
Markantes Eckhaus
Kriegsschaden, Kostbarkeiten, schrille 70er: Spannende Baugeschichte in Nürnberg-Rennweg
Unser heutiges historisches Foto von 1913 war uns eine Lehre: Es lehrte uns, die wir glauben uns so gut in Nürnbergs Stadtbild auszukennen, dass auch wir manch Offensichtliches übersehen. Denn alle Häuser, die man auf der Aufnahme sieht, existieren noch heute, und zumindest das markante Eckhaus in der Bildmitte recht nahe am originalen Zustand.
Wären das verräterische Straßenschild, die Gaststätten- und Ladenbeschriftungen nicht, hätten wir zunächst nicht einmal sicher sagen können, dass diese Bauten im Nürnberger Stadtteil Rennweg stehen. Sie stammen allesamt aus einer Epoche, in der das Anknüpfen an die örtliche Bautradition keine große Rolle spielte. Es war die Zeit, in der sich die Sulzbacher Straße langsam, aber sicher von einer locker bebauten Vorstadt- zu einer stark verdichteten großstädtischen Ein- und Ausfallstraße wandelte.

Maurermeister Andreas Geist, der hier als Bauherr und Planer in Personalunion auftrat, errichtete die Häuser Sulzbacher Straße 95/97 (früher Nr. 33/35) 1878 als zusammengehöriges Paar mit spiegelbildlichem Außengrundriss und Mansarddächern mit Zwerchhäusern und Giebelgauben. Die Sandsteingliederung in Formen des späten Klassizismus war der optischen Würze wegen in den Details etwas verändert und wirkte ein wenig flach und schematisch, wenn auch nicht uninteressant. Diesem Duktus folgte Geist, als er bald darauf das Ensemble um das Haus Martin-Behaim-Straße 3 ergänzte. Der Lage an der Hauptstraße entsprechend waren zum Zeitpunkt der alten Aufnahme in allen Erdgeschossen Gastronomie und Gewerbe beheimatet: die „Sulzbacher Bierhalle“, die Molkerei Börschlein, die Kurz-, Woll- und Weißwarenhandlung Scherm und die Kolonialwarenhandlung Neubauer.
Von der historischen Gestaltung sind am Haus Nr. 97 heute nur noch die Traufgesimse und Ecklisenen vorhanden. Vielleicht aus modischen Gründen, vielleicht auch wegen unschöner Schäden durch Bomben- und Granatsplitter, hat man die Fassaden nach 1945 mit einer etwas eintönigen Haut aus ockerfarben gestrichenem Strukturputz mit weißen Faschen um Türen und Fenster versehen.

Die Nr. 95 hingegen hat ihr Aussehen wohl in Folge eines Kriegsschadens, derer es in dieser Gegend viele gab, völlig verändert. Allein die Proportionen und das Raster der Obergeschossfenster erinnern daran, dass sich unter der monolithischen Gebäudehülle ein Altbau des 19. Jahrhunderts verbirgt. Der Ladeneinbau aus den 1970er Jahren mit glasierten Relieffliesen, Eingang und Schaufenstern mit breiten, abgerundeten lackierten Stahlrahmen gehört gewiss zu den schrillsten seiner Zeit im Stadtgebiet und verdient eigentlich schon Denkmalschutz. Die Fachhandlung für Elektronik und Elektrogeräte „Radio Blank“ besteht schon viel länger und wird 2027 ihr 100-jähriges Bestehen feiern.

Apropos Schaufenster: Hier hält das Haus Sulzbacher Straße 97 einen kostbaren Schatz parat. Hier nämlich hat der Hauseigentümer – und das ist in Nürnberg leider mehr als ungewöhnlich – die wunderbaren Verblendungen aus der Zeit um 1900 mit prunkvollen Pilastern, Gesimsen und Reliefschmuck bis heute belassen; nur die Bekrönungen fehlen.
Einen herben qualitativen Abstieg stellt schließlich die Martin-Behaim-Straße 3 dar: Nachdem man bereits nach dem Krieg die Fassade zur Straße vereinfacht hatte, wurde der Bau in jüngster Vergangenheit mit einer hässlichen, krachweißen Außendämmung und überdimensionierten Gauben mit Titanzinkblech-Einhausungen verunstaltet.
Lieblose Schuhschachtel-Renovierungen hat kein Stadtbild verdient
Bei aller Wertschätzung für die unterschiedlichen Zeitschichten einer historischen Gebäudegruppe: Solche lieblosen Schuhschachtel-Renovierungen hat kein Stadtbild verdient. Wer weiß? Vielleicht findet sich dereinst ein Bauherr mit Geld und Geschmack, der den Häusern Sulzbacher Straße 97 und Martin-Behaim-Straße 3 ihren historischen Schmuck zurückgibt. Was wäre das dann für ein Ensemble vorstädtischer Architektur der Vor- und Nachkriegszeit! Gewiss eines, das man nicht so leicht übersieht.
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