Auf in die Bergdörfer!

Geheimtipp Ratscha: Natur, Wein und Herz im Westen Georgiens

Kerstin Wolters

Online-Redaktion

E-Mail zur Autorenseite

15.3.2024, 19:00 Uhr
Misha Elbakidze (Mitte) ist der Tamada. Mit seinen Freunden singt er herzzereißende Lieder über Ratscha und die Liebe.

© Kerstin Wolters, NNZ Misha Elbakidze (Mitte) ist der Tamada. Mit seinen Freunden singt er herzzereißende Lieder über Ratscha und die Liebe.

„An diesem Ort geht mein Herz auf“, sagt Misha Elbakidze und blickt auf das große Holzhaus, das seine Urgroßeltern vor 130 Jahren gebaut haben, auf die schneebedeckten Gipfel des Großen Kaukasus in der Ferne und die in Herbstfarben leuchtenden Buchenwälder in den umliegenden Bergen. Im Tal braust der Rioni, Georgiens drittlängster Fluss, schäumend Richtung Schwarzes Meer.

Vor vier Jahren kehrte der 37-Jährige zu seinen Wurzeln zurück und wohnt seither mit seiner Familie oberhalb des kleinen Dorfes Tsesi auf 1000 Metern Höhe. Nur eine steile, holprige Piste führt zu dem abgelegenen Anwesen, die der Nissan Patrol dank Differentialsperre und Allradantrieb schaukelnd erklimmt. Im Winter aber, wenn der Schnee meterhoch liegt, kommt nur noch das Pferd als Transportmittel in Frage. Ratscha heißt diese dünn besiedelte Bergregion in Westgeorgien, die nur wenige Reisende ansteuern.

Mariam Margevelidze zeigt, wo sich die Qvevris verbergen - im Weinkeller, der auch etwas von einem Museum hat. 

Mariam Margevelidze zeigt, wo sich die Qvevris verbergen - im Weinkeller, der auch etwas von einem Museum hat.  © Kerstin Wolters, NNZ

Das will Misha Elbakidze ändern. „Georgien muss sich weiterentwickeln - in verschiedene Richtungen und eine davon ist der Tourismus“, glaubt er. Seine Heimat liegt ihm dabei besonders am Herzen. „Ich wollte immer etwas tun, was gut für Ratscha ist.“ Zwei Ferienhäuser mit Apartments und den für den Landstrich typischen Holzveranden hat er auf dem großen Grundstück errichtet. Vor einem Jahr kam der erste Gast, in diesem Sommer waren es 350. Mit „A place for your unforgettable vation“ (Ein Platz für deinen unvergesslichen Urlaub) wirbt Misha, der fließend Englisch spricht, auf Instagram für sein „Gentry House“.

Der Gast kommt von Gott, sagt man in Georgien. Misha und seine Freunde beweisen, dass das keine Floskel ist und tischen auf: frisches Obst und Gemüse, Schaschlikspieße vom Grill, Chkmeruli, das für die Region typische Hühnchen in Knoblauchsauce, Pkhali, eine Walnuss-Kräuter-Gemüse-Paste wahlweise mit Spinat, Roter Beete oder Bohnen, Auberginen mit Blütenknospen der Pimpernuss, mozzarella-artigen Sulguni und Khachapuri, eine Art Fladenbrot, das mit Käse, Ei oder Bohnen gefüllt daherkommt. „Alle Lebensmittel stammen aus der unmittelbaren Umgebung“, erklärt Misha. Gurken, Kartoffeln, Bohnen, Karotten und Rote Beete baut er selbst im Garten hinterm Haus an. Die Speisen - jede für sich ein Gedicht - haben die Frauen aus dem Dorf zubereitet.

Tamada heißt der Dirigent der Tafel

Die Supra, die Tafel oder auch das Festmahl, ist Teil der Kultur dieses stolzen wie trinkfreudigen Volkes. „Auf den Frieden!“, ruft Misha, der heute der Tamada, der Dirigent der Tischgesellschaft, ist. Er gibt vor, wann und worauf getrunken wird. Der Toast, oft Bonmot, Paradoxa oder Parabel, kann von den Gästen bekräftigt oder ergänzt werden. Noch viele Male - auf die Liebe, die Familie, die Vorfahren, die Völkerverständigung - werden die Trinkhörner mit georgischem Wein geleert. „Gaumarjos!“ - Prost!

Nach dem Essen bittet Misha - auch sein Job als Tamada - seine Freunde Temur und Devid um eine musikalische Kostprobe. Kurzerhand wird das Akkordeon ausgepackt und ein ergreifendes Lied angestimmt. Es geht um Liebe und um Ratscha, übersetzt Misha. Wem da nicht das Herz aufgeht…

Ratscha ist mit Lechkhumi das kleinste Weinanbaugebiet Georgiens. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen sind die Weine aus dieser Region sehr beliebt. Begrenzt durch den Großen Kaukasus mit dem Elbrus im Norden, begünstigt durch den Niederschlag, den die Wolken vom Schwarzen Meer bringen, herrscht an den Hängen der Rioni-Schlucht ein Mikroklima, das Reben und Trauben gut gedeihen lässt.

Die Spezialität der Region: Hühnchen in Knoblauchsoße

Die Spezialität der Region: Hühnchen in Knoblauchsoße © Kerstin Wolters

„Ich möchte den Wein aus Ratscha noch bekannter machen“, sagt Mariam Margvelidze, 24 Jahre alt, Winzerin. Die ehrgeizige junge Frau führt mit ihrer Familie ein Guesthouse, ein Boutique-Hotel und das Weingut „Margvelidze Winery“ in Sadmeli, einem kleinen Ort zehn Kilometer flussabwärts von Tsesi. „Alle waren froh, als ich mich entschieden habe, nicht Wirtschaft, sondern Weinbau zu studieren und die Familientradition weiterzuführen“, erzählt sie. Schon ihr Urgroßvater machte Wein - allerdings mehr zum Privatvergnügen. Mariam füllt nur 800 Flaschen ihres trocken ausgebauten Rotweins pro Jahr ab. Klasse statt Masse.

Weinherstellung ist immaterielles Kulturerbe

Der Weinbau in Georgien hat eine mehr als 8000 Jahre alte Tradition. Im Marani, dem 150 Jahre alten Weinkeller ihrer Familie, schiebt die junge Winzerin einen Deckel, der ein Loch im Boden verschließt, beiseite. „Hier wurden unsere Qvevris, getöpferte Tonamphoren, die 300 bis 500 Liter fassen, versenkt“, erklärt sie. Mit Stielen und Haut werden die Trauben gepresst und dann in die Qvevris gefüllt. Der Wein reift mehrere Monate ohne Zusätze.

Heraus kommt ein Naturwein, der im Fall eines Weißweins wegen seiner Farbe „Amber Wine“ genannt wird; Rotwein bekommt den Zusatz Qvevri. Wenn auf dem Etikett einer Weinflasche eine Amphore abgebildet ist, kann man sicher sein, dass es sich um Qvevri-Wein handelt. Die Herstellungsmethode wurde 2013 von der Unesco als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Über Geschmack lässt sich mit Georgiern übrigens nicht streiten. Hier gibt es nur guten und sehr guten Wein, sagt man.

Mehr Informationen: Diese Reise wurde unterstützt von der Georgian National Tourism Administration, https://gnta.ge, info@gnta.ge
Anreise: Lufthansa fliegt in knapp vier Stunden direkt von München nach Tbilisi, www.lufthansa.com
Wohnen: Gentry House, https://www.instagram.com/gentryhouse_racha/
Guesthouse Margvelidze, https://www.instagram.com/margvelidzewinery/
Beste Reisezeit: Mai- Oktober

Eines der Ferienhäuser, das Misha gemeinsam mit den Leuten aus dem Dorf gebaut hat.

Eines der Ferienhäuser, das Misha gemeinsam mit den Leuten aus dem Dorf gebaut hat. © Kerstin Wolters

Keine Kommentare