Täglich droht der Burn-out
Herfurth und Tschirner in "Wunderschön": Mit Witz und Tiefgang über weibliche Sorgen
3.2.2022, 15:05 UhrDie 37-jährige Schauspielerin Karoline Herfurth selbst schlüpft in ihrer vierten Regie-Arbeit (nach dem Kurzfilm "Mittelkleiner Mensch" und den Langfilmen "SMS für Dich" und "Sweethearts") in die vielleicht zentralste Rolle.
Sie spielt Sonja, eine in zunehmendem Maße verzweifelte Mutter zweier kleiner Kinder , die nicht nur unter ihrem auf die Karriere fixierten Mann (Mücke) leidet, sondern auch mit ihren Babypfunden hadert und nicht so recht in die Mama-Rolle hineinfinden mag.
Aussehen und Fremdwahrnehmung
Martina Gedeck spielt die etwa 60-jährige Frauke, die sich noch mehr vom Leben erhofft als nur das Kochen für und die öden Gespräche mit dem ollen Ehemann (Joachim Król). Sohn und Tochter Julie sind schon ausgezogen, Julie (Emilia Schüle) versucht sich in der Modelwelt – deren grausame Schattenseiten von Regisseurin Herfurth auf brutal-ehrliche Art seziert werden.
Das Thema Aussehen (einmal fragt ein kleines Mädchen: "Wie sieht man richtig aus?"), die eigene und die Fremdwahrnehmung: Das sind die inhaltliche Fixpunkte, um die sich die allesamt sehr unterhaltsamen Geschichten drehen. Auch die übergewichtige Teenagerin Leyla (wunderbar: Dilara Eylin Ziem) leidet unter ihrem Äußeren und findet schließlich im Baseball das zu ihr passende Ventil.
Balance zwischen Klamauk und Ernst
Vor allem aber Nora Tschirner ist in diesem virtuos choreografierten Ensemble ein Ereignis: Die 40-jährige Schauspielerin, Musikerin, ehemalige Moderatorin, die 2016 auch in "SMS für Dich" mitgespielt hat, besticht durch ihre rotzig-rührende Art: Sie gibt die alleinstehende Kunstlehrerin Vicky, die nicht nur mit ihrer verzottelten Haarpracht und einem den rechten Zeigefinger schmückenden blauen Pflaster auffällt. Mit ihrem betagten feuerroten Golf weckt sie auch das Interesse eines flotten Lehrerkollegen, mit dem sich Vicky aber (zunächst) nur auf eine Mini-Affäre einlässt. Es gibt wenige deutsche Darstellerinnen, die die dreisten, auch hässlichen Seiten ihrer Figuren auf so mutige und sympathische Weise vermitteln können, ohne dabei die Balance zwischen Klamauk und Ernst zu verlieren.
Tschirner steht in Herfurth dabei eine mittlerweile hervorragende Regisseurin und kongeniale, erfrischende Gegen- und Mitspielerin an der Seite. Dass die Chemie zwischen den beiden populären deutschen Kinostars eine ganz besondere ist, zeigt beispielhaft eine der schönsten Szenen des Films.
Da steht die verweinte Lehrerin bei ihrer nicht weniger derangierten besten Freundin an der Haustür: "Bin ich eine unausstehliche Eremitin?", fragt Vicky verzweifelt. Woraufhin Herfurths Sonja sie voller – nicht nur gespielt anmutender – Wärme in den Arm nimmt: "Nein, nein, du nervst nur manchmal schrecklich!". Es sind Momente wie diese, in denen Karoline Herfurth ihr besonderes Gespür sowohl für traurige wie auch für extrem lustige Momente großartig unter Beweis stellt.
Mit einem Klassiker wie Frank Capras "Ist das Leben nicht schön?" kann Herfurth freilich nicht ganz mithalten. Dafür sind die eine oder andere Story-Wendung, aber auch manche Kritik an überkommenen Rollenmustern und Sichtweisen dann doch zu vorhersehbar.
Eines aber ist diese mit viel Pathos, Ironie und zutiefst berückenden Momenten gewürzte Tragikomödie, die uns Herfurth mitten im zweiten Corona-Winter beschert, aber in jedem Fall: Wunderschön und zu Herzen gehend. (131 Min.)
In diesen Kinos läuft der Film.
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