Industrie
Thyssenkrupp-Chef sieht Konzern bei Klimaumbau ganz vorn
22.11.2023, 14:30 UhrAuf dem Weg zur Klimaneutralität der Industrie sieht sich der Traditionskonzern Thyssenkrupp als Vorreiter. Man sei "Wegbereiter der grünen Transformation", betonte Thyssenkrupp-Chef Miguel López in Essen bei der Vorstellung der Jahresbilanz für das Geschäftsjahr 2022/23. "Wir verfügen über weltweit führende Technologien, um einen großen Teil der heutigen CO2-Emissionen zu verringern."
López verwies auf das neue Segment namens Decarbon Technologies, in dem der Industrie- und Stahlkonzern seit Anfang Oktober seine grünen Aktivitäten gebündelt hat. Dazu gehören die Anlagenbauer Nucera (Elektrolyseure etwa für Wasserstoff), Uhde (Chemieanlagen) und Polysius (Zementanlagen) sowie der Großwälzlager-Hersteller Rothe Erde, dessen Produkte in Windrädern zum Einsatz kommen. Der gesamte Konzern werde auf grüne Transformation und Zukunftsthemen ausgerichtet, auch die Autozuliefer- und Werkstoffsparte, betonte der 58-jährige Manager. Es war die erste Bilanzvorlage des Spaniers, nachdem er Anfang Juni die Konzernführung von Martina Merz übernommen hatte.
"Die größten Klimaaktivisten im Land, das sind wir"
Auch bei klimaneutralem Stahl sei man "Antreiber" der Transformation. "Die größten Klimaaktivisten im Land, das sind wir", sagte López. Er bezog sich damit auf die geplante Umstellung der Stahlerzeugung in Hochöfen, bei der sehr viel Kohlendioxid anfällt. Künftig soll Stahl in sogenannten Direktreduktionsanlagen mit Hilfe von klimaneutral erzeugtem Wasserstoff produziert werden. Eine erste Anlage, die rund drei Milliarden Euro kosten wird, soll 2027 in Duisburg starten. Thyssenkrupp Steel ist Deutschlands größter Stahlhersteller. Die Stahlsparte ist nach eigenen Angaben bislang für rund 2,5 Prozent des gesamten Kohlendioxidausstoßes in Deutschland verantwortlich.
Bei der geplanten Verselbstständigung der Stahlsparte führt Thyssenkrupp nach eigenen Angaben "konstruktive und ergebnisoffene Gespräche" mit dem Energieunternehmen EPH. Gesprochen werde über ein potenzielles Joint Venture mit Steel Europe, das EPH mit seiner Energieexpertise unterstützen könne. Die konkrete Ausgestaltung eines möglichen Gemeinschaftsunternehmens sei Gegenstand laufender Verhandlungen.
Gespräche mit EPH können noch dauern
Wann eine Einigung zu erwarten ist, ließ López offen. Bei den laufenden Gesprächen werde die "Einordnung" des bleibenden, sehr herausfordernden Umfelds mit schwacher Konjunktur, steigenden Rohstoffkosten und hohen Energiekosten "noch Zeit in Anspruch nehmen". "Wir arbeiten an der Lösung mit EPH. Sollte es hier keine Lösung geben, haben wir natürlich auch einen Plan B, den ich aber nicht hier teilen kann."
EPH gehört dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky. Zu dem Konzern gehören in Ostdeutschland die Braunkohlekonzerne Mibrag und Leag, die künftig verstärkt klimaneutral erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen.
Der Erfolg der CO2-neutralen Stahlproduktion sei im Wesentlichen abhängig von der sicheren Versorgung mit großen Mengen "grüner" Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen, hieß es in einer Unternehmensmitteilung. "Aus diesem Grund steht Thyssenkrupp im Austausch mit möglichen strategischen Partnern aus dem Bereich der Energiewirtschaft."
Personalvorstand: Mitbestimmung ist eng eingebunden
"Wenn wir es richtig angehen, können wir die Wettbewerbsfähigkeit von Steel Europe erheblich verbessern und das Geschäft für künftige grüne Märkte zukunftsfähig aufstellen", sagte Personalvorstand Oliver Burkhard. Die Mitbestimmung spiele bei dieser Transformation eine wichtige Rolle. "Sie ist in die Gespräche zur Verselbstständigung in bewährter Weise eng eingebunden."
Die Gewerkschaft IG Metall hatte Anfang Oktober nach Bekanntwerden der Gespräche mit dem EPH-Konzern vor einer "Hauruck-Aktion auf Kosten der Beschäftigten" gewarnt. In der Stahlsparte waren Ende September gut 26 800 Menschen beschäftigt. Größter Standort ist Duisburg mit allein rund 14 000 Steel-Beschäftigten. Konzernweit stieg die Zahl der Vollzeitstellen 2022/23 um rund vier Prozent auf fast 100.000.
Zwei Milliarden Euro Verlust - trotzdem Dividende geplant
Im Ende September beendeten Geschäftsjahr haben milliardenschwere Abschreibungen auf das Stahlgeschäft den Konzern tief in die roten Zahlen gedrückt. Unter dem Strich stand ein Nettoverlust von rund zwei Milliarden Euro zu Buche. Die Wertberichtigungen auf das Anlagevermögen der Stahlsparte bezifferte Thyssenkrupp auf 2,1 Milliarden Euro. Die Abschreibungen seien wegen des konjunkturbedingt eingetrübten Umfelds sowie wegen höherer Kapitalkosten nötig geworden, hieß es.
Thyssenkrupp hatte ursprünglich einen "mindestens" ausgeglichenen Jahresüberschuss in Aussicht gestellt - nach einem Gewinn von 1,2 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum. Aktionäre sollen dank eines deutlich verbesserten Mittelzuflusses dennoch eine unveränderte Dividende in Höhe von 0,15 Euro je Aktie erhalten.
Sinkende Stahlpreise und gleichzeitig gestiegene Rohstoff- und Energiekosten belasteten das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit), das von knapp 2,1 Milliarden auf 703 Millionen Euro sank. Der Umsatz ging um neun Prozent auf 37,5 Milliarden Euro zurück. Im neuen Geschäftsjahr will Thyssenkrupp wieder in die Gewinnzone zurückkehren. Die Börse bewertete die Unternehmens-Nachrichten positiv. Bis zum frühen Nachmittag stiegen Thyssenkrupp-Papiere auf über sieben Euro. Mit einem Plus von über sieben Prozent führte die Aktie den Mdax an.
López ging auch auf das neulich gestartete Verbesserungs-Programm "Apex" ein. Dabei gehe es primär um profitables Wachstum etwa durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, um Materialbestände
besser zu managen. Im Schmiedegeschäft helfe Künstliche Intelligenz bei der Suche nach alternativen Lieferanten. Es seien bereits Maßnahmen für ein Volumen von 1,2 Milliarden Euro festgelegt worden, sagte López.