Der Mond stürzt auf die Erde

"Moonfall": Roland Emmerich über seinen neuen Film, Covid und Hollywoods neue Angst

Mariam Schaghaghi

4.2.2022, 12:05 Uhr
Roland Emmerichs "Independence Day" (1996) gilt als Ikone des Popcorn-Kinos.

© imago images/ZUMA Press/Armando Gallo, NN Roland Emmerichs "Independence Day" (1996) gilt als Ikone des Popcorn-Kinos.

Herr Emmerich, hat sich die NASA wirklich am Dreh beteiligt – oder fand sie Ihre Ideen, was der Mond alles anstellen könnte, vielleicht doch etwas zu abgefahren?

Roland Emmerich: Die NASA hat uns tatsächlich und überraschenderweise unterstützt. Ich glaube, sie sahen, dass dies eine Fiktion ist, und akzeptierten es als solche. Sie haben uns nur minimale Einschränkungen vorgegeben, uns ansonsten voll und ganz unterstützt, was natürlich großartig war.



Ihre Sicht auf die Menschheit scheint ziemlich pessimistisch: Nachdem der globale Notfall angekündigt wird, reagiert die Weltbevölkerung mit Aufständen, Plünderungen und Chaos. Haben die Ereignisse der letzten zwei Jahre Sie beeinflusst?

Emmerich: Überhaupt nicht, denn Harald Kloser und ich hatten das Drehbuch schon vorher geschrieben. Wenn so etwas Undenkbares droht wie eine Kollision mit dem Mond, dann ist es eher ein politisches Statement, dass die Gesellschaft zusammenbricht. Aber die Pandemie hat unseren Dreh dann tatsächlich sehr beeinflusst. Wir hatten gerade mit den Vorbereitungen begonnen, als wir plötzlich alle nach Hause geschickt wurden, wo wir dann drei oder sogar vier Monate ausharrten, bis wir wieder arbeiten durften.

Das waren sicher nicht die einzigen Komplikationen...

Emmerich: Ja, Stanley Tucci sollte bei uns mitspielen. Aber dann gab's keine Flugverbindung mehr zwischen London und Kanada. Also mussten wir ganz schön strampeln, um ad hoc Ersatz zu finden. Zum Glück konnten wir Michael Peña verpflichten. Insgesamt war es schwierig, unter COVID zu drehen. Als Schutzmaßnahme mussten wir am Set Gruppen bilden, "bubbles". Es gab die Schauspieler-Bubble, die Crew-Bubble, die Kostüm- und Masken-Bubble... Jeder war angehalten, keinen Kontakt außerhalb dieser Blase zu pflegen. Kein Small Talk, kein zufälliges Gespräch – alles, von dem ein Dreh lebt! Das fand ich hart, aber gut, da mussten wir durch wie tapfere Soldaten.

Mit Katastrophenfilmen hat sich Regisseur Roland Emmerich in Hollywood einen Namen gemacht. Im neuesten Streifen "Moonfall" droht der Mond mit der Erde zu kollidieren.

Mit Katastrophenfilmen hat sich Regisseur Roland Emmerich in Hollywood einen Namen gemacht. Im neuesten Streifen "Moonfall" droht der Mond mit der Erde zu kollidieren. © imago images/Prod.DB.MOONFALL 2022

Was denken Sie, warum können Kinobesucher nicht genug von Storys um die Apokalypse bekommen?

Emmerich: Erstens glaube ich nicht, dass es so viele Filme sind, zumindest nicht Filme wie meine. Dann hat es wohl ein bisschen mit dem Geschichtenerzählen an sich zu tun: Der Weltuntergang ist einfach ein großes Thema. Schon die Bibel hat so eine Art großes, klimaktisches Ende. Ich glaube, es steckt tief in uns drin, dass wir solche Geschichten mögen. Und dann liefern diese Geschichten eine Erklärung dafür, warum normale Menschen plötzlich über sich hinaus wachsen und zu Helden werden, um die Katastrophe zu überwinden. Das ist für mich immer wieder faszinierend.

Ihre Liebe zu Katastrophenfilmen ist bekannt. Aber Sie haben in "Anonymous" auch schon Ihre Liebe zu Shakespeare thematisiert. Hatten Sie seitdem nicht wieder die Lust, sich kleineren menschlichen Dramen zu widmen statt Vernichtung und Zerstörung?

Emmerich: Wenn man nicht ab und zu diese großen Filme macht, hat man nicht die Macht, auch mal so einen kleineren zu drehen – das ist einfach so. Außerdem genieße ich diese Arbeit sehr, weil die große Leinwand einfach eines . . . nun, eines meiner Talente ist. Trotzdem gestehe ich gerne, dass Anonymous mein persönlicher Lieblingsfilm ist.



"Moonfall" wurde nicht von einem der großen Majors produziert, sondern von einer Vielzahl von Quellen finanziert. Stimmt es, dass Big-Budget-Science-Fiction-Filme, die nicht aus einem der gängigen Comic- oder Superhelden-Franchises stammen, heute schon als finanziell unsicher gelten?

Emmerich: So ist es! Seit zwei Filmen produziere ich sie sozusagen selbst, das heißt, ich muss erst einmal einen US-Verleih finden, danach verkaufe ich ihn auf dem internationalen Markt. Das heißt, ich muss sie immer mit einem etwas geringeren Budget machen, zum Beispiel hatte ich zehn oder 12 Millionen Dollar an Finanzierungskosten, die muss man erst mal abziehen. Obendrein hat mich die Pandemie noch mal 5,5 Millionen gekostet. Das Budget sank also auf unter 120 Millionen. Es ist eine Tatsache, dass niemand mehr diese Filme machen will – man fürchtet, sie seien zu riskant, es seien keine todsicheren Hits...

...wie Marvel-Filme oder alles mit einer Nummer hinter dem Titel.

Emmerich: Ja, daher muss ich die Finanzierung selbst in die Hand nehmen. Aber das hat mir eigentlich ganz gut gefallen, denn weder bei "Midway" noch bei "Moonfall" konnte sich jemand von draußen einmischen. Die Stimmung war durchgehend sehr gut. (lacht) Das ist die gute Seite daran.

Die großen Studios haben also die Buxen voll. Was gibt Ihnen den Mut und auch die Überzeugung, dass Sie es hinkriegen?

Emmerich: Ich kann hinter die Kulissen der Filme schauen. Ich weiß genau, wenn ich sie für eine Summe X hinkriege, wird auf lange Sicht keiner Geld verlieren. Aber sie müssen 20 bis 30 Millionen billiger sein als sonst. Wer mich kennt, weiß, dass ich total durchorganisiert bin. "Midway" konnte ich in 65 Tagen abdrehen, diesen in nur 61. Das ist der Hammer.



Ist diese Art der unabhängigen Finanzierung eine neue Tendenz in Hollywood? Auch "The 355" mit etlichen Superstars wurde so gestemmt...

Emmerich: Ja, und die Pandemie macht das Ganze noch viel heftiger. Früher ging jeder ohne Angst ins Kino. Jetzt ist gerade das erwachsene Publikum noch etwas zurückhaltend.

Hätten Sie – nach "Independence Day" und "Moonfall" – Lust darauf, selbst mal ins All zu fliegen, vielleicht mit Jeff Bezos oder Richard Branson?

Emmerich: Ich warte noch zwei, drei Jahre. Wenn’s bis dahin keinen Unfall gibt, dann ja! (lacht) Aber im Ernst, ich träume wirklich davon, die Erde aus der Entfernung zu sehen. Ich glaube, das muss ein sehr spirituelles, ein sehr intensives Gefühl sein.



Wie ist es derzeit um Ihren Gemütszustand und Ihr Nervenkostüm bestellt? Zittern Sie oder lässt der Filmstart samt Finanzrisiko Sie kalt?

Emmerich: Ich habe das zum Glück ja schon mal gemacht! (lacht) Aber es wird tatsächlich immer schwieriger, einen "Non-IP-Film" zu vermarkten, selbst mit einer sehr starken Kampagne.

...also einen Film, der nicht auf "Intellectual Property" beruht, einem Buch, einem Marvel-Comic, einer bekannten Vorlage...

Emmerich: Es ist eben nicht einfach herauszufinden, wie wir das Publikum erreichen können. Das ist bei Filmen mit IP-Basis viel einfacher.

Wie lange brauchen Sie nach einem Film, bis Sie wieder genug Energie haben, um sich aufs nächste Projekt zu stürzen?

Emmerich: Ich mache nach jedem Film eine Pause von drei, vier Monaten. Nach der aktuellen Pause werde ich wahrscheinlich eine TV-Serie drehen.

Wie laden Sie in der Zwischenzeit Ihre Kreativität auf?

Emmerich: Ich plane meine Projekte immer sehr lange im Voraus. Es ist also nicht so, dass ich keine Drehbücher in der Hand hätte – ich habe ein Projekt mit dem Arbeitstitel "Maya Lord", eins mit dem Titel "Shooting Star" und ein "Happy Birthday, Mr. President". Es gibt also nie Drehbuch-Ebbe.



Vor kurzem war von einem privaten All-Projekt namens "SEE-1" zu hören, das eine Art Entertainment-Arena im Weltraum bauen will. Dort soll auch der nächste SciFi-Film mit Tom Cruise entstehen. Was halten Sie davon?

Emmerich: Nun, viel Glück dabei! (lacht) Ich finde, es hört sich ein bisschen nach einem großen Marketing-Gag an. Man wird sehen, dass diese Plattform erst immer kleiner und kleiner wird, dann wird es heißen, dass man nur kurz mit einer herkömmlichen Rakete fliegen wird.

Also doch kein Bau eines außerirdischen Spielplatzes für Superreiche?

Emmerich: Nein, eher eine leere Werbetrommel.


Roland Emmerich, 66, kam in Stuttgart zur Welt und wurde zu Beginn seiner Karriere als "schwäbisches Spielbergle" belächelt. Inzwischen haben seine Filme allein in Amerika die enorme Summe von über einer Milliarde Dollar eingespielt. "Independence Day" (1996) gilt als Ikone des Popcorn-Kinos. Seit 2017 ist er mit dem rund 30 Jahre jüngeren Omar De Soto verheiratet. Emmerich lebt in Los Angeles, London und Berlin.

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