
Konferenz in Nürnberg
„Wahnsinn“ auf der Brenner-Autobahn: Warum ab 2025 noch mehr Staus drohen
Die Logistikbranche spricht von "Wahnsinn am Brenner": Rückstaus von bis zu 45 Kilometern gebe es zwischen Österreich und Italien - mit Folgen auch für Bayerns Wirtschaft. Die Industrie- und Handelskammern im Freistaat hatten deshalb zur "Brennerkonferenz" ins Haus der Wirtschaft in Nürnberg geladen; 95 Spediteure, Logistiker, Mitglieder der IHK-Verkehrsausschüsse und der alpenländischen Wirtschaftskammern kamen zusammen.
Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der IHK Nürnberg für Mittelfranken, bangt mit Blick auf die Sanierung der wichtigsten Brenner-Brücke, der Lueg-Brücke, um Handelsbeziehungen, die etwa mit Venedig in Jahrhunderten gewachsen seien. Die mit der Erneuerung verbundenen Einschränkungen würden die Lieferketten massiv treffen. Die Wirtschaft habe in der Breite nicht begriffen, was da auf sie zukomme, heißt es in einer Mitteilung der IHK.

Stephan Siegele, Chef der österreichischen Autobahngesellschaft Asfinag, verteidigte sein Konzept indes: Damit werde der Albtraum einer Vollsperrung vermieden - Lkw können weiter über die Brücke rollen. Vom 1. Januar 2025 an wird die Brücke aber nur noch einspurig befahrbar sein. An 170 Tagen gibt es Zweispurigkeit. Dazu kommen pro Jahr 15 Tage mit Lkw-Fahrverbot.
Sanierung der Lueg-Brücke: Einspuriger Verkehr am Brenner ab 2025
Dies gilt etwa drei Jahre lang, bis die neue Lueg-Brücke steht. Doch selbst wenn das Konzept funktioniert, beziffert eine Studie der Handelskammer Bozen die Kosten für den Transitverkehr auf rund 180 Millionen Euro. Wenn es scheitert, sind es 650 Millionen.
Markus Mallmann, Geschäftsführer von GVS Lebensmittelhandel, sagte, Lieferungen "Just-in-Time" seien von 2025 an kaum noch möglich. Man sei gezwungen, wieder mit Lagerflächen zu arbeiten. Für die Kunden bedeute das höhere Preise, möglicherweise seien einige Produkte nicht mehr lieferbar. Es gebe zwar Ausweichrouten, aber die müssten sich rechnen: "Bei uns geht es um Zehntelcent pro Palette."
Entlastung etwa über ein Ende des Tiroler Lkw-Nachtfahrverbots ist dennoch nicht in Sicht. Georg Dettendorfer, Vorsitzender des DIHK-Verkehrsausschusses, sagte, das würde zwar sofort helfen. Nur politisch sei das nicht durchzusetzen. Rebecca Kirschbaumer von der Wirtschaftskammer Tirol unterstrich das. Sie sagte: "Ja, wir fordern das, wissen aber, dass ein Politiker, der das in Tirol anpacken würde, erledigt wäre."
Eine weitere Idee: ein Slotsystem für Lkw-Fahrten, welches Bayern, Tirol und Südtirol vorgeschlagen haben. Kirschbaumer äußerte sich skeptisch. Was im Hamburger Hafen funktioniere, lasse sich nicht einfach auf die Straße übertragen. Dettendorfer sagte, alles sei besser als das Willkürsystem Blockabfertigung. Der Knackpunkt: Wien, Rom und Berlin müssten dafür einen Staatsvertrag abschließen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte das auf IHK-Anfrage im Sommer abgelehnt.
Auf einen Cappuccino nach Verona: Brenner-Basistunnel soll 2032 eröffnet werden
Bleiben die Ausweichrouten über Slowenien und die Schweiz - gerade in der Schweiz wird nur die Hälfte der Kapazitäten in Güterzügen über die Alpen genutzt.
Eine echte Lösung ist wohl frühestens 2032 in Sicht: Dann soll der Brenner-Basistunnel eröffnet werden, sagte Martin Ausserdorfer, Aufsichtsrat der Projektgesellschaft. Er träumt von einer europäischen Eisenbahn. Dereinst werde man dank Tunneln von München nach Verona in zweieinhalb Stunden mit dem Zug auf einen Cappuccino fahren. "Das ist eine Revolution", schwärmte Ausserdorfer.
Auf deutschem Boden lässt die aber auf sich warten. Matthias Neumaier von der Bahn-Infrastrukturtochter DB InfraGo erklärte, Deutschland habe sich in drei Staatsverträgen mit Österreich und Italien zum Bau des Brenner-Nordzulaufs verpflichtet.
Nach elf Jahren "der Planung und des Dialogs" befindet sich die Strecke nun in der Vorplanung. Der neue Bundestag wird 2025 über die "Vorschlagstrasse" entscheiden. Ein Selbstläufer ist das nicht. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter hatte Wissing auf einer IHK-Veranstaltung Desinteresse ("Hat sich hier noch nie blicken lassen") vorgeworfen. Wissing sagte der dpa dagegen, er finde es "hochgradig unseriös", wie die CSU mit milliardenschweren Nachforderungen die Planungen torpediere.
IHK-Experte Dettendorfer sagte, es laufe darauf hinaus, dass der Nordzulauf erst 2050 oder 2060 stehe. Die Bestandsstrecke reiche für die kommenden Zuwächse im Güterverkehr niemals aus - der Gedanke sei "Wahnsinn".
Er schlug vor, analog zum Sondervermögen Bundeswehr einen Investitionsfonds für den Verkehr einzurichten. "Das Geld für die Infrastruktur muss da sein", forderte der Spediteur.
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