Derzeit wird die Nacht zum Tag

Der helle Wahnsinn: So magisch sind die Mittsommernächte in Schwedisch Lappland wirklich

Andrea Munkert

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13.7.2024, 07:00 Uhr
In den Mittsommernächten sind die Energie und die Freude spürbar: Alles gedeiht und blüht nach einem langen Winter. Die Einheimischen feiern die Nächte ohne Dunkelheit zum Beispiel beim Baden im Bottnischen Meerbusen oder auf üppigen Familienfesten.

© Andrea Munkert In den Mittsommernächten sind die Energie und die Freude spürbar: Alles gedeiht und blüht nach einem langen Winter. Die Einheimischen feiern die Nächte ohne Dunkelheit zum Beispiel beim Baden im Bottnischen Meerbusen oder auf üppigen Familienfesten.

Stille. Wind, der um die Ohren saust. Sonst nichts, kein Hamsterrad, das sich dreht. Unter den Füßen das Felsenmeer Luppioberget, das so sagenhaft wuchtig ist, dass hier bestimmt Trolle zu Hause sind. Und es klar wird, warum die Schweden an magische Wesen glauben, über die Großeltern ihren Enkeln seit Jahrtausenden berichten. Niemand kann sagen, ob es gerade Tag oder Nacht ist, in diesen Tagen zwischen Ende Mai und Mitte Juli. Ohne Uhr verschwimmt die Tageshelligkeit in der Nacht. Keine Ahnung, wie spät es ist - und: Es ist auch egal.

Himmel, zu viel Energie! Sie ist das große Gefühl in diesen Mittsommernächten, in denen die dauerhafte Dunkelheit am arktischen Polarkreis im Winter einer konstanten Helligkeit im Sommer weicht. Nicht nur die Menschen erwachen und gedeihen, sondern natürlich auch die sehr unberührte Natur Schwedisch Lapplands, das etwa die Größe Österreichs hat.

Hebt man den Blick von diesem massiven Felsenmeer in unmittelbarer Nähe des Polarkreises in die Weite, wandert das Auge über ein Meer aus Wäldern. Birken, Pinien, Fichten und Kiefern, Buchen, Eichen und Eschen. 70 Prozent des schwedischen Landes sind von Wald bedeckt. Bis zum Horizont ist es nur grün - nur durchbrochen vom Fluss Torne älv, der sich wie die Hauptschlagader über 410 Kilometer Länge durch Lappland zieht und die rund 2,3 Millionen Einheimischen mit Lachs und Weißfisch versorgt.

Wer Lust auf eine Extrarunde Sonne hat, wird in Schwedisch Lappland in rund 100 Nächten satt bedient. Die Mittsommernächte fühlen sich an wie ein unendlicher Sommertag - man kann die Nacht zum Tag machen. Neben dem Wunder der Mittsommersonne erlebt man in den üppigen Wäldern am arktischen Polarkreis jede Menge indigene Kultur und Aktivitäten.

In Övertorneå genießt man nachts um 1 Uhr diesen Blick vom Felsenmeer Luppioberget auf die Wälder, Seen und den Fluss Torne älv, der die Menschen hier mit Fisch versorgt, der in kleinen Ruderbooten oder traditionell mit Keschern händisch vom Ufer aus gefangen wird.

In Övertorneå genießt man nachts um 1 Uhr diesen Blick vom Felsenmeer Luppioberget auf die Wälder, Seen und den Fluss Torne älv, der die Menschen hier mit Fisch versorgt, der in kleinen Ruderbooten oder traditionell mit Keschern händisch vom Ufer aus gefangen wird. © Andrea Munkert

Denn Es ist nicht nur das Land der Lappländer, also der schwedischen Einheimischen, sondern seit Jahrtausenden das Gebiet der Lappen, die heute als Samen bekannt sind und im Rhythmus der Natur und des kalt-gemäßigtem Klimas leben. Sie ernähren sich von dem, was sie vor Ort finden - denn die Natur bietet alles für ein ausgewogenes Mahl. Auch für einen süßen Nachtisch aus Waldbeeren. Gerade die rein wild wachsenden Moltebeeren gelten bei den Samen als "Gold des Waldes", erklärt Pia Huuva, die zwar selbst keine Sámi ist, aber seit Jahrzehnten mit einem verheiratet ist.

Sie und ihr Mann Henry bieten Einheimischen und Auswärtigen die Gelegenheit, einen Deep Dive in die Wälder Schwedisch Lapplands zu erleben - und bei Waldbädern, Rentier-Kuscheln, Kochen in der Natur und in ihrem Huuva-Hideaway in Overtorneå. Pia Huuva ist eine geborene Erzählerin, die tiefe Einblicke in den arktischen Lifestyle, in die Kultur der Samen, geben kann, und unter anderem erklärt, wie sie sich rein von dem ernähren, was ihnen ihr Land beschert: Beeren, Rentier- oder Elch-Fleisch, Lachs oder Hering, Birken und vieles mehr.

Pia Huuva darf als Eingeheiratete und nicht gebürtige Sámi keine Tracht tragen. Ihr Mann Henry erklärt, dass die eingenähten Symbole auf Filz und Gürtel sowie sein Schmuck für Familienbande und Herkunft stehen.

Pia Huuva darf als Eingeheiratete und nicht gebürtige Sámi keine Tracht tragen. Ihr Mann Henry erklärt, dass die eingenähten Symbole auf Filz und Gürtel sowie sein Schmuck für Familienbande und Herkunft stehen. © Andrea Munkert

Besonders in der Mittsommernacht wird auch kulinarisch die Fülle der frühsommerlichen Natur entsprechend gefeiert. "Die Kultur der Samen ist es, nicht mehr aus der Natur zu nehmen, als man braucht", sagt Pia Huuva.

Irgendwo hier liegt auch der Ursprung der Midsommar-Nacht, die in Schweden die zweitwichtigste Feierlichkeit nach Weihnachten ist. In diesen lichten Tagen und Nächten, die von Ende Mai bis Mitte Juli dauern, ist ganz Schweden unterwegs. Vor allem direkt um die Sonnenwende, die Mittsommernacht, am 21. Juni: zu Mittsommerfesten, zur Familie, zu Freunden - sie feiern sie üppig. Und sie atmen dieses luxuriöse Licht, das einen ganz eigenen Zauber möglich macht. Nämlich: Dass die Zeit unendlich scheint.

Im Zentrum des Mittsommer-Dinners steht ein Teller aus jungen, gekochten Kartoffeln, flüssiger Butter (in die die Kartoffeln gedippt werden), Salat und knackigem Gemüse sowie selbst gemachten Mixed Pickles und in Rahm mit Zwiebeln eingelegtem Hering, der mit Kallix Löjröm Kaviar (Maränenkaviar) garniert ist - dazu wird mit Aquavit (auf Schwedisch "Snaps") angestoßen.

Im Zentrum des Mittsommer-Dinners steht ein Teller aus jungen, gekochten Kartoffeln, flüssiger Butter (in die die Kartoffeln gedippt werden), Salat und knackigem Gemüse sowie selbst gemachten Mixed Pickles und in Rahm mit Zwiebeln eingelegtem Hering, der mit Kallix Löjröm Kaviar (Maränenkaviar) garniert ist - dazu wird mit Aquavit (auf Schwedisch "Snaps") angestoßen. © Andrea Munkert

Diese unendlichen Sommertage sind wie ein Kuss von Mutter Erde, die uns zu einer Freifahrt einlädt. Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass hier im Winter das andere Extrem vorherrscht: Monatelange Dauerdunkelheit, die von den weltberühmten Polarlichtern erhellt wird. Im Sommer, an den Polartagen hingegen bleibt es konstant hell. Das Licht energetisiert die Menschen, unser Melatoninspiegel sinkt durch das konstante Licht am Firmament - wir sind allenfalls erschöpft von der Fülle dieses puren Lebens hier in Lappland. Euphorisiert, aufgetankt, voller Tatendrang.

In Lappland wird die Nacht zum Tag gemacht

Nachts wandern, paddeln, golfen, saunieren oder am Lagerfeuer Stockbrot grillen? Im sommerlichen Nordschweden gar nichts Ungewöhnliches - sie sind stolz auf die Besonderheiten ihrer Heimat. "Der Winter hier ist schön, aber der Frühling rund um Midsommar toppt alles", hört man sie sagen. Viele Lappländer waren draußen in der Welt, in Städten - und: Es zieht sie zurück in die eisigen Winter und die kühlen Sommer Lapplands. Muss wohl an der Magie in den Nächten dieses Landstrichs liegen - der helle Wahnsinn eben.

Mehr Informationen

Heart of Lappland, www.heartoflapland.com sowie www.visitsweden.de Anreise: Von Frankfurt oder München über Stockholm nach Luleå (zum Beispiel mit Scandinavian Airline), Mietwagen direkt am Flughafen.

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