Ampel-Parteien schon im Wahlkampf
Die Vertrauensfrage brächte Kanzler Scholz alles Mögliche, nur kein Vertrauen
16.10.2024, 13:01 UhrHat Bundeskanzler Olaf Scholz der SPD-Bundestagsfraktion angesichts der Widerstände beim Sicherheitspaket tatsächlich damit gedroht, die Vertrauensfrage zu stellen? Dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. Die wahrscheinlichste Variante: Er hat die Sache absichtlich etwas im Unklaren gelassen, als er den Abgeordneten jüngst ins Gewissen redete. Rund zehn Prozent mögliche Abweichler sind keine Kleinigkeit, da muss ein Kanzler intern schon mal seine Möglichkeiten andeuten.
Erst die sechste Vertrauensfrage
Es wäre, wenn es überhaupt jemals so weit käme, erst die sechste Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik. Das letzte Mal tat es 2005 Gerhard Schröder. Der wollte allerdings damals gar nicht das Vertrauen seiner Regierungsmehrheit testen, sondern lediglich mit einem bestellten Nein den Weg zu Neuwahlen ebnen. Was ihm ja schließlich auch gelang - und sein Amt kostete.
So denkt Scholz nicht. Er verfügt nicht über die persönlichen Beliebtheitswerte von Schröder, die diesem gewisse Hoffnungen auf eine Trendwende machen konnten. Er ist auch nicht solch ein Risiko-Spieler, wie es der Vorvorgänger im Kanzleramt war. Dem Amtsinhaber geht es tatsächlich darum, die Ampel bis zu den regulären Wahlen in knapp einem Jahr zusammenzuhalten.
Selbst wenn jetzt Olaf Scholz angesichts wackeliger Mehrheiten die Vertrauensfrage stellen würde, brächte ihm das nicht viel. Sicher, es würde ihm helfen, das umstrittene Gesetzespaket zur Inneren Sicherheit durch den Bundestag zu bringen. Aber über die wahren Zustände innerhalb der Ampel-Koalition würde das rein gar nichts aussagen. Dort ist das Vertrauen untereinander unwiederbringlich verloren. Jeder kämpft nur noch für sich.
Am deutlichsten hatte das der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour gemacht, als er im Sommer von einer "Übergangsregierung" sprach und auch sonst wenig hoffnungsfrohe Worte für das Dreierbündnis fand. Inzwischen hat er seinen Abschied von der Parteispitze erklärt. Die FDP lässt ohnehin bei jeder Gelegenheit erkennen, dass sie immer weniger gewillt ist, den Kompromissen innerhalb der Ampel zuzustimmen. Der kleinste Funke könnte reichen, um das Ende einzuläuten. Eigentlich herrscht jetzt schon Wahlkampf.
Es geht nur einmal
Es gibt noch einen weiten Grund, warum Olaf Scholz jetzt vermutlich noch nicht die Vertrauensfrage stellen wird: Sie ist das letzte Mittel, über das er verfügt, um seine Regierungsparteien zu disziplinieren. Er muss es sich aufheben, um in einer noch schwierigeren Situation dazu greifen zu können. Denn eine Vertrauensfrage stellt man erfahrungsgemäß nur einmal in einer Legislaturperiode. Ein Kanzler, der seine Mehrheit mehrfach auf diese Weise sichern müsste, würde vor aller Augen als schwach und als Amtsinhaber auf Abruf dastehen. Dann hätte er erst recht alle Chancen auf eine Wiederwahl verloren.
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