Bühnenjubiläum

50 Jahre Rocky Horror Show: Was macht den Erfolg dieses Musicals aus, das auch in Nürnberg mitriss?

12.6.2023, 06:00 Uhr
Heiße Ware auf der Bühne des Nürnberger Schauspielhauses: Szene aus der "Rocky Horror Show", die Februar 2013 Premiere feierte.

© Marion Bührle, Staatstheater Heiße Ware auf der Bühne des Nürnberger Schauspielhauses: Szene aus der "Rocky Horror Show", die Februar 2013 Premiere feierte.

Die Kritiker unseres Nürnberger Medienhauses schwankten zwischen Begeisterung und Staunen, die Vorstellungen waren so gut wie immer ausverkauft: Vor gut zehn Jahren, im Februar 2013, bescherte die "Rocky Horror Show" dem Staatstheater Nürnberg unter dem damaligen Schauspielchef Klaus Kusenberg einen der größten Publikumserfolge der letzten Zeit.

Richard O\'Brien, Schöpfer der "Rocky Horror Show",  bei einer After-Show-Party im Wimbledon Theatre in London.

Richard O\'Brien, Schöpfer der "Rocky Horror Show",  bei einer After-Show-Party im Wimbledon Theatre in London. © Ian West, dpa

Der Jubel im Schauspielhaus, den sie detailliert hier nachlesen können, war nur ein winziger Baustein in der Erfolgsgeschichte dieses Musicals. Dabei fing alles ziemlich klein an. Kaum mehr als 60 Zuschauer saßen im kleinen Royal Court Theatre Upstairs am Londoner Sloane Square, als "The Rocky Horror Show" dort Premiere feierte. Im konservativen England der frühen 1970er Jahre war nicht unbedingt davon auszugehen, dass ein Musical über einen außerirdischen, bisexuellen Wissenschaftler in Frauenkleidern ein Erfolg werden würde. Doch die Show von Richard O'Brien, die am 16. Juni 1973 uraufgeführt wurde, entwickelte sich zu einem Phänomen der Popkultur und ist bis heute ein Publikumsmagnet.

Das Royal Court Theatre in London: Dort wurde vor 50 Jahren die "Rocky Horror Show" uraufgeführt. 

Das Royal Court Theatre in London: Dort wurde vor 50 Jahren die "Rocky Horror Show" uraufgeführt.  © Foto: PA Archive/dpa

Das funktionierte auch in Nürnberg. "Willkommen auf dem Planeten Transsexual" titelten die "Nürnberger Nachrichten"; mit seiner Inszenierung habe Klaus Kusenberg "einen richtigen Coup gelandet" jubelte damals die "Nürnberger Zeitung". Und trafen damit den Kern jener Zutaten, die auch schon vor 50 Jahren ihre Wirkung entfalteten.

"Glamrock und offene Sexualität waren überall, Homosexuelle hatten ihr Coming-out und es lag etwas in der Luft", erinnerte sich O'Brien vor kurzem anlässlich einer britischen Jubiläumstournee der "Rocky Horror Show" an eine spannende Zeit in London. "Es gibt bestimmte Orte in der Welt, wo wir etwas freier sind, wir selbst zu sein. London ist definitiv einer dieser Orte", so der 81-Jährige, der über sich selbst sagt, er fühle sich zu "70 Prozent männlich, zu 30 Prozent weiblich".

Idee von der Weihnachtsfeier

Als er in der britischen Hauptstadt sein Musical zu schreiben begann, war der Brite, der heute in Neuseeland lebt, gerade ohne Job. Zuvor hatte er sich als Schauspieler mit kleineren Rollen in Musicals durchgeschlagen. Die Idee zu einer eigenen Produktion kam dem Science-Fiction- und Horror-Film-Fan, als er als Unterhalter auf einer Weihnachtsfeier auftreten sollte. "Ich habe einen Song geschrieben und ein paar Gags eingebaut", sagte er. "Dafür gab es viel Gelächter und Applaus."

Dieser Song war "Science Fiction - Double Feature" und O'Brien machte ihn zum Prolog für "den Keim einer Idee, die ich für ein Musical hatte". In dem australischen Regisseur Jim Sharman, mit dem er bei "Jesus Christ Superstar" zusammengearbeitet hatte, fand er einen begeisterten Mitstreiter. Dass sie mit ihrer humorvollen Hommage an alte Science-Fiction- und Horror-B-Filme einen zukünftigen Klassiker auf die Bühnen bringen würden, konnten die beiden nicht ahnen.

Voller Schlüpfrigkeiten

Im kleinen Obergeschoss des Royal Court Theatre, das mit inzwischen 85 Sitzen heute immer noch klein ist, sah das Publikum erstmals, wie die frisch Verlobten Brad und Janet nach einer Reifenpanne im Schloss von Dr. Frank N. Furter Unterschlupf finden, der seine Gäste in ein groteskes Szenario voller Schlüpfrigkeiten verwickelt.

Tim Curry, der am Londoner West End schon im Musical "Hair" von sich reden gemacht hatte, fand als verrückter, außerirdischer Wissenschaftler und "Transvestit vom Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania" die Rolle seines Lebens. O'Brien selbst spielte Frank N. Furters buckligen Butler Riff Raff.

Bekannte Ohrwürmer

Neben dem deftigen Humor voller Anzüglichkeiten machte vor allem die ikonische Musik - mit Songs wie "Hot Patootie – Bless My Soul" oder "Sweet Transvestite" - die "Rocky Horror Show" zu einem Erfolg. Der Ohrwurm "Time Warp" mit dem einprägsamen "Let's do the time warp agaaaaaaain"-Refrain entwickelte quasi ein Eigenleben und wurde zum Partyklassiker, der bis heute zur späten Stunde auf Geburtstagsfeiern und Hochzeiten gespielt wird, oft mit der dazugehörigen Choreographie aus dem Film.

Nur zwei Jahre nach der Bühnenpremiere kam das Musical als "The Rocky Horror Picture Show" in die Kinos - mit einigen der Bühnendarstellern vom West End, darunter auch Tim Curry. Daneben spielten unter anderem Susan Sarandon und Rockstar Meat Loaf in dem Film mit. Sharman führte Regie. Anfangs ein kommerzieller Flop, fand "The Rocky Horror Picture Show" dank Mitternachtsvorführungen nach und nach sein Publikum und entwickelte sich zum Kultklassiker. Das Prince Charles Cinema, ein beliebtes Kino in London, lädt regelmäßig zum Mitsing-Abend ein.

Beim Film genauso wie bei der Bühnenproduktion gehört die Beteiligung des Publikums mittlerweile fest zur Show. Zuschauer verkleiden sich, tanzen den "Time Warp", schießen mit Wasserpistolen und werfen Konfetti und Klopapier. So wird jede Aufführung der "Rocky Horror Show", das in Deutschland auch scherzhaft als "Grusical" - gruseliges Musical - bezeichnet wird, zu einer wilden Party.

Selbstbewusst und ohne Scham

Thematisch war die "Rocky Horror Show" ihrer Zeit weit voraus. Erst seit 1967 waren homosexuelle Handlungen unter Männern in Großbritannien nicht mehr strafbar. Nur langsam änderten sich die gesellschaftlichen Normen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität. Das Musical präsentierte - damals fast unerhört - gender-fluide Charaktere, die selbstbewusst und ohne Scham auftraten. Diese Darstellung unkonventioneller Sexualität und die Würdigung der Vielfalt waren bahnbrechend für die 1970er Jahre.

Dass der queere Frank N. Furter als Mörder und Vergewaltiger der Bösewicht des Musicals ist, könnte man problematisch sehen. Aber das wäre zu kurz gedacht. Die "Rocky Horror Show" ist kein Moralstück. Gegenüber dem stocksteifen Paar Brad und Janet ist der charismatische Schurke eindeutig als Publikumsliebling konzipiert. Frank N. Furter steht dafür, zu sein und zu tun, was einen glücklich macht, auch wenn das von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Currys Performance gilt als Meilenstein für queere Repräsentation in der Popkultur.

Er habe damals nicht beabsichtigt, die LGBT-Bewegung zu unterstützen, räumte Richard O'Brien kürzlich ein, es sei aber "ein angenehmer Nebeneffekt" gewesen. Die "Rocky Horror Show" habe allerdings wohl eine befreiende Wirkung auf ihn gehabt, meinte der 81-Jährige, der in seiner Jugend mit seiner sexuellen Identität zu kämpfen hatte.

Heute vermutlich kein Erfolg mehr

Dass "The Rocky Horror Show" ein Erfolg geworden wäre, wenn er sie heute geschrieben hätte, glaubt O'Brien übrigens nicht. "Timing und Glück sind wichtig", sagte er. "Zeitgeist ist das Stichwort." Davon, dass sein Musical 50 Jahre später bei Menschen aller Identitäten und Generationen beliebt ist, ist O'Brien vielleicht selbst ein wenig überrascht. "Es ist einfach nur eine Musicalkomödie, und so lange es rockt und das Publikum lacht - was könnte man mehr wollen?"

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