Verständigungsprobleme in Praxen

Behandlung beim Kinderarzt nur noch auf Deutsch - Warum der Rassismus-Vorwurf zu kurz greift

Carolin Heilig

Volontärin

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15.8.2024, 11:00 Uhr
An diesem Schild entzündet sich die Aufregung rund um einen Kinderarzt aus Kirchheim unter Teck im Raum Stuttgart.

© Marius Bulling/onw-images/dpa An diesem Schild entzündet sich die Aufregung rund um einen Kinderarzt aus Kirchheim unter Teck im Raum Stuttgart.

Rassismus. Das ist ein krasser Vorwurf. Zuletzt wurde ein Kinderarzt aus Kirchheim unter Teck dessen beschuldigt. Er hatte an der Tür zu seiner Praxis ein Schild aufgehängt, dass hier nur Deutsch gesprochen werde.

Freilich, über den Satz "Wir sprechen ausschließlich Deutsch" lässt sich streiten - er schließt Menschen aus. Die Formulierung ist undurchdacht und unsensibel - diese Kritik muss sich der Mediziner gefallen lassen.

Gleichzeitig adressiert das Beispiel aus Kirchheim zwei tatsächliche Herausforderungen: Es gibt, zum einen, Menschen, die wenig oder gar kein Deutsch sprechen und das birgt im gesellschaftlichen Zusammenleben Schwierigkeiten - für beide Seiten.

Kinderärzte müssen, zum anderen, wie andere Unternehmen auch, wirtschaftlich handeln. Für die Versorgung der kleinen Patienten gibt es eine feste Pauschale pro Quartal, egal wie oft die Kinder in dieser Zeit in die Praxis kommen und wie lange die einzelnen Termine dauern.

Die Rechnung ist simpel: Je mehr Zeit die Termine in Anspruch nehmen, desto unrentabler ist es für die Kinderärzte. Und irgendwann zahlen die Mediziner drauf. Auch Sprachbarrieren kosten Zeit, weil die Verständigung länger dauert. Sie sprengen das System.

Dass die Ärzte - und da ist der Mediziner aus Kirchheim übrigens nicht der einzige seines Berufsstandes - bei Terminen auf Deutschkenntnisse oder eine Möglichkeit der Übersetzung pochen, um die Kommunikation und damit die Abläufe zu beschleunigen, ist ein Stück weit eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Hinter der Botschaft aus Kirchheim stecken also nicht zwangsläufig Vorbehalte gegen Menschen, die eine andere Sprache sprechen. Schließlich profitieren sowohl Eltern als auch Kinder davon, wenn ihnen verständlich gemacht werden kann, was den Kleinen fehlt und wie die Therapie abläuft.

Nach Rassismus-Vorwürfen: Vergütung sollte neu geregelt werden

Statt ausschließlich darüber zu diskutieren, inwiefern die Äußerung des Kinderarztes unangebracht war, braucht es im Angesicht des aktuellen Falls vielmehr eine Debatte um die Ausgestaltung unseres Gesundheitssystems - insbesondere, wenn es um die Versorgung der Kleinsten und Schutzbedürftigsten geht. Das Schild an der Praxistür ließe sich auch als misslungenen Hilferuf, als Ruf nach mehr Zeit, als Ruf nach einer flexibleren Vergütung interpretieren.

Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Arzt für die Behandlung eines kleinen Kindes so viel Zeit hat, wie er eben braucht. Es sollte selbstverständlich sein, dass für ein Beratungsgespräch verunsicherter Eltern mehr Zeit zur Verfügung steht als ein paar dürftige Minuten, in denen der Arzt auf die Uhr schaut. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Termin auch mal ein paar Minuten länger dauern darf, weil Dinge zum besseren Verständnis mehrmals erklärt werden.

Die Idee einer Vergütung nach Aufwand statt nach Pauschale ist nicht neu. Aber vielleicht zeigt die Geschichte aus Kirchheim, dass es Zeit wäre, endlich ernsthaft darüber nachzudenken.

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