"Wachstumsinitiative" der Ampel

Die neuen Verschärfungen beim Bürgergeld sind unsoziale Symbolpolitik, die vor allem der AfD nützt

Thomas Correll

Leben

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11.7.2024, 11:00 Uhr
Leere Schaukel: Ein Drittel der Bürgergeld-Bezieher sind Kinder.

© Jan Woitas/picture alliance/dpa/picture alliance/dpa Leere Schaukel: Ein Drittel der Bürgergeld-Bezieher sind Kinder.

Jetzt wird durchgegriffen! Menschen, die Bürgergeld beziehen, müssen laut Beschluss der Bundesregierung in Zukunft mit härteren Bedingungen klarkommen, etwa einem Arbeitsweg von bis zu drei Stunden hin und zurück und schnelleren Kürzungen bei Verweigerung von Jobs oder Nichterscheinen bei Terminen. Das klingt doch gut dieser Tage, wo der schwer schuftenden Bevölkerung das Geld zum Leben fehlt.

Aber: Rund 5,5 Millionen Menschen beziehen in Deutschland Bürgergeld, ein Drittel davon sind Kinder, etwa 3,9 Millionen Menschen gelten als erwerbsfähig. Es fallen nochmal 2,2 Millionen weg, die studieren, Kleinkinder betreuen oder Angehörige pflegen. Bleiben 1,7 Millionen Menschen. Darunter sind Suchtkranke, psychisch Kranke oder Geflüchtete. Sprich: Menschen, die es aus verschiedenen Gründen schwerer haben, einen Job zu finden. Hinzu kommt: Während zwei Drittel der Arbeitslosen keine Berufsausbildung haben, wird für drei Viertel der deutschlandweit ausgeschriebenen Jobs eine benötigt.

Nach oben buckeln, nach unten treten

Vor diesem Hintergrund sind nun drei Stunden Arbeitsweg zumutbar, anstatt wie vorher zweieinhalb. Was die Regierung hier treibt ist populistische Symbolpolitik. Man könnte es dabei belassen. Klopfen wir einem verschwindend geringen Teil der Bevölkerung etwas mehr auf die Finger, vielleicht wirkt es abschreckend. Soll niemand behaupten, dass Leute einfach so den Steuerzahlern auf der Tasche liegen können.

Es gibt aber ein größeres Problem, ein weitaus größeres. Seit Jahrzehnten betreiben die regierenden Parteien in verschiedenen Konstellationen unsoziale Politik. Nach oben, gegenüber längst zu mächtigen Unternehmen, wird gebuckelt. Nach unten, gegenüber armen und von Armut gefährdeten Menschen, wird getreten. Hartz IV, dem wir uns mit den Bürgergeld-Verschärfungen wieder annähern, ist nur ein Beispiel. Auch Angela Merkel hat in 16 Jahren Regierungszeit bei wirtschaftlich hervorragender Situation nichts dafür getan, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Im Gegenteil.

Wählerpotenzial für Rechtsextreme

Und dann liest man Statistiken zur Europawahl: Bei den Wählerinnen und Wählern aus Deutschland, die ihre wirtschaftliche Situation als schlecht einschätzen, liegt die AfD bei 32 Prozent. Keine andere Partei schafft es über 20 Prozent. Aufgrund der Teuerungen in vielen Bereichen werden die Armut und - ganz entscheidend - die Angst vor Armut immer größer. Ein wachsendes Wählerpotenzial für Rechtsextreme.

"Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." So heißt es im Grundgesetz. Traut sich die Politik, etwa die Supermarkt-Ketten, Telekommunikationsgiganten oder Immobilienholdings, die weiterhin ihre Gewinne machen, daran zu erinnern? Nein. Sie kürzt einer Alleinerziehenden das Bürgergeld, wenn sie nicht bereit ist, für den Mindestlohn jeden Tag von Nürnberg nach Regensburg zu pendeln.

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