Verkauf der Großmotoren-Sparte befürchtet

Lässt Siemens seine Mitarbeiter im Stich?

Erik Stecher

Redaktion Politik und Wirtschaft

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2.11.2021, 05:55 Uhr
Protest vor dem Werk in der Nürnberger Vogelweihestraße: Die Beschäftigen sorgen sich um den Standort und ihre Arbeitsplätze.

© Stefan Hippel, NNZ Protest vor dem Werk in der Nürnberger Vogelweihestraße: Die Beschäftigen sorgen sich um den Standort und ihre Arbeitsplätze.

Was hat Siemens vor? Große Sorgen machen sich die Mitarbeiter der Großmotoren-Sparte in Erlangen und am Hauptsitz im Nürnberger Werk Vogelweiherstraße. Wie berichtet, will der Konzern den Bereich Large Drives Applications (LDA) ausgliedern und in eine GmbH umwandeln. Hauptprodukt der LDA sind Motoren und Umrichter für den Bergbau sowie für die Öl-, Chemie- und Gasindustrie.

Weltweit stellen sich jetzt rund 7000 Beschäftigte die Frage, was auf sie zukommt. Viele befürchten einen Verkauf der ausgegliederten Sparte – und einen möglichen Abbau von Arbeitsplätzen durch den Käufer. "Die Siemens AG hat fast nie eine GmbH für sich behalten", sagt die Betriebsratsvorsitzende Kerstin Donn.

Nicht nur die Erfahrungswerte nähren die Befürchtung, dass ein Käufer gesucht wird. Für diesen Schritt spricht auch, dass Siemens mit der Ausgliederung auf Synergie-Effekte im Werk Vogelweiherstraße verzichtet. "Früher hatte man einen Einkäufer im Werk, der für alle Bereiche die Schrauben bestellt. Bald braucht man vielleicht noch einen zweiten Einkäufer, der das extra für LDA macht", ersinnt Donn ein anschauliches Beispiel.

Mitarbeiter sollen jetzt noch in betroffene Sparte wechseln

Tatsächlich liegt dem Betriebsrat eine Liste mit Mitarbeitern vor, die in verschiedenen Bereichen des Werks tätig sind und jetzt direkt vor der geplanten Ausgliederung noch der LDA-Sparte zugewiesen werden sollen. Viele von ihnen sorgen für die Betriebsunterhaltung, indem sie beispielsweise Maschinen warten. In dem Werk mit insgesamt rund 1800 Beschäftigten gehören aktuell etwa 600 Mitarbeiter zur LDA, der noch nicht abgeschlossenen Liste zufolge sollen rund 280 Personen aus anderen Bereichen hinzukommen.

Die LDA zählt mit der geplanten Ausgliederung nun zu den sogenannten "Portfolio Companies" von Siemens. "Da stellt Siemens Bereiche rein, die nicht so performen wie gewünscht", sagt Roland Wehrer, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Nürnberg. "Sie sollen fit werden und mehr Gewinn machen, in zweistellige Margenbereiche kommen."

Betriebsrätin Donn verweist darauf, dass es dem Standort Vogelweiherstraße bis vor kurzem tatsächlich schlecht ging – "aber das Geschäft zieht an!", betont sie. Das weiß man auch bei Siemens, wie ein Firmensprecher bestätigt: "LDA ist einer der führenden Anbieter im Markt und insgesamt in einer starken Position und hat sich in den letzten Monaten sehr gut entwickelt." Die Frage nach einem möglichen Verkauf der Sparte möchte er nicht kommentieren.

"Siemens fehlt offenbar die Geduld"

Mit der Ausgliederung wolle Siemens "dem Geschäft zusätzliche Eigenständigkeit und unternehmerische Freiheiten geben, damit es sich noch besser auf seine Märkte und Kunden fokussieren kann", so die offizielle Sicht der Dinge. Betriebsrätin Donn sieht das anders und hält die Ausgliederung für überflüssig: "Die LDA hat nach harten Zeiten wieder Gewinn gemacht, bis 2025 wollen wir zweistellig werden. Aber Siemens fehlt dafür offenbar die Geduld."

Vielleicht sind die Margen gar nicht das Hauptproblem der LDA-Sparte. Auch die Technologie passt gut zu einem modernen Konzern, denn bei den wichtigsten Produkten handelt es sich nicht etwa um Dieselmotoren, sondern um elektronische Antriebe. Weniger grün ist allerdings das Umfeld, in dem die Großmotoren zum Einsatz kommen, etwa im Bergbau oder der Petrochemie: Zu rund 70 Prozent geht es um das Erzeugen und Verwerten von fossiler Energie, und das ist schlecht fürs Image.

Noch gut in Erinnerung sind die massiven Proteste gegen eine Beteiligung von Siemens an einem umstrittenen Bergbauprojekt in Australien. Der deutsche Konzern will für die Bahnstrecke zum Kohletransport eine Signalanlage liefern. Umweltschützer hatten sich von Siemens allerdings ein anderes Signal gewünscht.

"Wir sind alle fassungslos, wie Siemens agiert"

Nun sind es die Mitarbeiter der LDA-Sparte, die bitter enttäuscht sind: "Siemens will sich dem Thema nicht stellen. Sondern raus aus dem Geschäft gehen, um sich kritikfrei zu halten", sagt Donn.

"Es wird aber weiterhin Bergbau auf der Welt geben. Siemens braucht doch selbst Rohstoffe wie Kupfer oder Seltene Erden. Das muss man dann künftig von anderen kaufen, aber dafür ist das Image grün", kritisiert die Betriebsrätin und gibt zu bedenken: "Über die LDA-Sparte könnte Siemens selbst einen positiven Einfluss darauf nehmen, wie in diesem Bereich gearbeitet wird. Das Geschäft wird nicht grüner, wenn man es über den Zaun schmeißt." Donn befürchtet ein Greenwashing auf Kosten der Mitarbeiter: "Wir sind alle fassungslos, wie Siemens agiert."

"Alle Bereiche müssen Angst haben"

Gewerkschafter Wehrer bringt die sozialen Folgen der vielen Ausgliederungen und Umstrukturierungen des Unternehmens so auf den Punkt: "Früher hat man von der Siemens-Familie gesprochen, aber das ist Geschichte." Die Stimmung am Standort ist schlecht, wie Donn beschreibt: "Früher waren wir in der Vogelweiherstraße ein Werk, jetzt sind es lauter kleine Einheiten. Noch stärker filetieren kann man uns nicht mehr", so das Fazit der Betriebsrätin. "Das betrifft nicht nur die LDA-Sparte, das ist für den ganzen Standort bedrohlich: Was wird aus dem Rest? Jeder beäugt jeden, alle Bereiche müssen Angst haben."

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