Haare ab zum Protest: Frauen solidarisieren sich weltweit mit Iranerinnen

Alena Specht

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6.10.2022, 11:34 Uhr
In Hamburg hält eine Demonstrantin ein Schild mit der Aufschrift "Women, Life, Freedom" nach oben, dem aktuellen interantionalen Slogen gegen das Herrschaftsregime in Iran.

© Markus Scholz/dpa In Hamburg hält eine Demonstrantin ein Schild mit der Aufschrift "Women, Life, Freedom" nach oben, dem aktuellen interantionalen Slogen gegen das Herrschaftsregime in Iran.

Die Bilder gingen durch die Medien und durch sämtliche Social-Media-Kanäle. Eine Frau steht am Rednerpult des Europa-Parlaments in Straßburg. Sie trägt einen schwarzen Blazer und eine Perlenkette. In der Hand hält sie eine Schere. "Bis Iran frei ist, wird unsere Wut größer sein als die Unterdrücker. Bis die iranischen Frauen frei sind, werden wir euch beistehen", sagt Abir Al-Sahlani. Dann schneidet sie sich den Zopf ab und hält ihn mit den Worten "Frauen, Leben, Freiheit" in die Höhe. Mit ihrer Geste zeigt die Irakerin, die Im EU-Parlament Mitglied der Fraktion Renew Europe ist, Solidarität mit den aktuellen Protesten in Iran.

Sich die Haare abzuschneiden ist im westlichen Europa zum Symbol geworden. Etwa 50 Schauspielerinnen und Sängerinnen aus Frankreich haben sich vor der Kamera Strähnen und Zöpfe abgeschnitten, darunter Oscarpreisträgerin Juliette Binoche, Isabelle Huppert, Jane Birkin und Charlotte Gainsbourg. Das Widerstandslied "Bella Ciao" untermalt das Video, dass inzwischen mehrere zehntausend Mal geteilt wurde.

Zwischen den einzelnen Videosequenzen wird die Geschichte von Masha Amini erzählt. Die 22-Jährige Iranerin wurde am 13. September von der Sittenpolizei festgenommen, angeblich weil sie ein "unislamisches Outfit" trug. Laut Medienberichten hätten Haarsträhnen unter ihrem Kopftuch hervorgeschaut. Was nach der Festnahme geschah, ist unklar. Die junge Frau starb drei Tage später in einem Krankenhaus.

Ein Zeichen der Solidarität

Seitdem hat sich im Iran etwas verändert. Überall im Land gehen Menschen auf die Straße. Sie protestieren gegen die herrschende Unterdrückung durch das Regime und riskieren mit ihrem Aufstand harte Strafen. Denn als Zeichen der Solidarität mit Amini verstoßen viele Frauen bewusst gegen die Kleiderordnung, nehmen ihre Kopftücher ab und schneiden sich öffentlich die Haare.

Das Tragen eines Kopftuchs ist seit der islamischen Revolution 1979 für Mädchen und Frauen Pflicht, nur der Haaransatz darf sichtbar sein. Auch der restliche Körper muss verhüllt werden, sodass keine Körperform mehr erkennbar ist.

Schon bei den ersten Protesten in Aminis Heimatprovinz Kurdistan kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften der islamischen Regierung und den Demonstrierenden. Daraufhin veranlasste Präsident Ebrahim Raisi eine Einschränkung des Internets. Instagram und Whatsapp wurden gesperrt und auch der größte Mobilfunkanbieter des Landes ist blockiert.

In Europa schneiden sich Frauen die Haare ab, um Solidarität mit den Protesten in Iran zu bekunden. Hier bei einer Demonstration in Hamburg. 

In Europa schneiden sich Frauen die Haare ab, um Solidarität mit den Protesten in Iran zu bekunden. Hier bei einer Demonstration in Hamburg.  © Jonas Walzberg/dpa

Für ausländische Berichterstatter:innen ist es deshalb sehr schwierig, zuverlässige Informationen über den Ausmaß der Proteste zu bekommen. Videos kommen nur Tröpfchenweise über gefährliche Umwege ins Ausland. Auch Journalist:innen ist es verboten, von den Zuständen zu berichten. Zwei Journalistinnen wurden deswegen schon verhaftet. "Man darf annehmen, dass auf den Straßen wesentlich mehr abgeht, als bei uns ankommt", sagt der "ZDF"-Korrespondent Luc Walpot. Sicher ist nur, dass es in allen 31 Provinzen demonstriert wird, ein genaues Ausmaß oder Zahlen gibt es nicht.

Schüler:innen und Studierende schließen sich an

Doch die wenigen Bilder, die zu uns kommen, sind erschreckend. Autos, Polizeistationen und Moscheen werden angezündet. Die Polizei schlägt die Proteste gewaltsam nieder, laut Human Rights Watch soll die Polizei sogar mit scharfer Munition auf die Demonstrierenden geschossen haben. Auch von der Behörden initiierte Gegendemonstrationen und Pro-Regierungs-Kundgebungen in Teheran hätten laut der "Islamic Republic News Agency" stattgefunden. Insgesamt seien bei den Protesten mindestens 130 Menschen gestorben, meldet die Nichtregierungsorganisation "Iran Human Rights" mit Sitz in Oslo.

Inzwischen protestieren auch zahlreiche Schüler:innen und Studierende gegen die Führung der islamischen Republik und ihren repressiven Kurs. Videos zeigen junge Mädchen, die vor laufenden Kameras ihre Kopftücher abnehmen, damit herumwirbeln und ihre Haare beim Tanzen durch die Luft schwingen. An vielen Universitäten hätten die Behörden laut Berichten die Vorlesungen abgesagt.

Örtlichen Medienberichten zufolge sind Sicherheitskräfte an der Scharif-Universität in Teheran massiv gegen protestierende Studierende und Professoren vorgegangen, angeblich sogar mit Schüssen. Die Staatsmedien sprachen unterdessen von einer ruhigen Lage und warfen den Medien im Ausland vor, Lügen zu verbreiten, so die "Tagesschau".

"Es ist etwas Grundsätzliches"

Auch der Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Iran, dem "Obersten Führer der Islamischen Revolution“, Ayatollah Seyed Ali Khamene’i, spielt die Vorfälle herunter und spricht nur von einer kleinen Gruppe Unzufriedener. Schuld ist für ihn das Ausland, vor allem die großen Feinde Amerika und Israel, die die Menschen anstacheln.

Während die Proteste in Iran anhalten, gehen inzwischen auch in Deutschland die Menschen auf die Straße, um ihre Unterstützung zu bekunden. In Berlin waren es am vergangenen Wochenende etwa 5.000, in Hamburg sprach die Polizei von 4.000 und in Frankfurt am Main von rund 2.800 Demonstrierenden.

Überall in Europa wird gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen im Iran protestiert. 

Überall in Europa wird gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen im Iran protestiert.  © IMAGO/Sadak Souici / Le Pictorium, IMAGO/Le Pictorium

"Der Druck ist höher als bei bisherigen anderen Protestwellen", so Walpot. Es gehe um die Unabhängigkeit und Autorität des islamischen Iran, sagt er im "ZDF-Morgenmagazin". "Die Machtelite hat begriffen, dass es was Grundsätzliches ist. Es geht ums Eingemachte, es geht um das Herrschaftsmodell der islamischen Republik." Denn die Menschen werden sich nicht mehr mit kleinen Reformen und Verbesserungen des Apparats zufriedengeben, so der "ZDF"-Korrespondent. "Sie wollen einen Regimewechsel. Sie schreien: 'Weg mit der Diktatur'. Das gab es so noch nicht in Iran."

Ach in Italien ist politisch einiges los:

In Deutschland soll das Bürgergeld Menschen mit geringem Einkommen helfen:

Wenn Du Dich für den NSU interessierst, solltest du das nicht verpassen:

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