Zerstörungswut trifft Ästhetik
Graffiti auf Sandstein, ein Käpt´ n mit halber Pfeife: Wie Vandalismus Nürnbergs Kultur verschandelt
27.6.2024, 19:00 UhrAggression und der Wunsch nach Anerkennung sind per se nichts Schlechtes. Bloß sollte beides sich nicht zum Schaden der Allgemeinheit Bahn brechen. Dass manche Zeitgenossen das nicht so recht im Griff haben, zeigt sich leider auch im Nürnberger Stadtbild.
"Es muaß a Bleede geb‘n, ned? Aber es werd‘n oiwei mehra…", stellte der allseits bekannte und beliebte Meister Eder schon in den 1980er Jahren in gewohnt abgeklärter Manier fest. Wenn man tagtäglich im Stadtbild sieht, wo die "Bleedn" mal wieder gewütet haben, kommt man nicht umhin, ihm recht zu geben. Nun ist Vandalismus immer ärgerlich, verursacht Frust und Kosten und sieht meistens ziemlich hässlich aus. Dass wir uns richtig verstehen: Vandalismus ist immer bescheuert, bloß ist der sogenannte Kulturvandalismus besonders unverständlich.
Manch Missetat lässt einen da wirklich am geistigen Zustand der Zeitgenossen zweifeln: Da beschmiert einer mit Spraydose, Filzstift und maximalem künstlerischen Unvermögen eine alte Sandsteinfassade oder eine Jugendstil-Haustür mit seinen Tags oder, noch übler, mit Hakenkreuzen und Sigrunen. Neben rechtsextremen Schwachmaten versuchen sich Aktivisten mit durchaus hehren Zielen an der "Fassadenverschönerung".
Graffiti erweisen der Sache einen Bärendienst
Man muss da aber schon die Frage in den Raum stellen, ob man der guten Sache nicht einen Bärendienst erweist, wenn man jene Botschaft ausgerechnet da platziert, wo die sie ob des Ärgers um den entstandenen Schaden augenblicklich in den Hintergrund rückt.
Ein anderer versucht sich mit Schablone und Spraydose als Banksy, leider bloß mit überschaubarem Talent und an den falschen Stellen. Wieder ein anderer schnippt seine Zigarettenkippen in die Liegewiese oder in den Sandkasten auf dem Spielplatz, wieder ein anderer zerdeppert seine leere Bierbottel im Brunnen.
Sperrmüll landet immer öfter neben dem Altglascontainer – die Müllkutscher sollen das versiffte und vom Regen durchweichte Zeug doch bitte auch gleich mitnehmen, wenn sie schon da sind. Und eine über 100 Jahre alte, etwas rostige Zaunbekrönung aus Eisen ist bei überschäumender Aggression ganz schnell abgebrochen, aber nur sehr schwer wieder anzubringen. Unser Leser Walter Rücker sieht solche Schwachheiten Tag für Tag und hat begonnen, sie mit der Kamera zu dokumentieren.
Nicht nur für Hauseigentümer und -bewohner, die Stadt und den Passanten sind solche Dinge mehr als ärgerlich. Denn die Mehrheit der Nürnbergerinnen und Nürnberger mag es gar nicht leiden, wenn schöne Dinge beschädigt oder gar zerstört werden.
Und: Gerade die Schmierereien führen immer wieder dazu, dass weniger reflektierende Zeitgenossen und Stammtischnörgler lautstark alle Urban Artists und Graffitikünstler mit den Vandalen in einen Topf werfen, obwohl die absolute Mehrheit von ihnen im Leben nicht auf die Idee käme, historische Fassaden, Mauern oder Denkmäler zu besprühen. Andere wiederum schieben gerne der angeblich so andersartigen Mentalität zugewanderter Mitmenschen die Schuld zu, als ob der Rest der Welt gerne im Dreck vegetieren würde.
Und warum das alles? Dazu gibt es verschiedene Meinungen. Die einen machen Sachen kaputt, weil sie nicht in der Lage sind, ihre Wut anderweitig abzubauen. Die anderen denken, sie seien die coolsten Socken überhaupt, wenn sie nach King-Kong-Manier alles kurz und klein schlagen. Dann gibt es die Zugedröhnten und Besoffenen, die meistens gar nicht mehr überschauen, was sie tun. Es gibt die Revolutionsromantiker, die meinen, dass Aufmerksamkeit für politische Botschaften weh tun muss, um zu verfangen. Und dann gibt es die, denen einfach alles egal ist.
Schaut man sich Tag für Tag in der Stadt um und sieht, wie lieblos manche Mitbürgerinnen und Mitbürger mit dem öffentlichen Raum und dem Eigentum anderer Menschen umgehen, wünscht man sich doch ein wenig mehr Miteinander statt Gegeneinander.
Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.deAufwendig recherchierte Artikel wie dieser sind in der Regel nur für Abonnenten lesbar – als besonderes Geschenk stellen wir diesen Text aber allen Nutzern zur Verfügung. Alle exklusiven Inhalte lesen Sie hier auf NN.de.
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