Lohnt es sich noch zu arbeiten? Das bringt das neue Bürgergeld

amu/tw/jw

26.9.2022, 17:17 Uhr
Lohnt es sich noch zu arbeiten? Das bringt das neue Bürgergeld

© Christian Dubovan

Welche Hintergründe hat die Einführung des Bürgergeldes?

Hartz IV wird Geschichte sein. Nach Jahren voller Kritik und Diskussionen rund um das Gesetz zum Arbeitslosengeld II soll Hartz IV 2023 vom sogenannten Bürgergeld ersetzt werden. Es soll zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen und die Würde des Menschen achten. Mit dem Bürgergeld soll Empfänger:innen eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt gewährleistet werden und zugleich einfach sowie digital zugänglich sein. Damit will die Bundesregierung ein deutliches Signal für Sicherheit setzen und mehr Respekt schaffen. Hubertus Heil, der Bundesminister für Arbeit und Soziales, sagt: "Mit dem Bürgergeld stärken wir den Sozialstaat und bringen Menschen dauerhaft aus der Arbeitslosigkeit." Laut Bundesarbeitsministerium (BMAS) soll durch die Einführung ein größeres, besseres „Miteinander“ geschaffen werden. Die Jobcenter sollen in Zukunft großzügiger mit der Lebenssituation von Leistungsempfängern umgehen. Diese sollen sich so einfacher darum kümmern können, möglichst schnell wieder eine Arbeitsstelle zu finden.

In Sachen Weiterbildung und Qualifikation: Mit dem Bürgergeld sollen Arbeitssuchende „mehr als bisher auf dem Weg in langfristige, nachhaltige Beschäftigung“ unterstützt werden, so das BMAS. Die „schnelle Vermittlung“ soll der Vergangenheit angehören.

Wem soll das Bürgergeld wie helfen?

Mit Inkrafttreten des neuen Bürgergeldes werden Schritt um Schritt Hartz IV, als Arbeitslosengeld II bekannt, und das Sozialgeld vom Bürgergeld ersetzt. Dieses soll wie eine Art Grundeinkommen oder Grundsicherung für arbeitssuchende Menschen funktionieren. Das Bürgergeld soll sicherstellen, dass sie ihren Lebensbedarf sichern können und nicht unterhalb des Existenzminimums rutschen. Einen Anspruch auf das kommende Bürgergeld, hat jede:r, der/die bislang auch Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder das Sozialgeld hatte. Ein Antrag muss in diesem Fall nicht gestellt werden.

Laut Gesetz haben Menschen Anspruch auf das Bürgergeld, die bedürftig sind, anschließende Unterstützung an das Arbeitslosengeld I benötigen oder an jene, die grundsätzlich erwerbsfähig sind. Konkret sind das „erwerbsfähige“ Personen ab 15 Jahren, Hilfebedürftige unter 15 und über 65 Jahren, Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht alleine decken können, sowie all diejenigen, deren Leistung gemäß Arbeitslosengesetz I auslaufen. Selbstverständlich haben auch nicht erwerbsfähige Personen einen Anspruch auf Bürgergeld, insbesondere Kinder. Hier gelten jedoch andere (einfachere) Voraussetzungen, die erfragt werden müssen. Grundsätzlich sind die Jobcenter die Anlaufstellen bei Fragen und auch für die Stellung des Antrags, die auch digital möglich sein soll. Auch sollen nach Einführung des Bürgergeldes die Unterstützungsmöglichkeiten für besonders arbeitsmarktferne Jugendliche und Erwachsene verbessert und ihre örtlichen Handlungsspielräume erweitert werden.

Auch für das neue Bürgergeld muss ein Antrag gestellt werden, das soll jedoch einfacher als vorher werden und digital funktionieren.

Auch für das neue Bürgergeld muss ein Antrag gestellt werden, das soll jedoch einfacher als vorher werden und digital funktionieren. © imago images / Christian Ohde

Wie hoch ist das Bürgergeld und wie berechnet es sich?

Es soll eine existenzsichernde Höhe beinhalten, so das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf seiner Webseite. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage, etwa den steigenden Preisen für Dinge des täglichen Lebens und der steigenden Energiekosten, ist „eine angemessene Erhöhung der Regelsätze geboten“, heißt es dort weiter.

Das kann jetzt vieles bedeuten, doch was heißt es konkret?

Am 1. Januar 2023 werden die Bezüge demnach für eine:n Alleinstehende:n um 53 Euro von 449 Euro auf 502 Euro steigen. Diese Anhebung ist die höchste seit Einführung der Grundsicherung (2005).

Zudem gelten folgende Regelsätze:

  • 451 Euro für eheliche oder nichteheliche Partner einer Lebensgemeinschaft
  • 420 Euro für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren
  • 348 Euro für Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren
  • 318 Euro für Kinder bis einschließlich 5 Jahre

Berechnet wird das Bürgergeld aus folgenden, verschiedenen Faktoren: der Höhe der Lebenshaltungskosten, Miet-/Wohnkosten, Höhe des Einkommens und des Vermögens sowie Höhe des Einkommens und des Vermögens von Lebensgefährt:innen, Ehepartner:in & Co.

Pflichten bleiben

Wer das Bürgergeld bezieht, hat Pflichten. Die Wichtigste darunter ist die Pflicht zur Aufnahme einer Arbeit. Diese trifft nur erwerbsfähige Bezieher von Bürgergeld. Dabei muss der/die Bürgergeld-Empfänger:in grundsätzlich jede Arbeit annehmen. Auch hier folgen Leistungsminderungen, die aber anders als vorher geregelt werden sollen. Zu Beginn gilt aber eine Vertrauenszeit von sechs Monaten. Die bisherigen scharfen Sonderregelungen für unter 25-Jährige entfallen.

Alleinstehende sollen 502 Euro im Monat erhalten und Jugendliche 420 Euro.

Alleinstehende sollen 502 Euro im Monat erhalten und Jugendliche 420 Euro. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Diese Änderungen bringt das Bürgergeld mit sich: Vermögen, Wohnen, etc.

Personen, die das Bürgergeld beziehen werden, dürfen in den ersten beiden Jahren, in dem sie dieses beziehen, auf jeden Fall in ihren bestehenden Wohnverhältnissen oder Wohnungen bleiben. Das ist ein großer Unterschied zur Handhabe vor Einführung des Bürgergeldes: Da wurde die Wohnsituation schnell angepasst an das, was den Empfänger:innen als zumutbar galt. Ob also (wie zuvor) die Wohnkosten angemessen sind (also: ob die Wohnung zum Beispiel zu groß ist), bleibt in den ersten zwei Jahren des Bürgergeld-Bezugs ohne Rolle.

Zur Erinnerung, bislang galt: Eine Hartz-IV-Wohnung für eine Person darf bis zu 50 m² groß sein, für 2 Personen bis zu 60 m² für 3 Personen bis zu 75 m² und für 4 Personen bis zu 85 m².

Auch sollen die Empfänger:innen des Bürgergeldes besser sparen können. Ein eigenes Vermögen von bis zu 60.000 Euro bleibt verschont und ist kein Gegenstand für den Bezug - vorher lag der Freibetrag bei 10.000 Euro pro Person. Das bedeutet: Bis zu dieser Summe wird Vermögen nicht auf den Anspruch auf Bürgergeld angerechnet. Das gilt wiederum für die ersten beiden Jahre, in denen das Geld bezogen wird. Jede weitere Person in einer Bedarfsgemeinschaft kann nochmal 30.000 Euro zurücklegen. Bei einer Familie mit vier Personen wäre demnach Erspartes bis zu 150.000 Euro geschützt. Nach 2 Jahren gilt dann eine deutlich schärfere Grenze:

  • Bürgergeld-Bezieher, die vor dem 1. Januar 1948 geboren sind, haben einen erhöhten Freibetrag in Höhe von € 520 pro vollendetes Lebensjahr, maximal jedoch 33.800 Euro.
  • Wer nach dem 31. Dezember 1957 und vor dem 01. Januar 1964 geboren wurde, erhält einen Grundfreibetrag in Höhe von höchstens 9.900 Euro.
  • Wer nach dem 31. Dezember 1963 geboren wurden, dem steht ein Vermögens-Grundfreibetrag in Höhe von höchstens 10.050 Euro zu.

Außerdem neu: Der Staat schützt Lebensversicherung, Riester und Rürup, vor allem für Selbstständige, in einem begrenzten Maß.

Empfänger:innen dürfen auch ein eigenes Auto besitzen, ohne dass sie mit Kürzungen rechnen müssten. Hinzu kommt, dass bei der Ablehnung eines Stellenangebots oder einer Weiterbildung in den ersten sechs Monaten keine Abstriche bei den Geldleistungen erfolgen. Sanktionen können erst nach neun Monaten verhängt werden.

Auch die Möglichkeiten, etwas hinzu zu verdienen, ändern sich: Bisher durften Hartz-IV-Empfänger nur 100 Euro dazuverdienen – zumindest ohne, dass der Betrag auf ihren Satz angerechnet wurde. Bei Verdiensten zwischen 100 und 1.000 Euro waren nur noch 20 Prozent anrechnungsfrei. Ziel dieser Neuregelung soll es sein, die „Anreize für sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit zu erhöhen.“ Davor war nur ein 450€-Job möglich – davon wurden allerdings 280€ einbehalten, also kaum Anreiz für Arbeit oder Reintegration in den Arbeitsmarkt. Also: 170€ für ungefähr 10h/Woche und Arbeiten für 4€-Stundenlohn. Das ist zwar steuerfrei, aber zahlt auch nicht in die Rentenversicherung ein. Worst Case: Person, die zwar nebenbei arbeitet, bleibt für immer in Sozialhilfe

Wird das Nicht-Arbeiten attraktiver?

Die Grenze zwischen dem regulären Arbeiten im Niedriglohnsektor und dem Bürgergeld verschwimmt immer mehr. Das führt zu, dass sich Zuhause Bleiben für einige Menschen mehr rentiert, als zur Arbeit zu gehen. Das liegt vor allem daran, dass neben den Regelsätzen die Kosten der Miete, das Heizen und die Rundfunkgebühr von staatlicher Seite übernommen werden. Menschen mit geringem Einkommen stehen dann finanziell kaum besser da als die, die gar nicht arbeiten. „Nur zu fördern ohne zu fordern ist der falsche Weg. Das Bürgergeld sorgt dafür, dass Nichtarbeit deutlich attraktiver wird.“ - CDU-Vize-Generalsekretärin Christina Stumpp.

Viele Lockerungen bei den Sanktionen und insgesamt mehr Anreiz, sich weiterzubilden und in Arbeit gebracht zu werden. 

Viele Lockerungen bei den Sanktionen und insgesamt mehr Anreiz, sich weiterzubilden und in Arbeit gebracht zu werden.  © pixabay

Die Rechnung: Lohnt sich Arbeiten noch?

Viele Menschen verbreiten im Internet die Aussage, dass sich das Arbeiten - sobald das Bürgergeld in Kraft tritt - nicht mehr lohnt. Wir rechnen nach.

In Deutschland giltst Du als Geringverdiener:in, wenn Du bei einem Vollzeitjob weniger als 2.284 Euro brutto monatlich verdienst. Jede:r vierte Beschäftigte in der Bundesrepublik ist Geringverdiener:in oder arbeitet im Niedriglohnsektor. Davon sind die meisten Vollzeit beschäftigt. Da kommt schnell die Frage auf, ob sich Vollzeit arbeiten noch lohnt, wenn bei den aktuellen Preisen am Ende nicht einmal Geld zum Leben übrig bleibt.


Brutto-Einkommen: 2.060 €

Netto-Einkommen: 1.410 €

- Mietkosten: 600 €

- Nebenkosten: 150 €

= 660 € zum Leben


Bürgergeld: 502 €

+ 280 € Minijob

+ ca. 420 € je nach Miete

+ ca. 70 - 130 € je nach Nebenkosten


Notwendige Reformation?

Warum reformiert die Ampel den aktuellen Sozialhilfesatz? Hartz IV ist bereits 17 Jahre alt und schon lange stark kritisiert. Das Klischee des/der Hartz-IV-Empfängers/:in mit Bier und Pizza vor der Glotze entspricht einfach nicht der Realität. Laut des Sozialverbandes Hessen-Thüringen sind über 35 Prozent der gesamten Sozialhilfenehmer alleinerziehende Mütter. Im Jahr 2019 arbeiteten elf Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger:innen mindestens 15 Stunden pro Woche. Weitere 14 Prozent absolvierten eine arbeitsmarktliche Maßnahme, wie eine Fortbildung oder einen Ein-Euro-Job. Bei 18 Prozent war die Arbeit nicht zuzumuten, da sie sich in der Schule, in der Ausbildung oder im Studium befanden. Hinzu kommen Personen, die Kinder pflegten oder sich um Angehörige kümmerten.

Das ab Januar 2023 neu hinzukommende Bürgergeld soll die Chancen dieser Menschen auf Qualifizierung, Weiterbildung und Arbeitssuche stärken, anstatt sie vorschnell im Niedriglohnsektor unterzubringen. Über Jahre hinweg bewarb die Regierung den Niedriglohnsektor als "Sprungbrett in höhere Verdienste". Dem widerspricht jedoch die konstant anwachsende Zahl der Geringverdiener:innen, die trotz ihrer Erwerbstätigkeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Die aktuell stark angestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten machen die Situation nicht weniger belastend. Die Regelsatzerhöhung um 50 Euro soll die anhaltende Inflation ausgleichen und Empfänger:innen sicherer dastehen lassen.


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