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Von Architektur und einem Nürnberger, der nach New York zog: Eine Häusergruppe erzählt Geschichte

29.10.2024, 19:00 Uhr
Obwohl durch unmögliche neue Fenster misshandelt, wirkt die abstrahierte klassische Gliederung der Uhlandstraße 13 noch heute.

© Sebastian Gulden Obwohl durch unmögliche neue Fenster misshandelt, wirkt die abstrahierte klassische Gliederung der Uhlandstraße 13 noch heute.

Es sind vier Mietshäuser, drei an der Uhlandstraße (Nr. 11, 13 und 15) und eines an der Schweppermannstraße (Nr. 39), erbaut zwischen 1928 und 1931. So weit, so gewöhnlich. Ziemlich gewöhnlich für jene Zeit ist auch, dass der Architekt Conrad Bohrer nicht nur Planer, sondern auch Bauherr der Häuser war. Gewöhnlich sind ferner die Grundrisse mit ein bzw. zwei unterschiedlich großen Wohnungen pro Etage.

Ungewöhnlich in Nürnbergs Hauslandschaft ist aber die Art und Weise, wie Bohrer die straßenseitigen Fassaden der Gebäude gestaltete: Die traditionellen achsensymmetrischen Aufrisse mit axial angeordneten Fenstern und Türen kleidete er in die Formen des Expressionismus, reduzierte klassische Elemente wie die Treppengiebel, Kasten- und Polygonalerker auf ihre Grundform und schmückte sie mit kristallinen Konsolen und langgezogenen Blendfeldern, die den mächtigen Bauten eine gewisse in die Höhe strebende Anmutung und Eleganz verleihen. An der Uhlandstraße 13 findet sich sogar das Motiv der kolossalen Pilasterordnung in abstrahierter Form.

Die originale Haustür der Uhlandstraße 15 zeigt mit ihrem in querrechteckige Felder geteilten Fenster die Mode der 1920er und 1930er Jahre an.

Die originale Haustür der Uhlandstraße 15 zeigt mit ihrem in querrechteckige Felder geteilten Fenster die Mode der 1920er und 1930er Jahre an. © Sebastian Gulden

Vervollständigt wird das Bild von originalen Details der Ausstattung wie den Haustüren und den filigranen Balkongeländern aus Bandeisen, wobei die Häuser hier nach 1945 einige Federn zu Gunsten moderner Einbauten lassen mussten. Den Denkmalschutz hat das nicht abgehalten, die Bauten sämtlich als Einzeldenkmale in die Denkmalliste einzutragen.

Wegen ihrer ungewöhnlichen Formgebung wirken die Mietshäuser Uhlandstraße 11-15 (von links) wie die imposante Szenerie eines Stummfilms der 1920er Jahre.

Wegen ihrer ungewöhnlichen Formgebung wirken die Mietshäuser Uhlandstraße 11-15 (von links) wie die imposante Szenerie eines Stummfilms der 1920er Jahre. © Sebastian Gulden

Auch die Schweppermannstraße 39 ist durch Modernisierungen beeinträchtigt. Die originale Architektur in abstrahierten gotischen Formen kommt aber immer noch voll zum Tragen.

Auch die Schweppermannstraße 39 ist durch Modernisierungen beeinträchtigt. Die originale Architektur in abstrahierten gotischen Formen kommt aber immer noch voll zum Tragen. © Sebastian Gulden

Und ungewöhnlich ist auch der Lebenslauf des Architekten Conrad Bohrer: Geboren 1871 in eine Zimmermannsfamilie in Gaustadt, war er in seiner Jugend begeisterter Anhänger des noch jungen Radsports und räumte als Mitglied im Bamberger Velociped-Club bei Amateurrennen Preise ab. Bevor er seine Tätigkeit auf Nürnberg ausdehnte, zeichnete Bohrer um die Jahrhundertwende für den Entwurf mehrerer Mietshäuser in Bamberg verantwortlich. Nachdem er 1908 in der Noris sein Bautechnisches Büro angemeldet hatte, entstand bald darauf nach seinem Plan das Mietshaus Äußere Bayreuther Straße 53 noch im Reformstil mit Jugendstil-Elementen, das leider inzwischen durch eine potthässliche Fassadendämmung verunstaltet ist.

Den Nürnberger zog es nach New York City

Klingt nach einer vielversprechenden Karriere, doch Bohrer zog es in die weite Welt: 1911 wagte er mit seiner Frau Elisabeth den Weg über den großen Teich. Die beiden ließen sich in New York City nieder, bekamen 1916 eine Tochter namens Louisa, und Bohrer arbeitete fortan als Angestellter wohl in einem örtlichen Architekturbüro.

Aber nicht nur: Regelmäßig kehrte er mit Schiff und Bahn in die alte Heimat zurück und hatte in Nürnberg bis zuletzt Wohnung und Atelier im Erdgeschoss des Hauses Ziegelgasse 39 (jetzt Aufseßplatz 21). Hier hat er wohl auch die Pläne für die Bauten an der Uhland- und Schweppermannstraße gefertigt. Das Gebäude ging 1945 im Bombenkrieg unter und wurde in den 1970er Jahren mit einem Geschäftshaus überbaut.

Conrad Bohrer reiste dritter Klasse nach Amerika zurück

1936 dann fuhr er, inzwischen verwitwet, wieder von Nürnberg nach Bremen und reiste von dort dritter Klasse an Bord des Hapag-Passagierschiffes New York zu seinen Kindern und Enkeln in die zweite Heimat. Es sollte seine letzte Transatlantikfahrt sein: Am 11. Dezember 1937 ist Conrad Bohrer gestorben. Auf seinem Grabstein auf dem Calvary Cemetery in Woodside, einem Viertel des New Yorker Stadtteils Queens, steht "Our Beloved Father" – "Unserem geliebten Vater". Ob seine Nachfahren wohl um das gewöhnliche, aber auch sehr ungewöhnliche Werk Conrad Bohrers im fernen Deutschland wissen?

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