Momentaufnahme in Griechenland
Es gibt ein Leben nach den Touristen: Für Einheimische kehrt nach Saisonende wieder Ruhe ein
7.9.2024, 05:00 UhrFür gute griechische Gastgeber ist Reinlichkeit ein Gebot, und so soll auch Sand nur am Strand unter Touristenfüßen knirschen und nicht die ganze Promenade wie Puderzucker bestäuben. Aber Sandkörner heften sich bekanntlich beharrlich unter die salzwassernassen Fußsohlen der Badegäste, schmuggeln sich in die Rillen quietschender Gummilatschen, kleben zwischen Handtuchfasern und lösen sich erst dann wieder, wenn sie sich zielgenau auf das Promenadenpflaster fallen lassen können. Jemand muss die heimtückischen Körnchen von dort zurück auf den Strand scheuchen: Den Auftrag dazu hat Vasiliki erhalten. Ob Neben-, Haupt- oder Nachsaison, jeden Morgen um kurz nach fünf zieht sich die kleine Griechin die grellgelbe Arbeitsweste über, zwingt ihre grauen Locken unter eine Schirmmütze und greift zum Besen.
Vasiliki pfeift nicht bei der Arbeit. Sie singt auch nicht und seufzt nicht einmal, wenn sie nach einigen Metern aufblickt und abschätzt, wie viel Weg noch vor ihr liegt. Etwa alle zwanzig Meter erreicht sie einen der eisernen Mülleimer. Oben ragen Plastikflaschen, Eisbecher, Pizzakartons und manchmal auch kaputte Tauchflossen heraus. Unten tropft ein Mix aus Bier, Eiscreme, Limonade und Wassermelonensaft auf das Pflaster und lässt den Sand verklumpen, den Vasiliki doch locker und feinkörnig wieder auf den Strand fegen soll. Strandvögel sind die ersten, die ihre Zehen tapsend in den Sand drücken. Ihre Spuren sehen aus, als hätte Poseidon viele kleine Dreizacke an Land geworfen.
Als nächstes huschen die Reservierer zu den Liegestühlen. Schlag sechs Uhr geht das Kehrgeräusch von Vasilikis Besen im Brummen der beiden Tankwagen unter. Das ist das Signal für den Start in den neuen Badetag. Während die beiden 40-Tonner die Sickergruben der Strandcafés und Restaurants leer pumpen, beginnt das Seniorenschwimmen. Zwei Damen ziehen jeden Morgen brustschwimmend ihre Bahnen. Fehlten noch die Badekappen mit Blumenapplikationen und Kinnband und die Erinnerung an Rentner-Frühsport in bundesdeutschen Hallenbädern wäre perfekt.
Im Strandlokal riecht es nach Sonnenmilch und Souvlaki. Nackte Oberschenkel lösen sich schmatzend von kunstledernen Sitzkissen. Für Kleidung ist es einfach zu heiß. Die Gesichter manch englischer Gäste sind nach einem Vormittag am Strand schon so rot wie ihre Badehosen.
Wie einst die Plastikfolien-Ozeane der Augsburger Puppenkiste knistert das Meer leise vor sich hin. Der Surf- und Tretbootverleiher könnte jetzt schon Feierabend machen. Doch erst gegen sechs Uhr haben auch die letzten Urlauber ihr Sonnenstunden-Soll erfüllt. Der Strand ist nun wieder leer. In den Nostalgielaternen der Promenadenbeleuchtung kommen Energiesparröhren nur langsam auf Touren.
Ihr bläuliches Licht bringt die Fäden des einsetzenden Regens nicht zum Funkeln. Es ist ein erster kurzer Herbstschauer. In das Strohgelb der verdörrten Felder und Wiesen werden sich grüne Fäden weben, bis alles Land sich wieder in ein Blüten- und Kräuterparadies verwandelt hat.
Doch dann sind alle Touristen schon abgereist. Zum letzten Mal wird Vasiliki dann zurückgelassene Schnorchel und Sonnenmilchflaschen einsammeln. Die Liegestühle türmen sich dann bald nicht mehr am Strand, sondern lagern zwischen Betonwänden alter Bauruinen. Die Fischer holen ihre Kutter aus den Hafenbecken und stellen sie bis zum nächsten Jahr in ihre Vorgärten. Tretboote und Surfbretter überwintern dagegen auf Feldern und leuchten zwischen Olivenbäumen hindurch. Das Meer ist kein Entertainmentfaktor mehr. Jetzt hat es wieder nur eine einzige Aufgabe: Spiegel des Himmels zu sein. Am Tage reflektieren seine Wellen das Weiß der Wolken, nachts werden mit den Fluten Sterne an den Strand gespült.
Vasiliki geht auch im Winter jeden Morgen an den Strand. Auf einer Bank sitzend schaut sie zu, wie der Wind Sandkörner über die Promenade wirbelt. Ihre gelbe Weste hat sie zu Hause gelassen.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen