Literatur live in Nürnberg

"Laubwerk": Marion Poschmann schreibt erfrischend über unser Verhältnis zur Natur

Bernd Noack

25.3.2024, 10:59 Uhr
Am Dienstag, 26. März 2024, liest Marion Poschmann im Literaturhaus Nürnberg. Ein leiser Tipp für Freundinnen und Freunde von überraschender Literatur abseits von Mainstream und Zeitgeist...

© Silas Stein/dpa Am Dienstag, 26. März 2024, liest Marion Poschmann im Literaturhaus Nürnberg. Ein leiser Tipp für Freundinnen und Freunde von überraschender Literatur abseits von Mainstream und Zeitgeist...

Es ist schon bedenklich. Den Deutschen Buchpreis in Leipzig hat gerade ein schmaler Band mit Geschichten erhalten, zu denen Kritikern so Worte wie "krass", "durchgeknallt", "punkig" oder "comicartig" lobend einfallen.

Das ist dann die Häppchen-Literatur, die in unsere unkonzentrierte Zeit passt, die Pillenform des Geistes, den wir gerade noch ertragen können zwischen Rush und Hour. Barbie Markovic' Sammlung "Mini-Horror", die sich an beliebte Disney-Figuren anlehnt, ist so Mainstream, dass man schon befürchten muss, auf der nächsten Frühjahrsmesse wird ein Manga das Rennen machen.

Sind wir froh, dass es noch Literatur gibt, die zwar bei solchen Anlässen vielleicht gar nicht mehr ausgezeichnet werden wird, die aber sicher mehr Bestand hat als die kleinen Horror-Kapriolen. Marion Poschmann schreibt seit Jahren an einem Oeuvre, in dem Lyrik ebenso Raum findet wie Prosa, kluge Gedanken zur Literaturtheorie vorkommen, in dem über den Tellerrand geblickt, der Austausch mit Dichtern in oft entlegenen Ländern gepflegt wird.

Poschmanns Gedanken über Zeiterscheinungen, über gesellschaftliche Schieflagen und Geschlechterfragen sind luzide und überraschend; ihre Romane (etwa "Kieferninseln", zuletzt "Chor der Erinnyen") sprengen bisweilen das Genre (warum nicht einmal eine Prosa-Ballade?), verquicken Reisebeschreibungen mit feinem Humor und einer nie aufdringlichen Anteilnahme an Gefühlen, die auch Geheimnisse bewahren kann. Man kann stellenweise auch an das angesagte "Nature Writing" denken...

Der deutsche Blick auf Bäume

Wenn die 1969 in Essen geborene Autorin jetzt ins Nürnberger Literaturhaus zu einer Lesung kommt, dann hat sie auch ein kleines Werk im Gepäck, das auf wundersame Weise von uns und unserer Beziehung zur Natur erzählt. In dem poetischen Essay "Laubwerk" sinniert Poschmann mäandernd über Bäume und welche Rolle sie eigentlich noch in unserer Umwelt und in unserem Leben spielen.

Ganz anders als in Asien etwa, wo das sich verfärbende Laub im Herbst mit einer feinen Ästhetik und Spiritualität konnotiert ist, oder in Amerika, wo der Indian Summer für Freiheit und Abenteuer steht, ist bei uns das, was da zuverlässig im Oktober von den Ästen flattert, eher ein Ärgernis.

Herbstlaub ist unerwünscht

"Wenn man ein Stichwort wie 'Herbstlaub' googelt," schreibt Poschmann, "geht es in erster Linie um die Räumpflicht, um gefährlich rutschiges Laub auf nassen Bürgersteigen, um Nachbarschaftsstreitigkeiten, weil sich das fallende Laub nicht an Grundstücksgrenzen hält, es geht um geeignete Laubbläser und Entsorgungsfragen. Herbstlaub ist unerwünscht, stört den Tagesablauf und enthält allergieerregende Schimmelpilze."

Kluge Feder: Marion Poschmann.

Kluge Feder: Marion Poschmann. © Boris Roessler

Wir haben das sinnliche Verhältnis zu den Jahreszeiten verloren, verbinden mit ihnen keine Erinnerungen an Kinderzeiten mehr, nivellieren die Übergänge und spielen mit allen Gedanken des technisch Möglichen, sie zu beherrschen.

Wir setzen andere Maßstäbe, und zum Goldenen Oktober fällt uns als erstes der Welt größtes Bierfest ein. In Zeiten der Klimakrise, die wir nicht mehr in den Griff bekommen, forschen wir nach Bäumen, die sich für mitteleuropäische Städte eignen würden: "Heutzutage heißen Bäume ‚erfolgreich‘, wenn sie an ihrem Standort überleben," stellt Poschmann fest.

Nicht wir also wollen unser raubbauendes und naturvernichtendes Tun ändern, die Bäume haben sich gefälligst an den Ausverkauf des gesunden Lebens anzupassen. Wenn es sie weiterhin geben soll, dann müssen sie auch den ganzen Dreck unter ihnen und in der Luft schlucken.

Denn schön heimelig soll es unterm Laub schon sein, also wird wie wild gepflanzt, auch wenn die Zahlen und Fakten Erschreckendes erzählen: 2000 junge Bäume braucht es, um einen alten 100-jährigen ökologisch zu ersetzen.

Poschmann spielt in diesem Text, über den sie in Nürnberg mit ihrem Schriftsteller-Kollegen Leonhard F. Seidl sprechen wird, mit harten Tatsachen und poetischen Reflexionen: Das, was sie weiß, lässt sie nicht kalt, es berührt und schmerzt sie im Inneren.

"Wenn wir die Natur bewahren und eine ökologische Katastrophe verhindern wollen, ist eine neue Romantisierung der Welt, eine poetische Naturwahrnehmung unumgänglich. Es geht dabei nicht um sentimentale Verklärung, es geht um die grundlegenden Tatsachen unserer Existenz."

Hier ist nicht mehr vom "Minihorror" die Rede, hier ist es fünf vor Geisterstunde.


Marion Poschmann: Laubwerk. Verbrecher Verlag, 64 Seiten, 12 Euro. Am Dienstag, 26. März 2024, ist die Autorin ab 19 Uhr zu Gast im Literaturhaus Nürnberg, Luitpoldstraße 6. Karten unter www.literaturhaus-nuernberg.de.

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