Ära der Unsicherheit

„Alles gut“ ist eine schreckliche Floskel - was wir in Krisenzeiten brauchen, ist Zuversicht

Hans Böller

Redakteur der Nürnberger Nachrichten

E-Mail zur Autorenseite

20.7.2024, 15:00 Uhr
Friedensliebe, Verantwortungsbewusstsein und Hilfsbereitschaft verbinden eine große Mehrheit der Menschen.

© Fernando Gutierrez-Juarez/dpa Friedensliebe, Verantwortungsbewusstsein und Hilfsbereitschaft verbinden eine große Mehrheit der Menschen.

Auf dem Riesenhaufen von Alltagssprachmüll liegt die Floskel seit Jahren ganz oben. "Alles gut." Der große ostwestfälische Dichter Wiglaf Droste hat schon 2019 diese Zeilen geschrieben: "Immer, immer ‚Alles gut‘, bis das Hirn im Hintern ruht, sagen alle: ‚Alles gut‘!" Für Droste war nicht alles gut, er starb im selben Jahr in seiner Wahlheimat, dem fränkischen Pottenstein. Die Phrase lebt.

Jeder Mensch lernt schon als Kind, dass nicht immer alles gut ist und später, dass notorische Pessimisten bloß lange genug warten müssen, um sich regelmäßig bestätigt zu sehen – um den Preis einer verlorenen Lebensfreude. Aber man muss kein so sensibler Feingeist wie Wiglaf Droste sein, um auch die ewig aufgeräumten Optimisten, die glauben, ihnen gehöre die Welt, als belästigend zu empfinden. Ein Leben ohne gelegentliche Anflüge von Weltschmerz wäre eine trostlose Vorstellung. Die Welt gehört genauso den Ängstlichen, Traurigen und Suchenden.

Zuversicht steht für Vertrauen

Der Optimismus hat eine stille, schöne Schwester. Die Zuversicht. Im Rahmen einer Serie hat diese Redaktion sie in den vergangenen Wochen gesucht und mit Menschen gesprochen, die dem Leben mit Zuversicht begegnen und die damit Mut machen, sich selbst und anderen. Es war eine große Freude, und je länger wir gemeinsam darüber nachdachten, was besser geworden ist in dieser manchmal traurigen Welt, desto mehr fiel uns ein.

Die Etymologie, die Lehre von der Wortherkunft, ist ein arg spekulatives Geschäft, im Fall der Zuversicht lohnt es aber. Das Wort entstand in einer Zeitenwende, der zum zweiten Jahrtausend unserer Zeit, als Visionen vom Weltuntergang und dem Jüngsten Gericht die Menschen beunruhigten. Zuversicht sollte schützen: vor Angst – und vor falschen Hoffnungen; Zuversicht meinte den Blick nach vorne, nicht mit plattem Optimismus, sondern, bei ungewissem Ausgang, mit dem Willen, die Zukunft anzunehmen und zu gestalten.

Dem einzelnen Menschen und der Menschheit ist das sehr oft sehr gut gelungen, so wurde aus der Zuversicht ein Handlungsantrieb, eine Energiequelle: für den einzelnen Menschen in Lebenskrisen, für die Menschheit im Ganzen im Umgang mit existenziellen Bedrohungen. Zuversicht steht für das Vertrauen in die eigenen Fertigkeiten, für den Mut, unter schwierigen Bedingungen zu handeln.

Wie das Wissen und die Fähigkeit zur Empathie gehört die Zuversicht deshalb zu den wichtigsten immateriellen Ressourcen der Menschheit. Wer in der Zeitenwende der Gegenwart – geprägt von Kriegen, Terror, Radikalismus, dem Klimakollaps – mit Sorge und Zuversicht auf die Welt blickt, sieht, wie gewaltig die Herausforderungen sind, aber auch, dass alles angelegt ist für denkbare Lösungen: Friedensliebe, Verantwortungsbewusstsein und Hilfsbereitschaft verbinden eine große Mehrheit der Menschen.

Verwandte Themen


0 Kommentare