Liberale Demokratien auf Prüfstand

Die Populisten sind auch deshalb auf dem Vormarsch, weil die politische Mitte es zugelassen hat

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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15.11.2024, 10:35 Uhr
Blick in den Plenarsaal des Bundestags, der neu gewählt wird.

© Anna Ross/Anna Ross/dpa Blick in den Plenarsaal des Bundestags, der neu gewählt wird.

Was sind das für Zeiten: Erst Donald Trumps klarer Wahlsieg in den USA, dann das Aus der Ampel - turbulenter geht es kaum. Die anfängliche Schockstarre ist inzwischen in Deutschland einer ungewissen Stimmung gewichen: Was werden uns diese Neuwahlen wohl bringen? Eines scheint schon vor dem Urnengang am 23. Februar festzustehen: Nichts Gutes, denn allenthalben wird mit einem weiteren Erstarken der Ränder gerechnet. Denn der Populismus hat auch in Deutschland Konjunktur.

Am Ende könnten AfD und BSW zusammen sogar die Sperrminorität erreichen, die bei einem Drittel der Stimmen liegt. Wäre dies der Fall, könnten beide die beiden Kräfte wichtige Verfassungsänderungen blockieren. Bislang bestand eine solche Gefahr in der Geschichte der Bundesrepublik nicht.

Deutschlands politische Mitte wird definitiv kleiner

Auch wenn es nicht ganz so schlimm kommen sollte, steht eines fest: Deutschlands politische Mitte wird definitiv kleiner, ähnlich sieht es in anderen westlichen Staaten aus. Die liberalen Demokratien, ein zum Ende des vergangenen Jahrhunderts scheinbar unantastbares Erfolgs- und Zukunftsmodell, geraten global betrachtet immer mehr ins Hintertreffen. Stattdessen sind autoritäre und illiberale Regime im Kommen. Trumps Wiederwahl bestätigt diesen Trend jedenfalls eindrucksvoll, in Ungarn, also inmitten der EU, zeigt Regierungschef Orban ebenso, wie die Gewaltenteilung ins Wanken geraten kann.

Und was macht die politische Mitte? Blickt angewidert auf die Populisten und setzt auf eine Kehrtwende der Menschen. Nach dem Motto: Irgendwann werden die Wählerinnen und Wähler doch verstehen müssen, wie wichtig und richtig Klimapolitik und Zuwanderung sind, wie falsch es doch ist, den Populisten das Ruder zu überlassen usw.

Hinter dieser Denke verbergen sich zwei Probleme: Eine Arroganz gegenüber einer immer weiter wachsenden Bevölkerungsgruppe, deren Sorgen bislang nicht Ernst genug genommen werden - und die fehlende Einsicht, die eigene Argumentation kritisch zu hinterfragen.

Das ist eine fatale Mischung. Denn es ist offenkundig: Es wird in Teilen der klassischen Politik zusehends mit einer Haltung gearbeitet, die Ängste einfach so vom Tisch wischt.

Dabei wäre es zielführender, sich mit den Verlustängsten vieler Bürgerinnen und Bürger, die rational schwer zu fassen sind, intensiver zu beschäftigen. Es gibt eine Sehnsucht nach einer "einzigen, starken Partei - und zwar in Ost und West", steht in der neuen Mitte-Studie. Dieser Befund muss alarmieren.

Sehnsucht nach straffer Führung

Das gilt noch viel mehr für die Voraussetzung für diese Sehnsucht nach straffer Führung: "Oft steckt ein alteingesessener Antiparlamentarismus dahinter, wenn auf Parteien und Politiker gezeigt wird - eine Ablehnung von politischen Aushandlungsprozessen, die als störend wahrgenommen werden."

Das ist ein schlechtes Zeugnis für die Mitte und darüber sollte vor Beginn der üblichen Wahlkampfrituale reflektiert werden. Sonst droht der 23. Februar ein schwarzer Tag zu werden.

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