Georgiens anregende Metropole
Hippes Städteziel in Europa: Tiflis - die Stadt, die wieder aufersteht und Trends setzt
15.3.2024, 19:55 UhrHoch über Tiflis, das die Georgier Tbilisi nennen, thront seit 1958 die „Mutter Georgiens“, eine 20 Meter hohe Aluminium-Statue. Die barbusige Amazone macht eine klare Ansage: Den Freund empfängt sie mit einem Weinkelch in der linken, vom Herzen kommenden Hand, in der rechten hält sie für den potenziellen Feind das Schwert bereit. Eine Seilbahn schwebt aus dem Talkessel der Stadt über den Fluss Mtkvari zum Symbol des georgischen Unabhängigkeitswillens hinauf. Beim Blick aus der Gondel sticht die moderne Architektur der Metropole als ins Auge, allem voran die Friedensbrücke.
Die sanft geschwungene Glas-Stahlkonstruktion, die sich über den Fluss spannt, ist nach Einbruch der Dunkelheit, wenn tausende LED leuchten, ein beliebter Treffpunkt - und ein noch beliebteres Fotomotiv. Unumstritten war die 2010 eröffnete, 150 Meter lange Fußgängerbrücke auch aufgrund der hohen Baukosten nie. „Always Ultra" wird sie wegen ihrer Form einer Damenbinde von den Einheimischen spöttisch genannt.
Auch für die „Public Service Halls“, deren weiße, überlappende Dächer an Blütenblätter erinnern, haben sie hier einen Spitznamen: „Mushrooms“, Pilze. Das 2012 eröffnete Bürgerzentrum scheint zumindest seinen Nutzen zu erfüllen. „Man kann hier einen neuen Personalausweis beantragen und ihn zwei Stunden später am Drive-through-Fenster abholen“, weiß Stadtführerin Mariam Isakadze. Zu den während der Amtszeit von Präsident Mikhail Saakashvili (2004-2013) entstandenen Bauprojekten zählen auch die riesigen Glasröhren, die wie Muränen mit aufgerissenen Mäulern am Ostufer lauern. Sie waren als Konzert- und Ausstellungshallen geplant, stehen aber bis heute leer.
Viele der prächtigen Bauten verfallen, doch nun wird saniert
Mariam Isakadzes Lieblingsviertel heißt Sololaki. Das Quartier unterhalb der „Mutter Georgiens“ war die bevorzugte Wohngegend der Oberschicht, die im 19. und 20. Jahrhundert hier ihre Jugendstilvillen mit schmiedeeisernen Balkonen, aufwändig verzierten Fassaden und großzügigen Treppenaufgängen bauen ließ - Tiflis bekam so den Beinamen „Paris des Kaukasus“. Mittlerweile bröckelt der Putz, bahnen sich Risse ihren Weg, viele der herrschaftlichen Häuser wurden dem Verfall preisgegeben.
Nicht so das Schriftstellerhaus („Writers’ House of Georgia“), das seit der Sanierung 2013 in neuem Glanz erstrahlt. Das 1905 erbaute Gebäude ist ein beeindruckendes Beispiel der Art-Nouveau-Architektur der Stadt. Heute beherbergt es eine Residenz und ein Restaurant, dessen Garten ohne Übertreibung als der lauschigste aller lauschigen Innenhöfe bezeichnet werden kann.
Sololaki ist auch das Viertel, in dem die 1983 geborene deutsch-georgische Autorin Nino Haratischwili aufgewachsen ist. Ihr 2014 erschienener und in 25 Sprachen übersetzter Best- und Longseller „Das achte Leben (Für Brilka)“ erzählt die Geschichte einer georgischen Familie - vom Zarenreich bis in die Nachwendezeit. "Jeder in Georgien kennt das Buch", sagt Guide Mariam. In ihrem Geschäft sei das ohnehin ein Muss, denn immer mehr Touristen möchten die Schauplätze der Saga in Tiflis sehen. „Wir Georgier platzen immer vor Stolz, wenn eine Landsfrau oder ein Landsmann weltweit bekannt wird!“, erzählt die 35-Jährige schmunzelnd.
400 Euro verdienen die Menschen hier im Schnitt
Die von Platanen gesäumte Rustaveli Avenue ist Prachtstraße und Lebensader der 1,3-Millionen-Einwohner-Metropole. Hier tobt der Verkehr auf sechs Spuren, hier sieht man und wird gesehen, hier sitzt das Großmütterchen mit seinem Blumenstand an der Straßenecke. Als erste Adresse im Viertel gilt das „Stamba“. Das ehemalige Verlagshaus ist heute Restaurant, Bar, Coworking Space und Hotel. Die Zimmer haben mindestens 50 Quadratmeter, inklusive Hi-Fi-System und frei stehender vergoldeter Messing-Badewanne. Eine Nacht im Doppelzimmer kostet um die 300 Euro - was in Georgien fast einem Monatsgehalt entspricht.
„Das mittlere Einkommen liegt bei 400 Euro“, sagt Mariam. Viele Georgier haben Zweit- und Drittjobs, so wie sie. Neben ihrer Tätigkeit als Stadtführerin arbeitet Mariam in einem Agrotourismus-Projekt und gibt am Abend Privatstunden in Politik und Literatur. Der Zusammenhalt ist groß, das sei schon immer so gewesen. Wer mehr hat, gibt was ab. Sie selbst lädt jüngere Verwandte oft zum Essen ein oder ins Theater.
Im Tourismus sieht sie eine große Chance, die wirtschaftliche Situation des Landes und der Menschen zu verbessern. „Wir sind kein großes Land, aber haben viel Potenzial: tolle Strände am Schwarzen Meer, wunderschöne Berge, unzählige historische Stätten, eine außergewöhnliche Küche und den unvergleichlichen Wein“, meint sie und erzählt die Lieblingslegende aller Georgier.
Als Gott die Länder verteilte und alle Völker dafür zusammenkamen, feierten die Georgier gerade mal wieder ein Fest. Sie tranken und sangen, vergaßen ihre Verabredung mit Gott - und kamen zu spät. Doch der war von ihrer Fröhlichkeit und ihrer Lebensfreude so gerührt, dass er ihnen das Land schenkte, das er eigentlich für sich reserviert hatte.
Museum für Bildende Kunst zeigt Banksy-Ausstellung
Nur 100 Meter vom „Stamba“ entfernt befindet sich das Georgische Museum für Bildende Kunst, das von George Jokhtaberidze und Manana Shevardnadze, der Tochter des Ex-Präsidenten Eduard Shevardnadze, gegründet wurde. Die ständige Ausstellung zeigt mehr als 3500 Kunstwerke von 78 bekannten georgischen Künstlern, die in den letzten 80 Jahren populär waren.
Am 17. Oktober 2023 wurde hier die Sonderausstellung „Banksy: Birth of an Icon“ eröffnet, die neben zum Teil bisher unveröffentlichten Fotos auch einige Originalwerke des britischen Street-Art-Künstlers zeigte. Der langjährige Manager und Begleiter Banksys, Steve Lazarides, kuratierte die Ausstellung und war bei der Vernissage anwesend. Auch einige Arbeiten der Street-Art-Künstler, die in den Straßen der Stadt aktiv sind, sind Teil der Schau. Obwohl erst 2009 die ersten Schablonen-Graffitis auftauchten, hat sich die Stadt zwischenzeitlich zur angesagten Streetart-Metropole entwickelt.
Ein Paradies für Fans von Street-Art und Murals, deren Urheber sich insbesondere der tristen Betonwände der Sowjet-Architektur annehmen, ist die Gegend um die „Fabrika“. „Das war bis 1990 eine Nähfabrik", erklärt Mariam und zeigt auf das riesige Flachrelief aus der Zeit der UdSSR über dem Eingang. Als die „Fabrika“ im Juli 2016 eröffnet wurde, war die Idee, Ausländern das Ankommen in Tiflis zu erleichtern und einen Ort zu schaffen, an dem sie Einheimische treffen. Das Konzept ging auf. Heute ist die „Fabrika“ der "place-to-be", wenn man jung und hip ist. Das Kreativzentrum mit Hostel, Kneipen, Shops, Cafés und Barbershop zieht mit einem außergewöhnlichen Kulturprogramm ein internationales Publikum an.
Schwaben gründeten einst Neu-Tiflis
Direkt um die Ecke liegt Neu-Tiflis, das von aus Schwaben stammenden Siedlern gebaut wurde, die als Handwerker und Kaufleute arbeiteten. Die Kolonisten errichteten eingeschossige Giebelhäuser parallel zum Fluss Mtkvari, rasterartig rechts und links eines breiten Weges. Alle Gebäude entlang der Agmashenebeli Avenue wurden 2016 restauriert. Das Viertel wirkt - anders als andere - akkurat und aufgeräumt, eben immer noch ein bisschen deutsch. Gäbe es einen Preis für die sauberste Fußgängerzone, Neu-Tiflis bekäme ihn. Übrigens: Was alle Stadtteile in Tiflis miteinander verbindet, ist das verlässliche und kostenlos überall verfügbare W-LAN-Netzwerk namens „Tbilisi loves you“. Was sagt man dazu? Ich dich auch.
Mehr Informationen:
Diese Reise wurde unterstützt von der Georgian National Tourism Administration, Tel.: (00 995 - 32) 243 69 99, https://gnta.ge, info@gnta.ge
Anreise: Lufthansa fliegt in knapp vier Stunden direkt von München nach Tbilisi, www.lufthansa.com
Wohnen:
Sheraton Hotel, https://www.marriott.com/en-us/hotels/tbssi-sheraton-grand-tbilisi-metechi-palace/overview/
Stamba, https://stambahotel.com/
Stadtführerin
Mariam Isakadze, Tel.: (00 995 - 5) 55515592, mariam.isakadze@yahoo.com
Beste Reisezeit:
Mai bis Oktober.
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