteres löste das diskriminierende Transsexuellengesetz ab, wodurch Transpersonen nun ohne Gutachten ihren Geschlechtseintrag ändern können. Tausende Menschen gehen zum Christopher Street Day und der Juni gilt weltweit als Pride Month. Von Regenbogenfahnen zu bunten Trikots von Puma: Pride ist überall - zumindest im Juni.

Täglich mehr als vier Straftaten gegen die sexuelle Orientierung

Doch trotz Regenbogen und Special-Editions: Die Queerfeindlichkeit sitzt bei manchen tief. Egal, ob eine Frau im falschen Körper geboren wurde oder sich zwei Männer küssen – das Anderssein zur gesellschaftlichen Norm führt immer wieder zu massiven Gegenreaktionen. 2023 wurden 1500 Delikte gegen die sexuelle Orientierung erfasst - das sind mehr als vier Übergriffe am Tag.

Vor allem auf dem Land erleben queere Menschen Ausgrenzung. Auf dem Dorf ist es bis heute unüblich, zwei händchenhaltende Männer oder Frauen zu sehen. Wer dennoch so unterwegs ist, wer nicht in das konservative Weltbild vieler passt, bekommt manches Mal Wörter wie "Schwuchtel" oder "Kampflesbe" zu hören.

Queerfeindlichkeit ist keineswegs nur ein Problem des ländlichen Raumes. In Münster wurde am Christopher Street Day 2022 ein Mann brutal zusammengeschlagen - er wollte zwei lesbische Frauen vor Beleidigungen schützen. Er starb an den Folgen des Angriffs. Der Täter gab später an, selbst homosexuell zu sein, als gebürtiger Tschetschene habe er seine Sexualität aber nie ausleben können. Aus Angst vor gesellschaftlicher Abwertung.

Wir brauchen einen dauerhaften Pride-Month

Fakt ist: LGBTQ*, so die Selbstbezeichnung queerer Menschen, ist eine der Gruppen, die besonders von Diskriminierung betroffen ist. Daher brauchen wir neben dem rechtlichen Fortschritt auch einen in der Gesellschaft. Was dazu beitragen kann: Queere Menschen müssen sichtbarer werden – nicht nur im Juni.

Wo sind queere Sportler und Sportlerinnen? Politikerinnen und Politiker? Unternehmerinnen und Unternehmer? Sichtbarkeit fängt mit der Aufklärung in der Schule an, dass mehr Lebensformen existieren als nur das heterosexuelle Dasein. Doch sie endet damit nicht.

Solange queere Menschen in Angst leben müssen, solange es täglich zu Übergriffen kommt, solange queere Menschen sich nicht trauen, offen ihre Sexualität zu leben: Solange brauchen wir den Pride Month, eine Feier der Sichtbarkeit. Doch wir brauchen dies mehr als nur die wenigen Wochen, in denen das queere Leben stolz zur Schau gestellt wird. Wir brauchen es das ganze Jahr.

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