Crossover unter Strom
Im Fahrbericht: Elektrischer Nissan Ariya
17.2.2023, 23:17 UhrWie er aussieht: Der Nissan Ariya ist ein weiterer Vertreter der beständig wachsenden Population elektrischer Crossover. Mit einer Mittelklasse-Länge von 4,60 Metern trifft er auf Wettbewerber wie VW ID.4/ID.5, Skoda Enyaq oder Hyundai Ioniq 5. Technisch basiert der noch neue Stromer auf der sogenannten CMF-EV-Plattform der Renault-Nissan-Allianz, wir erwähnen den kryptischen Buchstaben-Code, weil er auf die Verwandtschaft zum elektrischen Renault Mégane E-Tech Electric hinweist.
Hinsichtlich des Designs bemüht Nissan den Begriff des „zeitlosen japanischen Futurismus“, darunter hat man sich eine Karosserie von schnörkelloser Modernität vorzustellen, mit hoher, steil stehender Front und schmalen LED-Linien, einer coupéhaft abfallenden Dachlinie und einem prägnanten Heck, das von einer durchgehenden Lichtleiste gequert wird. Optional lackiert Nissan den Ariya zweifarbig, das Dach ist dann schwarz, der Aufpreis beträgt mindestens 1200 Euro.
Wie er eingerichtet ist: Nissan ist bestrebt, den Ariya im Premiumsegment zu etablieren. Das merkt man: Materialgüte und Verarbeitungsqualität sind über jeden Zweifel erhaben, Teile des Armaturenträgers wurden mit einem veloursartigen Stoff überzogen, das wirkt wohnlich. Lob verdienen auch die bequemen Sitze mit Kühl- und Heizfunktion. Als praktischen Einrichtungsgegenstand haben wir die elektrisch (!) verschiebbare Mittelkonsole kennengelernt.
Was der Ariya informationstechnisch zu sagen hat, kommuniziert er über ein digitales Fahrerinstrumentarium, das eine optische Einheit mit dem berührungsempfindlichen Zentralbildschirm bildet. Außerdem gibt es ein Head-up-Display. Als viertes Display an Bord fungiert der digitale Rückspiegel, mit dem allerdings nicht jeder klarkommt. Man kann ihn auch auf „analog“ umschalten.
Überhaupt hat Nissan den Spagat zwischen digitaler und analoger Welt, zwischen modern-reduziert und benutzerfreundlich ziemlich gut hinbekommen. Die Menüführung des Multimediasystems ist klar durchstrukturiert, es gibt einen klassischen Drehknopf zur Lautstärkenregelung, und als besonders elegante Idee ist es Nissan eingefallen, diverse Direkttaster in die Holzdeko zu integrieren.
Anlass zum Nörgeln geben nur das Mini-Touchfeld für Sitz- und Lenkradheizung im Zentralbildschirm (man braucht einen treffsicheren Finger, um es zu erwischen und ein scharfes Auge, um es überhaupt zu erspähen) sowie die ungünstig platzierten Taster für Fahrmodi und „e-pedal“ (dazu später mehr), die man ohne Sichtkontakt erfingern muss.
Wie viel Platz er hat: Mehr als genug. Bauartbedingt fällt die Sitzposition angenehm hoch aus, das Raumgefühl ist ein luftiges, elektroautotypisch steht kein Kardantunnel den Füßen im Weg, somit reist es sich auch auf dem rückwärtigen Mittelplatz vergleichsweise bequem. Der Kofferraum erreicht mit 468 bis 1775 Litern ein vernünftiges Maß, verstellbare Trennwände sorgen für Flexibilität, und die Ladekabel lassen sich in ein „Untergeschoss“ verräumen.
Mit einem zusätzlichen Staufach vorne kann der Ariya nicht dienen. Wir haben es nicht vermisst, es ist einfach komfortabler, die Heckklappe (elektrisch) zu öffnen als die Fronthaube.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der Nissan-Stromer bis zu 750 Kilogramm auf den Haken nehmen kann.
Was ihn antreibt: Ein Elektromotor mit 178 kW/242 PS und 300 Newtonmetern Drehmoment, der auf die Vorderachse wirkt und von einer 87-kWh-Batterie gespeist wird.
Nissan stellt parallel dazu eine Basisversion mit 160 kW/218 PS und 63-kWh-Akku bereit. Der Top-Ariya „e-4orce“ leistet 225 kW/306 PS, nutzt die größere Batterie und geht mit Allradantrieb ans Werk.
Wie er sich fährt: Weder sehen sich die Passagiere beim Beschleunigen von ungestümem Vorwärtsschub in die Sitze gepresst noch wird der Ariya als kurvendynamische Sportskanone eine Goldmedaille abbekommen, was freilich nicht bedeutet, dass ihn engagiert angegangene Kurven aus dem Konzept bringen würden. Der vorrangige Wesenszug des elektrischen Crossovers ist ein souverän-gelassener, ausgesprochen leise zieht er seiner Wege, es geht entspannt zu während der Fahrt. Den Fahrwerksingenieuren würden wir allerdings etwas mehr Komfort auf den Wunschzettel schreiben, beim Abrollen gibt sich der Ariya recht straff. Und beim Anfahren auf feuchter, vor allem aber verschneiter Fahrbahn haben wir die missliche Erfahrung gemacht, dass der Frontantriebsstrang schon mal vergebens um Traktion ringt.
Was die Rekuperation betrifft, hört der Ariya entweder auf das Kommando „B“ – einzustellen über den Getriebe-Wählhebel – oder die Ansage „e-Pedal“, das funktioniert via Tastendruck, die Intensität der Energierückgewinnung fällt dann besonders stark aus. Eine weitergehende Differenzierung – mancher Konkurrent praktiziert das mithilfe von Lenkrad-Paddles – ist nicht möglich. Zum effizienten „Segeln“ (Rollen ohne Stromverbrauch) lässt sich der Ariya ausschließlich im Eco-Fahrmodus animieren.
Zu den zahlreichen Assistenzsystemen gehört auch der „Pro Pilot“ mit seinen teilautonomen Fahrfunktionen. Der Adaptiv-Tempomat übernimmt Geschwindigkeitsbegrenzungen allerdings nicht automatisch, sondern bietet nur an, dies zu tun, der Fahrer muss das dann per Knopfdruck bestätigen.
Maximal fährt der frontgetriebene 2WD-Ariya 160 km/h schnell, den Sprint von 0 auf 100 km/h erledigt er in 7,6 Sekunden.
Wie weit er kommt: „Bis zu 523 Kilometer“ steht im Datenblatt. Das ist eine optimistische Perspektive. Das Thermometer zeigte während unseres Tests nur Temperaturen um den Gefrierpunkt beziehungsweise im einstelligen Plus-Bereich an, unter solch winterlichen Bedingungen verzeichneten wir zumeist eine Reichweite von rund 350 Kilometern.
Was er verbraucht: Ohne Ladeverluste errechneten wir einen Schnitt von 23,8 kWh/100 km. Auch wenn dies bei Kälte (also auch mit zugeschalteter Heizung) und einem nicht unerheblichen Autobahn-Anteil (110 bis 120 km/h) herausgefahren wurde – ein Kostverächter ist der Ariya nicht. Auf unserer Sparrunde haben wir ihn auf 17,1 kWh gedrückt. Ab Autobahn-Richtgeschwindigkeit geht es in Richtung der 30er-Werte.
Wie er lädt: An der Wechselstrom-Wallbox oder -Ladesäule dreiphasig und löblicherweise mit bis zu 22 kW. Die DC-Ladeleistung (Schnellladen) beziffert Nissan mit 130 kW. Das haben wir allerdings niemals auch nur annähernd erreicht. Oft „tröpfelten“ keine 40 kW ins Fahrzeug, wobei der Batterieladestand noch weit von 80 Prozent entfernt war, jener Marke mithin, ab der die Ladegeschwindigkeit stark absinkt. Wenn es gut lief, „tankte“ der Ariya kurzzeitig mit 70 bis 80 kW.
Optimieren lässt sich die Ladeleistung durch rechtzeitiges Vortemperieren der Batterie. Das geht beim Ariya, allerdings ist die entsprechende Funktion verhältnismäßig tief im Infotainment verborgen. Das navibasierte, automatische Vorkonditionieren – wenn also eine Ladestation als Ziel eingegeben wird – beherrscht der Ariya nicht.
Apropos Navi: Registriert das Fahrzeug, dass der Zielort mit dem vorhandenen Stromvorrat nicht zu erreichen ist, integriert es Ladestopps in die Route und benennt dabei den jeweils zu erwartenden Batterieladestand sowie die voraussichtliche Ladezeit. Manchmal ist uns der Plan allerdings nicht ganz schlüssig erschienen, und bei DC-Ladestationen hätten wir gern gewusst, welche Ladeleistung sie bieten, 50 kW sind schließlich eine andere Hausnummer als 150 kW.
Was er bietet: Für den frontgetriebenen Ariya mit 242 PS und 87-kWh-Akku muss es die bessere Ausstattungsvariante „Evolve Pack“ sein. Die Liste der serienmäßigen Details ist ellenlang. Nur ein paar Auszüge: Infotainment mit Navi und Google Assistant, Bose-Premium-Soundsystem, Rückfahrkamera plus 360-Grad-Monitor, Head-up-Display, Panoramadach, digitaler Innenspiegel, Zweizonen-Klimaautomatik, Sitz- und Lenkradheizung, elektrisch gesteuerte Heckklappe, adaptiver Fernlicht-Assistent, „Pro Pilot“ mit Adaptivtempomat und teilautonomen Fahrfunktionen. Bis auf Sonderlackfarben, größere 20-Zoll-Leichtmetallfelgen oder Nappaledersitze bleibt da nichts mehr, was extra bezahlt werden müsste.
Was er kostet: Nicht eben wenig. Mindestens 63.490 Euro sind anzulegen.
Was wir meinen: Der Nissan Ariya ist ein geräumiger, überaus hochwertig verarbeiteter elektrischer Crossover, der sich technisch ebenso solide wie ausgereift gibt. Nachbessern sollte Nissan noch beim Fahrkomfort, auch die Ladeleistung hat nicht den Erwartungen entsprochen. Verbrauch und Reichweite dürften sich bei milderen Temperaturen verbessern. Der hohe Preis zeugt von Selbstbewusstsein. So mancher Kunde würde wohl lieber auf das eine oder andere im opulenten Ausstattungs-Sortiment verzichten und dafür weniger bezahlen.
Die Daten des Nissan Ariya 2WD 87 kWh
Antrieb: Elektromotor, Vorderradantrieb, Eingang-Automatikgetriebe
Leistung: 178 kW/242 PS
Max. Drehmoment: 300 Nm
Batterietyp: Lithium-Ionen
Batteriekapazität: 91 kWh netto, 87 kWh brutto
Ladeanschluss: Typ 2, 3-phasig, bis 22 kW und CCS, bis 130 kW
Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 7,6 sec
Reichweite WLTP: 516 - 523 km
Normverbrauch WLTP: 18,7 – 18,5 kWh/100 km
Testverbrauch: 23,8 kWh/100 km
CO2-Emission: 0 g/km
Energie-Effizienzklasse: A+++
Länge: 4,60 m
Breite: 1,85 m ohne, 2,17 m mit Außenspiegeln
Höhe: 1,66 m
Gepäckraum: 468 – 1775 l
Leergewicht: 2121 kg
Zulässiges Gesamtgewicht: 2530 kg
Zuladung: 409 kg
Anhängelast: 750 kg gebremst/ungebremst
Versicherungs-Typklassen: 15 (HP), 22 (TK), 26 (VK)
Preis: Ab 63.490 Euro
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