Interview

Krisen und Schicksalsschläge: So schützen wir mit Resilienz unsere Seele

29.4.2021, 17:10 Uhr
Manchmal bräuchten wir einen Schutzschirm für unsere Psyche, der uns vor harten Schicksalsschlägen und Krisen bewahrt. 

© Juttaschnecke / Photocase Manchmal bräuchten wir einen Schutzschirm für unsere Psyche, der uns vor harten Schicksalsschlägen und Krisen bewahrt. 

Herr Träder, im Moment geht der Begriff Resilienz durch alle Medien. Ist das ein Mode-Phänomen?

Nein, denn die Menschen haben sich schon immer Gedanken darüber gemacht, wie sie gut durchs Leben kommen und mit Krisen besser umgehen können. Der Begriff kommt übrigens vom lateinischen "resilire", was so viel heißt wie abspringen oder abprallen. Gemeint ist, dass das Negative von uns abprallt und uns nicht zerstört.

Was ist denn Resilienz genau?

René Träder ist Psychologe und Journalist. Er arbeitet seit 20 Jahren für verschiedene Radiosender. Mit 30 entschied er sich, Psychologie zu studieren.

René Träder ist Psychologe und Journalist. Er arbeitet seit 20 Jahren für verschiedene Radiosender. Mit 30 entschied er sich, Psychologie zu studieren. © Jessi Geib

So wie das körperliche Immunsystem von Viren und Bakterien attackiert wird, so wird unser psychisches Immunsystem von Stress und Problemen angegriffen. Resilienz ist sozusagen das Immunsystem unserer Psyche. Und genauso, wie wir uns überlegen, was wir für unsere körperliche Gesundheit tun können, also Sport treiben, gesund ernähren, ausreichend schlafen, so sollten wir uns auch fragen, wie wir unsere psychische Gesundheit stärken können. Also: Was kann mein psychischer "apple a day" sein? Oder: Was hilft mir, in dieser Pandemie besser mit Ängsten, Stress und Einsamkeit umzugehen?

Es gibt Menschen, die sagen: Entweder hat man psychische Widerstandskraft oder nicht. Stimmt das?

Das ist wie bei der Körpergröße. Da würde man auch nicht sagen, man hat sie oder eben nicht, sondern einer ist klein oder groß. Und so ist das auch bei der Resilienz. Man kann wenig oder viel haben. Aus der Forschung wissen wir, dass es drei Quellen gibt. Eine speist sich aus unseren Genen. Darauf haben wir keinen Einfluss. Die Gene beeinflussen beispielsweise, wie schnell wir in Angst geraten. Manche sind dann eben weniger mutig und treffen ihre Entscheidungen langsamer als andere.

Dann gibt es die frühkindlichen Erfahrungen, die uns prägen, also ob wir in Liebe aufgewachsen sind und die Möglichkeit hatten, uns als Kinder auszuprobieren und Vertrauen zu entwickeln. Und die dritte Quelle: Das bewusste Trainieren unserer psychischen Widerstandskraft als Erwachsene. Also die Fragen: Wie gehe ich mit Krisen um? Habe ich gute Strategien oder führen sie immer wieder in eine Sackgasse? Brauche ich Hilfe durch Freunde, Partner oder einen Psychotherapeuten? Das ist ein lebenslanger Prozess.

Was haben denn besonders resiliente Menschen, was andere nicht haben?

Sie grübeln nicht so lange, sondern kommen schneller ins Handeln und gucken dann: Ist das der richtige Schritt? Führt er mich aus der Krise heraus? Oder muss ich etwas verändern?

Wie lässt sich denn unser psychisches Immunsystem trainieren? Es gibt Ratgeber, die sagen: Geh raus in den Wald! Mach dir ein Schaumbad! Ist es denn so einfach?

Im Grunde ja und gleichzeitig nein. Natürlich muss man erst mal schauen: Was tut mir gut? Und die meisten Menschen finden es schön, in den Wald zu gehen, weil die Natur ihre Sinne aktiviert. Sie hören die Vögel, riechen die Bäume. Aber es ist eben auch eine große Herausforderung, sich erst mal diese Frage zu stellen: Was hilft mir? Wie kann ich auf Stress reagieren? Und dann die nächste Hürde zu nehmen, sich zu überwinden und zu handeln. Das bedeutet im Grunde: Ich übernehme die Verantwortung für mein Leben. Diese Einstellung ist ganz wichtig. Nicht in die Opferrolle zu rutschen und sich immer wieder zu sagen: Trotz aller Widerstände denke ich über Lösungen nach, anstatt immer nur in den Problemen zu versinken.


Zufluchtsort im Lockdown: Wie uns der Wald gesund macht


Sie geben den Rat: Raus aus der Opferhaltung...

Ja. Weil die Opferhaltung uns lähmt. Das ist wie Kryptonit für Superman. Sie nimmt uns die Energie zum Handeln. Wir machen andere verantwortlich für unseren Zustand oder unser Schicksal. Vielleicht sind ja andere wirklich schuld daran. Aber die Frage ist doch: Wie kann ich die Verantwortung für mein Leben wieder übernehmen? Wie kann ich nach einem Unfall mit der Behinderung oder nach einem Todesfall mit dem Verlust oder mit einer Erkrankung weiterleben?

Ist der Rat "Raus aus der Opferhaltung" nicht reichlich zynisch, wenn es einem so richtig schlecht geht?

Tatsächlich haben wir nicht alles in der Hand. Wir sind von ganz vielen äußeren Faktoren abhängig, von anderen Menschen, Unfällen, Naturkatastrophen, Krankheiten. Man kann nicht alles bis ins letzte Detail regeln. Und natürlich kann man zu jemandem, der gerade einen geliebten Menschen verloren hat, nicht sagen: Sei kein Opfer! Das ist zynisch.

Es kann auch großen Druck aufbauen, wenn jemand das Gefühl hat, er versucht schon so viel und es gelingt ihm einfach nicht, sein Leben in den Griff zu bekommen. Aber mein Anliegen ist es, auch in diesen Fällen zu sagen: Überlass doch dem Schicksal nicht hundert Prozent deines Lebens, sondern versuche – auch mit professioneller Hilfe –, dir ein paar Prozentpunkte wieder zurückzuholen und gestalte den Bereich, den du gestalten kannst, aktiv mit. Resilienz ist ja nicht das Versprechen, dass ab morgen alles gut ist. Sondern es ist das Bemühen, besser mit Krisen umzugehen. Schicksalsschläge kommen immer. Aber: Was kann ich tun, dass mich diese Dinge nicht zerstören?

Krisen und Schicksalsschläge: So schützen wir mit Resilienz unsere Seele

© Ullstein Verlag/Montage: Sabine Schmid

Seit einem Jahr leben wir im Corona-Ausnahmezustand. Ist es sinnvoll, einfach die Zähne zusammenzubeißen?

Die Zähne zusammenbeißen bedeutet ja: Ich muss da jetzt durch. Und dann wird alles besser. Aber das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass wir das nicht in der Hand haben. Und es ist nicht besser geworden. Zähne zusammenbeißen kann kurzfristig hilfreich sein, wenn es nicht in Verbissenheit ausartet. Man muss aber auch gucken, wann es sinnvoll ist, loszulassen und einen neuen Umgang mit Situationen zu entwickeln.

Was meinen Sie damit?

Ich denke besonders an Jugendliche, die alle in dieser Pandemie eine besonders schwer Zeit durchmachen und die oftmals vergessen werden. Ein Jahr im Leben eines 15-Jährigen ist prozentual ein viel größerer Lebensabschnitt als für einen 50-Jährigen. Wir wissen, dass die Jugend die fragilste Lebenszeit ist mit dem höchsten Risiko für psychische Erkrankungen. Einerseits ist diese Phase voller Veränderungen und Belastungen, andererseits fehlen oft noch Strategien, mit Negativem umzugehen. Der Körper verändert sich, die erste Liebe zerbricht, sie haben Angst. Und jetzt sagt man ihnen: Reiß dich zusammen. Das geht nicht so einfach. Eltern sollten stattdessen empathisch sein, zuhören, mit ihren Kindern reden und sich um eine gute Beziehung mit ihnen bemühen, um sie so in ihrer Resilienz zu stärken.

Sie sprechen in Ihrem Buch von acht Bausteinen, um psychisch widerstandsfähiger zu werden. Muss man immer alle trainieren? Und welcher ist der wichtigste?

Man kann sich zunächst mal alle Bausteine anschauen und vielleicht feststellen: Hey, dass das ein Baustein sein kann, der mir hilft, hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Zum Beispiel gute Beziehungen zu führen oder Selbstwirksamkeit zu trainieren, also die Überzeugung zu haben, dass ich selbst etwas gestalten kann. Man kann das wie ein Kochbuch betrachten und einfach manches ausprobieren. Der wichtigste Baustein, das ist tatsächlich die Übernahme von Verantwortung. Sieh dich als Gestalter deines Lebens!

Gibt es denn Krisen in Ihrem eigenen Leben, die Sie resilienter gemacht haben?

Na klar. Als Kind war ich sehr oft erkältet und hatte dadurch viele Sprachfehler, weil ich schlecht gehört habe. Ich hatte Sprechtherapie und als Jugendlicher den großen Traum, Radio-Moderator zu werden. Dann habe ich wirklich nochmal Sprechunterricht genommen, um meine letzten Sprachfehler auszubügeln. Schließlich stand ich 20 Jahre lang als Radio-Moderator am Mikrofon. Ich wurde auch schon gefeuert und habe einen Job verloren, der mir ganz wichtig war, weil man meine Stelle einfach strich. Da ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Aber ich bekam woanders relativ schnell eine neue Stelle. Später hatte ich ein Gefühl der inneren Kündigung und Resignation. Ich hatte schon alles gemacht und fragte mich: Soll das jetzt 30 Jahre lang so weitergehen? Ich hab gekündigt und Psychologie studiert, sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin.

Verwandte Themen


Keine Kommentare